Es ist halb sieben, als ich aufstehe. Frühstück fällt für mich heute flach, ich habe noch die Kekse vom Picknick gestern und in Ranohira kaufe ich noch ein paar Saltos. Ich hole außerdem noch zwei Liter Wasser zum Mitnehmen – das freut den Fotorucksack immer, wenn er noch schwerer wird. Mich eher weniger, aber ohne Wasser geht hier nichts. Zumal wir heute den ganzen Tag unterwegs sein werden, die Wassermenge ist also sogar eher gering berechnet.
Christian und Rapha haben das gestrige Erlebnis mit dem Bus nicht ganz vergessen. Wir fahren durch Ranohira und dahinter einen gepflasterten, steilen Weg nach unten. Es hat die ganze Nacht geregnet, der Boden ist aufgeweicht. Der Bus rutscht schon in der ersten Kurve mit dem Hinterteil weg. Nach vielleicht gerade mal einem Kilometer hält Christian an: Wir müssen laufen, er kann hier nicht weiterfahren. Der Himmel ist noch recht bedeckt, aber trotzdem ist es schon sehr warm. Zu Fuß geht es zu unserem Startpunkt. Die rote Erde ist rutschig, und wir laufen ein paar Kilometer sanft ansteigende Hügel bergauf, bis wir einen großen Parkplatz mit einem weißen Gebäude daneben erreichen.
Meine Gruppe ist heute erneut mit Rolande unterwegs. Der Weg führt eine steinerne Treppe nach oben auf die Felsen von Isalo. Einer der Felsen sieht aus wie eine Schildkröte. Auf den Felsen laufen kleine Madagaskarleguane herum, und ein Saftkugler bildet eine perfekte Kugel, als ich ihn sanft mit dem Finger anstupse. Oben auf den Felsen herrscht eine ziemliche Mondlandschaft. Nur Felsen und Zebugras, sonst nichts. Die Felsformationen erinnern ein bisschen an den Grand Canyon in den Vereinigten Staaten. In einem Baum zeigt Rolande uns zwei riesige Stabschrecken. Ich setze das kleinere Männchen kurz auf den grauen Busch direkt vor mir – und zwei Sekunden später sehe ich es schon nicht mehr. Obwohl ich GENAU weiß, wo ich es hingesetzt habe! Aber die Stabschrecke sieht einfach genauso aus wie die Äste, und so gut ich auch suche, das Männchen bleibt verschwunden. Das riesige Weibchen dagegen ist schwer zu übersehen. In einem Baum entdeckt Martina eine Katzenaugennatter, ein wunderschönes knallgelbes Tier. Es hat sich in einem Knäuel ganz eng um einen Ast geschlungen. Nur ganz vorsichtig und langsam lässt es sich entwirren, um ein paar Fotos zu machen.
Wir besteigen einen der Felsen, um an einen Aussichtspunkt zu gelangen. Und die Aussicht ist wirklich grandios hier oben! Aber nicht nur die Landschaft, auch die Pflanzen sind hier skurril. Falsche Baobabs und andere wasserspeichernde Pflanzen sind das einzige Grün, das hier wächst. Inzwischen kommt die Sonne hinter den Wolken hervor, und es wird schlagartig sehr heiß. Wir steigen wieder von den Felsen und folgen einem unscheinbaren Pfad, der oben über die Felsformationen führt. 2010 hat es hier außerdem wohl ein Feuer gegeben, wobei ein Großteil der Bäume verbrannten. Sie bilden jetzt eine geisterhaft anmutende silbrig schimmernde Silhouette entlang der Felsschluchten, an denen wir entlang laufen. Die Aussicht ist beeindruckend, großartig, faszinierend.
Es geht schließlich durch eine brütend heiße Ebene. Für faszinierende schwarz-orange gefärbte Heuschrecken kann ich mich hier oben nur noch schwer begeistern. Ich möchte gern in den Schatten, aber bis zum Mittagessen im Camp von Namaza sind es noch vier Kilometer. Rolande ist nicht zu stoppen, er befindet sich eigentlich grundsätzlich mehr neben dem Weg als darauf, um überall nach Tieren zu schauen. Ich setze mich kurz in den Schatten unter einen Baum, während die anderen Fotos von den bunten Heuschrecken machen. Noch vier Kilometer also. Und die ziehen sich. Endlich entdecke ich ein Schild, auf dem 500 m bis Namaza ausgewiesen sind. Erleichert atme ich auf. Doch die fünfhundert Meter sind wohl madagassische Meter, denn sie ziehen sich ewig dahin.
