Nach und nach sammeln sich alle im Innenhof des Noor-Hotels. Der Geruch von gestern Abend hängt immer noch in der Luft, und jetzt ist auch klar, woher er kommt: Eines der grünen Abflussrohre, das aus dem ersten Stock nach unten reicht, ist marode und läuft aus. Oder naja, der Eimer, der vorher drunter stand, wurde von dem Kat mampfenden männlichen Bediensteten des Hauses zu anderen Zwecken entwendet. Selbige gingen mit lauten Brech- und Rotzgeräuschen und viel Wasser einher. Die Brühe läuft direkt in den Hof. Nach einer Klospülung oben bildet sich im Hof eine wunderschöne Lache mit bröckeligem Inhalt und Farbgebungen zwischen orange, gelb und braun. Die Katzombie-Bediensteten stört das keineswegs. Die dicke pausbäckige Dame mit dem roten Oberteil und den ordentlich an den Kopf geflochtenen Haaren läuft sogar mehrfach barfuß durch die Lache. Keine Reaktion. Auch nicht darauf, dass aus unserer Ecke regelmäßig leicht irres Lachen ertönt.
Wir flüchten schließlich, bevor sie mit Hilfe eines blauen Eimers den gesamten Innenhof überfluten kann. Draußen warten schon Dimby und Zo, die uns wieder eine Straße weiter vor das Hotel der anderen fahren. Wir laufen zum Markt und es gibt das letzte Mal in Ambilobe Frühstück mit frittierten Bananen (immer noch unglaublich lecker – drei frittierte Bananen für 300 Ariary), Coka kely, diversem anderem frisch frittiertem und noch warmen Zeug und trockenen Brioches. Tanala mampft ein Bolognese-Sandwich, das ich auch mal probiere. Sehr lecker. Heidi sitzt begeistert direkt vor dem Verkaufstisch (wie sie sich unter den Einheimischen Platz geschaffen hat, weiß der Himmel), trinkt Tee und freundet sich mit den Leuten an.
Leider habe ich seit mitten in der Nacht Magenkrämpfe, aber Buscopan und Vomex helfen ordentlich. Von den Vomex penn ich auf der Fahrt auch direkt ein und steige bei diversen Chamäleon-Anguck-Pausen entweder gar nicht oder nur im Halbschlaf aus. Erst beim dritten Stopp bin ich wieder einsatzfähig, aber bis dahin gab’s eh „nur“ Furcifer oustaleti und wenige Furcifer pardalis zu sehen. Mittags machen wir einen Zwischenstopp bei den Tsingy rouge. Die Straße dorthin ist eher Loch als Asphalt, und direkt zu den Tsingys geht es 17 km offroad. Aus unerfindlichen Grünen schaffen es sogar die alten Renault-4-Taxis irgendwie, diesen ausgefurchten und eigentlich so gar nicht mehr so nennbaren Weg durchzuhalten. Leider gibt es vor Aufbruch zu den Tsingys noch ein trauriges Kabary – Gris muss dringend nach Hause, denn sein Vater ist gestorben. Er nimmt eines der Autos mit nach Diego und wir legen zusammen, um ihm einen Flug zu zahlen – sonst käme er nicht mehr früh genug zu Hause an. Tränenreich verabschiedet er sich.
Die Tsingy rouge liegen in einem kleinen Tal. Unten angekommen, laufe ich auf weichem rot marmorierten Sand. An einigen Stellen ist der Sand ganz wabbelig, wie Pudding. Die Tsingys sind am schönsten, wenn kurz mal die Sonne rauskommt. Das ist vorzugsweise dann der Fall, wenn Tanala seine Kamera in den Rucksack gepackt hat. Ich patsche ein bisschen in dem Flussrinnsal im Sand herum.
Später geht es weiter zum Montagne d’Ambre, dessen Silhouette man bereits von Weitem erahnen kann. Am Kreisel, an dem man schließlich nach Joffreville abbiegt, halten wir kurz und kaufen Kohle ein. Gegenüber unseres Geländewagens steht ein sehr kleines, gelbes Auto. Als wir ankommen, hängt der Kofferraum bereits völlig in den Knien, aber es wird fröhlich weiter eingeladen. Reissäcke, Bastkörbe, ein Koffer und ein Fahrrad schauen bereits aus dem geöffneten Kofferraum, zu schließen geht der garantiert nicht mehr. Und als wäre das nicht genug, steigen noch zig Menschen ein. Ich höre bei 15 auf zu zählen. Das Auto setzt sich wenige Minuten später mit Schrittgeschwindigkeit in Bewegung. Schneller dürfte das Auto auch gar nicht mehr voran kommen, so maßlos überladen, wie es ist. Aber hier gilt wohl „Besser schlecht gefahren als gut gelaufen“.
