Der Tag beginnt um 5:30, der Hahn aus dem Nachbardorf kräht lang und ausdauernd. Irgendein Hund bellt sich die Seele aus dem Leib – wie ich später erfahre, ist es nicht nur ein Hund, sondern auch eine Gruppe streitender Lemuren. Alles klebt. Ich hab jetzt schon mehr Mückenstiche als ich für gesund befinde. Trotz Moskitonetz, aber dessen Technik hab ich sowieso noch nicht so ganz durchschaut. War mir gestern Abend auch herzlich egal. Um 6:30 Uhr herum ertönen aus den Nachbarhütten allerlei lustige Wecker-Klingeltöne, darunter die Titelmelodien von Star Wars und Kill Bill. Als ich die Tür meines Bungalows öffne, schaue ich direkt auf den Regenwald …wow! Es ist diesig, feucht, wie im Regenwald eben. Die Lodge ist in Stufen angelegt, mein Bungalow liegt in der obersten Reihe. Zwei Reihen untendrunter werden gerade neue Bungalows gebaut. Unter der Restaurantveranda und den Bungalows liegt eine schmale Wiese, durch eine steile Treppe zugänglich. Wenige Meter dahinter, versteckt von Palmengebüsch, liegt ein schmaler Fluss, der in einen kleinen See mündet. Der See ist von der Restaurantveranda zu sehen.
Zum Frühstück bestelle ich erstmal ein Zebu-Sandwich. Als das riesige Baguette ankommt, wird mir etwas anders… hups, also sooo viel wollte ich dann doch nicht. Zu meinem eigenen Erstaunen schaffe ich das ganze Sandwich in wenigen Minuten, dazu gibt’s Cola und noch ein paar Rühreier.
Gegen neun Uhr starte ich zusammen mit Anto, Andrea und Dimby zu einer Bananenplantage. Wobei Plantage hier meint, dass da halt irgendwo im Regenwald viele Bananen stehen. Auch. Wir haben gerade angehalten und laufen einen Kiesweg in Richtung der Plantage, als schon eine Frau in rotem Tuch auf uns zuläuft und „Tanalahy, tanalahy!“ ruft. Sie bringt auch gleich eins mit – auf einem Stock, denn anfassen will das Chamäleon niemand. Außer uns. Es ist ein Furcifer pardalis, knallrot und mehr als fotogen. Andrea ist völlig von den Socken, zumal wir noch ein zweites, jüngeres finden. Ich streunere ein bisschen in der Plantage herum – die Besitzer sind so nett, uns den Besuch zu erlauben, normalerweise darf man nicht so einfach da herumlaufen.
Später folgen wir dem breiten Weg nach links in den Busch, erst nach einigen Metern sehe ich einen kleinen, schmalen Pfad. Er führt an Palmen und Büschen vorbei, durch ein schmales Rinnsal Wasser zu einem Hügel mit Kaffeebäumen. Oben stehen einige Hütten, es ist ein kleines Dorf mit unheimlich netten Leuten. Sie begrüßen uns alle per Handschlag und mit „Salama“ – und zeigen uns ihre Calumma parsonii parsonii. Die gigantischen Tiere sitzen direkt am Eingang zum Dorf – und das ganze Dorf ist gekommen, um uns komischen Vazaha dabei zuzuschauen, wie wir Fotos machen und diese „ganz gewöhnlichen“ Chamäleons bestaunen. Wir finden zwei riesige Weibchen, die völlig ungestört unendlich viele Fotos über sich ergehen lassen. Sogar vorsichtig auf den Arm nehmen kann man sie, ein sehr beeindruckendes Gefühl. Diese Tiere strahlen eine einzigartige Ruhe und Gelassenheit aus. Sie scheinen über den Dingen zu stehen.
