Wieder hat es über Nacht stark geregnet. Noch vor sechs Uhr schlendere ich ein letztes Mal am Strand entlang. Eigentlich wollte ich noch ein paar Fotos mit blauem Himmel machen, aber das Wetter lässt mich im Stich, wieder ist es bedeckt und diesig. Im Gebüsch auf einem Felsen entdecke ich ein Pantherchamäleon-Weibchen, dass dort gestern schon gesessen hat. Bei Flut sitzt sie mit ihrem dicken Eierbauch direkt über dem Wasser. Auf einem anderen Felsen entdecke ich eine Ananas, die aber leider noch nicht erntereif ist.Immerhin beschert mir der frühe Morgen doch noch eine kleine Besonderheit: An einem großen Baum, dessen wunderschöne feine Blüten sich nur nachts öffnen und morgens verwelken, ist noch eine letzte geöffnete Blüte übrig – perfekt für ein Foto. Alle anderen sind bereits zu Boden gefallen.
Nach einem stärkenden Frühstück führt mein Weg mich noch einmal zum Wasserfall, um dort einige Fotos zu machen. Wieder zurück, haben sich bereits alle zur Abfahrt auf der Lichtung und am Strand versammelt. In einer kleinen Kabary werden Trinkgelder verteilt und Stefan bedankt sich im Namen der Gruppe für den wunderschönen Aufenthalt. Jeder verabschiedet sich mit Handschlag von den Männern, die auf der Insel bleiben. Als wir die Boote besteigen, strahlt die Sonne vom wolkenlosen, blauem Himmel. Nach kaum zehn Minuten kommt uns ein anderes Motorboot entgegen, und Jean-Emil wechselt samt seinem Gepäck darauf über. Es hat einen Auftrag in Masoala und fährt mit seinen nächsten Gästen direkt weiter. Wir halten weiter auf Marontsetra zu. Viele Pirogen fahren Richtung Nosy Mangabe, man braucht bei gutem Wetter etwas zwei bis drei Stunden, um dort fischen zu können. Auch zwei „Pirogen-Taxibrousse“ fahren an uns vorbei, oder vielmehr wir an ihnen. Die Holzboote ragen nur wenige Zentimeter aus dem Wasser, sind überfüllt mit Menschen und das kleine Sonnendach ist vollbepackt mit Hühnern, Bastkörben, Fahrrädern und anderen Gerätschaften. Auf dem Seeweg mit diesen Pirogen braucht man mindestens 18 Stunden bis Tamatave, und es wird nirgends unterwegs angehalten.
Wieder ist Ebbe, als wir ankommen, und so schippern wir langsam in den Hafen der Stadt. Kaum zwei Meter von unserem Boot entfernt ist das Wasser nur noch knietief. Überall stehen Fischer im Wasser oder fahren in Pirogen, um ihre Netze und Reusen zu kontrollieren. Als wir kurz vor der Brücke sind, fliegt gerade eine kleine Maschine über die Stadt – es ist die einzige für die nächsten Tage, und es wird auch die sein, die uns nach Toamasina bringt. Augustin wird am Hafen abgesetzt, er will am Nachmittag nochmal zum Hotel kommen. Die Enten, die vor ein paar Tagen noch eingesperrt im Hafen waren, schwimmen jetzt frei am Ufer entlang und quaken aufgeregt durcheinander. Das Boot legt wieder ab, fährt unter der Brücke hindurch und fährt links auf den Hotelsteg zu. Direkt davor halten wir. Über das zweite Boot steige ich mit den anderen aus. Was ein Service, direkt im Hotel abgesetzt zu werden! Zum Mittagessen muss es eine Pizza sein – die immerhin ganze zwei Stunden braucht, dafür aber eine komplette Knoblauch-Zehe in Scheiben beherbergt.