Der Weg führt Richtung Joffreville. Je näher wir dem Montagne d’Ambre kommen, desto dichter wird die Vegetation wieder. Rechts und links der Straße reicht das Gras jetzt bis zum Autodach, schließlich säumen Büsche mit Unmengen gelb leuchtender Blumen die Wege. Sie sehen ein bisschen aus wie Magerithen. Ein wunderschöner Weg. Joffreville (auf madagassisch Ambohitra) selbst besteht eigentlich nur aus einer langen, steilen Straße, die von Kolonialhäusern gesäumt ist. In der Mitte der Straße teilt eine Art Blumenrabatte die Fahrbahnen. Wir halten gegenüber eines Geschäfts an, um uns für die nächsten Tage mit Bier, Cola und Wasser einzudecken. Der Schock kommt erst beim Aussteigen aus den Landcruisern: Es ist sowas von scheißkalt! Erstmal Jacken und Pullis anziehen. Dann stellen wir fest: Oh Gott, es sind 25,2°C! Wie kann das denn soooo kalt sein? Naja, 15° Unterschied zum Morgen fordern einfach ihren Tribut. Jedes Auto bekommt eine eigene Getränkekiste. Oder zwei. Während wir Kisten schleppen, kommen Kinder aus der Schule die Straße herunter. Teilweise posieren sich richtig für die Kameras, teilweise laufen sie davor weg. Gegenüber läuft ein halbverhungerter Hund herum, dreht eine Runde um die Straße und lässt sich dann vor einem zerfallenen Tor fallen.
Um die Ecke links halten wir am Office des Nationalparks, um Angelin und seinen Zwillingsbruder Angeluc einzusammeln. Er begrüßt uns und drückt mir eine geflochtene Tasche in die Hände. Drin ist ein großer Nachtfalter, der immer wieder mal nach oben flattert. Angelin wird einer unserer Guides sein. Er springt erstmal aufs Dach unseres Autos. Da kann man mehr sehen! Die Schranke geht auf und wir nehmen Angelin mit zum Campground. Von dort starten er, sein Bruder und François gleich wieder zur Tiersuche.
Der Weg zum Campground ist ziemlich abenteuerlich. Es wird dunkel und die Scheinwerfer des Geländewagens beleuchten Schlaglöcher, die man so schon gar nicht mehr nennen kann. Eigentlich ist da mehr Loch und Rinne als Straße. Und die Löcher oder vielmehr Gruben haben’s definitiv in sich. Der Landcruiser wühlt sich im Schritttempo den Berg hoch. Dimby ist aber völlig gelassen. „It’s the first time I drive this street without rain!“ freut er sich. Na dann! Zumindest rutschen die Autos nicht weg. Wir hangeln uns also von Loch zu Loch und die Straße – Entschuldigung, die Piste – will nicht enden. Zwischendurch passieren wir ein paar Hütten, dann geht es völlig in den Wald. Noch eine Kurve, dann über eine wackelige Holzbrücke. Endlich sind wir da. Es ist stockfinster, aber diesmal war ich tatsächlich so schlau, die Stirnlampe in den Fotorucksack zu stecken und nicht zuunterst in den Rucksack. Man lernt ja…
Tanala baut Zelte auf und schwitzt dabei wie irre. Ich habe das Zelt zwischen Martin und ihm, natürlich als Einzelzelt auf Sand unter einem Dach. Die größeren Zelte passen nicht unter die Dächer und stehen daher überall bunt auf dem Campground verteilt herum. Später versammeln wir uns unter einem der Bananenblatt-Dächer, unter dem Bänke und ein Tisch stehen. Es gibt Essen! Eric und Naina haben schon vorgekocht. Es gibt weißen Thunfisch mit Reis, megalecker. Für die, die keinen Fisch essen gibt es panierte Zebustücke. Die Panade ist weich und extrem lecker gewürzt und als ich noch vor dem Abendessen die Küche besuche, darf ich auch gleich eins probieren. Für gut befunden! Später darf ich noch Erics Ideen für morgen probieren, frittierte Kartoffel-Karotten-Puffer. Schmecken auch. Tanala und Lore kriegen auch noch eins ab.
Ein letzter, sehr kurzer Schlenderspaziergang am Rand des Parkplatzes ist in der Dunkelheit bereits extrem ergiebig – fast 15 Tiere finden wir leuchtend im Gebüsch und auf den Ästen der Bäume. Kleine Chamäleons mit leuchtend blauer Nase, giftgrüne hochträchtige Calumma amber und die sanften Riesen des Montagne d’Ambre, Calumma ambreense, sind darunter. Ein Chamäleonparadies! Ich bin sehr gespannt auf morgen. Es nieselt die ganze Zeit ein wenig vor sich hin, weshalb vor allem das Klopapier mehr ein Feuchttuch ist. Und der Wind ist fies. Gefühlt hat es hier trotz dicken Pullovern ungefähr 5°C. Das Thermometer zeigt eisige 21°C.
Ein Gedanke zu „Eiszeit bei 25 Grad Celsius“