Der Morgen hält schon um halb Sieben Überraschungen bereit: Das Wasser im neu gebauten Bungalow ist nicht nur regelbar, sondern schon nach einer Minute angenehm warm. Nichts mehr ist zu merken von dem brühend heißen Gebräu, das letztes Jahr noch aus dem Duschschlauch schoss. Ein bisschen schade ist es aber auch, denn mit den neuen, dichten Fenstern und Türen besteht auch wenig Chance, dass sich mal ein Gecko ins Bungalow verirrt. Eigentlich wollte ich heute früh Fotos vom Regenwald im Nebel machen, aber der hat sich längst verzogen, als ich aus der Dusche steige. Fast eine Stunde lang singen die Indris. Sie scheinen recht weit weg zu sein, man hört sie recht leise im Hintergrund der Frühstücksterrasse.
Ich fahre heute mit zurück nach Tana, um die nächste Reisegruppe abzuholen. Vor der Abfahrt gibt es noch ein wunderhübsches Calumma parsonii cristifer-Mädchen in der Hecke zwischen Weg und Bungalows zu bestaunen, die sich geduldig als Fotomodell zur Verfügung stellt. Im Bungalow stopfe ich mein Gepäck in den Rucksack. Hauptsache, alles ist drin, ich sortiere sowieso nichts mehr.
Pünktlich um halb Neun brechen wir mit Christian, Dimby und Rapha im roten Bus auf in Richtung Antananarivo. Die Straße auf dieser Seite von Andasibe hat zwar etwas weniger Kurven, aber dafür ist sie seit dem letzten Jahr massiv schlechter geworden. Überall sind tiefe Löcher oder Risse, und selbst reparierte Stellen haben locker zehn Zentimeter Höhenunterschied zum alten Asphalt. Seitdem ich das letzte Mal hier gefahren bin, wurden viele neue Häuser und Hütten gebaut.
Kurz vor Mandraka gibt es die obligatorische Pipipause, im Dorf selbst essen wir in einem kleinen Restaurant zu Mittag. Es ist ein typisches Truckerrestaurant, in dem es zwar nur eine sehr kleine Auswahl Gerichte (Reis mit Huhn, Zebu oder Gemüse) gibt, diese aber sofort serviert werden. Das Essen wird in großen Töpfen den ganzen Tag warmgehalten und solange ausgegeben, bis die Töpfe leer sind. Ich stochere in meiner riesigen Portion Reis herum, soviel Reis schaffe ich niemals. Vor den offenen Türen des Restaurants laufen Frauen und Mädchen mit Blechplatten voll Bananen, Orangen und Ingwer herum. Einige verkaufen Mispeln, die sie in kleine Gebinde eingeteilt haben. Ich kaufe für 800 Ariary drei oder vier Hände voll der süßen gelben Früchte. Ein paar sind bitter, ein paar verwurmt, aber bei den paar Cent kann sich niemand beschweren.
Die Straße führt uns weiter nach Tana. Die ein oder andere Baustelle ist mit Männern in gelben Warnwesten versehen, aber die wenigsten arbeiten. Ohne groß Material ist das, zugegeben, auch etwas schwierig. Zumindest Dampfwalzen, Schotter, Schubkarren und blaue Helme haben sie. Nach und nach windet sich die Straße in mehr und mehr Kurven. Überladene Lkws kriechen vor uns her und stoßen schwarze Rauchwolken in die Luft.
Antananarivo ist genau so, wie ich es in Erinnerung habe: Voll mit Menschen und Zebus, verstopft von Renault R4s, Taxibrousse, Charettes und Lkws. Überall liegt Müll auf dem Boden oder zu Haufen am Straßenrand. Roter Staub wird vom Wind in die Luft gewirbelt. Je näher man der Stadt kommt, desto mehr wackelige Holzhütten drängen sich entlang des Horizonts, über dem der abgebrannte Rova thront. Ein großer Fluss läuft eine ganze Zeit parallel zur Straße. Im braunen Brackwasser waschen Frauen und Kinder ihre Wäsche oder bieten für einen kleinen Obolus an, Autos und Motorroller am Straßenrand zu waschen. Auch am neu gebauten Rugby-Stadion fahren wir vorbei – und ich frage mich, wozu Tana ein nagelneus Stadion braucht, anstatt mit dem Geld etwas für die verhungernden Menschen nebendran zu tun.
Auf der rechten Seite der Straße entdecke ich einen Zebu-Markt. Hunderte von Buckelrindern stehen auf einem großen Feld, einige in Gruppen, andere liegen einzeln angeleint neben der Straße. Es sind sehr schöne Tiere darunter, die ihren Besitzern sicherlich eine gute Stange Geld einbringen werden. Aber natürlich finden sich auch genausoviele klapprige, schlecht ernährte Tiere dazwischen. Sogar zwei Pferde tummeln sich auf dem Platz, woher auch immer sie kommen. Sie sind hier eine Seltenheit, wobei das sowohl an den Kosten als auch an der geringen Haltbarkeit der Tiere liegen könnte.
Gegen 15 Uhr erreichen wir das Hotel Raphia. Die Rezeption, die letztes Jahr noch links hinter dem Eingang war, ist jetzt rechts an der Wand untergebracht. Die Zimmer sind unverändert, schlicht, sauber und hübsch. Neben dem Tennisplatz finde ich ein junges Furcifer oustaleti in einem kleinen Baum. Noch vier Stunden sind es bis zum Abendessen. Ausflüge in Tana sind zur Zeit auf Grund der hohen Kriminalität, der hohen Armut und wenigen Sehenswürdigkeiten nicht empfehlenswert, zumal sowieso alle Straßen der Umgebung heillos verstopft sind und Vorankommen streckenweise nur im Schritttempo möglich ist. Und gefahren bin ich heute sowieso schon genug. Also versuche ich, das Wifi zum Laufen zu bekommen, was wie erwartet nicht funktioniert. Augustin, einer der Guides, kommt vorbei, wir unterhalten uns eine ganze Weile und er erzählt von seinen letzten Gästen.