Nach diesem schönen Besuch laufen wir zurück zum Bus, um den Weg Richtung Vohimana einzuschlagen. Mitten auf einem Kiesweg halten wir. Links geht es einen Hügel nach unten zu einigen Hütten, rechts geht ein weiterer Pfad ab, ansonsten ist die Straße von Büschen und hohen Bäumen gesäumt. Wir hoffen auf Calumma gallus. Aber Dimby beschwichtigt gleich, dass es bei dem Regen gerade schwierig werden können. Er und Toma steigen aus, um in den Büschen zu suchen. Ich steige mit aus – scheiß doch auf Regen, wir sind auf Madagaskar! Andrea bleibt erstmal im Auto und wartet ab, Anto kommt nach einer Viertelstunde Warten auch raus. Und wir haben Glück: Plötzlich kommt die Sonne raus. Es wird richtig warm, die nassen Klamotten trocknen. Wir fahren einige Meter weiter… und ein kleiner Junge fragt, was wir machen. Ich weiß nicht genau, was Dimby ihm sagt – jedenfalls erscheint der Junge nach wenigen Minuten mit einem winzigen, kleinen Chamäleon auf einem Stöckchen. Ein Calumma gallus, und was für eins! Es dauert keine Viertelstunde, da haben wir auf dem gleichen Stöckchen ein weiteres Calumma gallus, gepflückt in etwa zwei Meter Höhe, ein Calumma cf. radamanus und als Krönung des Tages schleppt der kleine Junge ein weiteres Calumma parsonii parsonii-Mädchen an. Ich kann mich gar nicht entscheiden, was ich zuerst angucken und fotografieren will… Die beiden gallus-Männchen färben sich in der Sonne von braun zu weiß mit Streifen, die Nasen leuchten in orange, blau und pink. Kleine Wunder der Natur. Wir können uns kaum losreißen von diesen Wahnsinnstieren.
Auf dem Rückweg halten wir am Straßenrand an einem kleinen Stand, aus Ästen zusammengezimmert. Einige Frauen bieten Bananen und anderes Obst an. Dimby übersetzt für uns und gegen ganze 2000 Ariary erstehen wir eine komplette Bananenstaude. Halbe lohnen sich ja nicht zu kaufen! Die Bananen schmecken extrem lecker, soviel Geschmack hab ich so einer winzigen Banane gar nicht zugetraut. Am späten Nachmittag trudeln wir wieder in der Lodge ein, mit einem breiten, nicht mehr aus dem Gesicht zu kriegenden Grinsen.
Es dauert keine Stunde, und unsere Guides haben im Garten Calumma brevicorne, vier Calumma parsonii crisitfer (zwei extrem niedliche, orange und grüne Babys, ein großes Männchen und ein halbwüchsiges Weibchen) gefunden. Dazu kommt ein Brookesia superciliaris, das zu Fotografiezwecken kurz auf der Schaukel Platz nehmen muss und diverses andere. Ein Chamäleonparadies! Kurzerhand wird der Abend wegen des ständig wiederkommenden Regens zu einem kleinen Tiershooting umfunktioniert, und plötzlich schleppen die Guides auch noch alle möglichen Frösche aus dem Schilf des kleinen, nur ein paar Meter entfernten Sees an an. Tolle Tiere, ebenso tolle Fotos.
Zum Abendessen gibt es Sesamhuhn mit Bratkartoffeln und eine flambierte Banane als Dessert. Selten habe ich so lecker gegessen. Dazu drei, vier kühle THB und es schläft sich auch prächtig. Der Abend endet mit vielen, langen und interessanten Gesprächen. Die Gruppe macht echt Spaß. Natürlich wollen jetzt alle Calumma gallus sehen, neidisch genug haben wir die anderen ja gemacht mit den Fotos… Meine Hose sieht aus wie Sau, bis über die Knie eingeschlammt. Ein perfekter Tag.
Erkenntnis des Tages: Und wenn der Flug 20 Stunden dauernd würde und mir die gesamte Zeit statt nur eine Landung lang grottenschlecht wäre, ich komme wieder!