Im kleinen Garten neben der Terrasse drehe ich eine kleine Runde, um vielleicht doch noch einen der scheuen Taggeckos vor die Linse zu bekommen. Stattdessen erschrecke ich eine große Hakennasennatter, die unter dem Betontisch mit den Pflanzkübeln liegt und sofort vor meinen Schritten ins Gestrüpp flüchtet. Ihre Häutungsreste finde ich nur zwei Meter entfernt unter den Wurzeln eines großen Baumes. Das Laub raschelt um mich herum – viele neugierige Schildechsen sonnen sich, aber sie sind hier wie die Taggeckos enorm scheu. Geht man einen Schritt auf sie zu, huschen sie sofort zurück in den Schatten. Ich lasse es gut sein mit der Tiersuche und bringe mein Gepäck zurück ins Bungalow. Wieder sind Thorsten und ich in der „Ananas“. Nach einer Dusche fühle ich mich wie neu und habe Lust, noch eine Runde spazieren zu gehen.
Da Maroantsetra im Gegensatz zu einigen vergleichbar großen Städten an der Nordwestküste sehr sicher ist, laufen Tanala und ich zu zweit in die Stadt. Unterwegs begegnen uns viele Schüler in blauen Uniformen, die Schule scheint gerade aus zu sein. In Flip-Flops und kurzen Hosen schlendern wir an Ständen mit Fleisch, Reis in Säcken, Rambutan, Erdnüssen und in Fett gebackenen Snacks vorbei. Wir kommen bis zu dem großen Markt am Ende der Hauptstraße. Von einer älteren Frau, die auf einer Plastikplane Rambutan zu je dreien oder vieren zusammengelegt hat, möchte ich gerne ein paar der Früchte kaufen. Ein Häufchen kostet 400 Ariary, doch leider habe ich partout keine kleinen Scheine mehr. Einen 10.000-Ariary-Schein kann aber leider niemand in der Umgebung wechseln, und so verspreche ich, morgen wiederzukommen.
Die vielen Stände und Läden am Straßenrand bieten Unmengen Krimskrams und, ähnlich zu Sambava, viel China-Billig-Zeug an. Die Stadt ist voller Menschen, und auf der Straße fahren Zebu-Charettes (Karren mit Holzrädern), oft vollbeladen, einher. Zumindest verhungern muss in dieser Gegend niemand, wenn auch die Armut überall greif- und sichtbar ist. Unter einem Stand mit Gardinen und ausgeblichenen, alten Büstenhaltern sitzt eine Ente und beobachtet uns im Vorbeigehen. Überhaupt sehe ich viele Stände, die „Altkleidersammlungen“ anbieten, gebrauchte Kleidung aus Europa. Zu gern wüsste ich, wer daran wirklich verdient – die Endverkäufer wohl am wenigsten. Nur die Hauptstraße von Maroantsetra hat jemals (inzwischen größtenteils verschwundenen) Asphalt gesehen. Alle Seitenstraßen sind helle Sandpisten, auf denen viele, viele Roller verkehren – gerne auch mit mehr als zwei Beifahrern oder mit riesigen Reissäcken. Merke: 100 kg Reis und ein Madagasse können locker auf einem kleinen Motorroller befördert werden. Einzelne Autos fahren ebenfalls, und sogar ein paar VW-Busse, Taxibrousse, kann ich entdecken. Wo die eigentlich hinfahren, weiß der Himmel, Straßen gibt es außer dieser hier ja keine und die Unimogs sind für die Überlandfahrten nach Tamatave zuständig.
Im Hotel weht mir ein angenehmer, eher kühler Wind um die Nase. Meine Mitreisenden sind mehrheitlich für ein Mittagsschläfchen in ihre Bungalows gegangen, während Thorsten und ich noch einmal Augustin auf ein Bier treffen. In der „Ananas“ ist statt der riesigen Spinne jetzt eine große Fauchschabe eingezogen und ich beschließe, dass die definitiv das kleinere Übel ist.