Endlich. Das Camp von Namaza. Es ist riesig. Mehrere steinerne Sitzgruppen, diverse Zelt- und Grillplätze, selbst Toiletten und Duschhaus sind vorhanden. Apropos Toiletten, wer die besucht, findet auch ein paar Kattas direkt im Baum dahinter. Sie sitzen allerdings weit oben und dösen, es ist gerade früher Nachmittag. Rolande rennt schon wieder von Baum zu Baum, sucht hier nach Schlangen und dort nach Geckos. Er wird schnell fündig: Ein Paroedura rennerae sitzt an einem Baumstamm, und springt dann auf einen Felsen. Der Gecko hat grandiose goldene Farben, und lässt sich geduldig fotografieren. Weniger ruhig ist eine ebenfalls von Rolande aufgestöberte Madagascarophis colubrinus. Die Zeit bis zum Essen, das gerade in einer improvisierten Freiluftküche zubereitet wird, vergeht wie im Fluge.
Und beim Essen haben sich die Jungs aus der Küche selbst übertroffen. Sie servieren Nudeln mit einer leckeren Ingwer-Zwiebel-Sauce, gekochten Eier und frittierten Kartoffelscheiben. Als Hauptgang gibt es Reis, verschiedenes Gemüse, Kartoffelecken und Hähnchen. Und um das Drei-Gänge-Menü mitten in der Wildnis perfekt zu machen, stellen saftige, süße Ananasscheiben das Dessert. Ich bin pappsatt und zufrieden. Während des Essens bricht der Regen los – es sind wohl die Ausläufer des Zyklons, der gestern Antananarivo erreicht hatte. Es stört aber keinen so wirklich, das leckere Essen ist Ablenkung genug.
Schließlich brechen wir auf. Der Weg zum Parkplatz sind nur zwei Kilometer, aber dort erwartet uns niemand. Der Bus ist nicht durchgekommen. Das bedeutet, den ganzen Weg von mehreren Kilometern bis Ranohira zu Fuß zurück zu laufen. Mir macht es nichts mehr, ich bin gesättigt, gut gelaunt und regnen tut es gerade auch nicht mehr. Die Sonne sticht nicht zu arg, denn die Wolken halten sie ab, und ein ganz leichter Nieselregen kühlt die Haut angenehm ab. Tatsächlich läuft es sich sehr rutschig, die Lateriterde ist schmierig und glatt. Eine der Betonbrücken weiter unten ist bereits komplett vom Wasser überspült. Zwischendurch führt Rolande uns eine Abkürzung entlang anstatt den gesamten Lateritweg, die ist dafür enorm matschig. Irgendwann erreiche ich den Bus und lasse mich erschöpft auf den Sitz fallen. Christian schmunzelt. 22 Kilometer bin ich heute gelaufen, mit dem Fotorucksack und bei ganz ordentlicher Hitze. Ehrlich gesagt, den Kilometer bis zum Hotel hätte ich auch noch laufen können. Insgeheim bin ich aber natürlich schon froh, dass Christian uns wenigstens so weit entgegen gekommen ist, wie es eben ging. Er fährt uns auch gleich ins Hotel. Die andere Gruppe ist übrigens erst gegen 19 Uhr zurück, als es schon dunkel ist.
Im Hotel ziehe ich mich nur schnell um und springe dann direkt in den Pool. Was für eine Erholung! Nachdem ich eine Weile im Schein der Poolbeleuchtung vor mich hin gedümpelt habe, gehe ich doch nochmal für eine warme Dusche ins Bungalow. Ich bin richtig, richtig platt.
Bevor ich ins Bett verschwinden kann, kommen aber nochmal Rolande, Roxy und Albert ins Hotel. Man dankt sich gegenseitig für die spannenden Tage in Isalo, es gibt Trinkgelder und E-Mails werden ausgetauscht. Und dann haben die Jungs noch eine Bitte. Sie haben meinen geupdateten Fieldguide gesehen, und auch die selbst gebastelten Schmetterlings-, Mantiden- und Phasmiden-Fieldguides. Ob sie wohl so einen kaufen könnten? Oder ob ich Ihnen etwas davon per Mail schicken könnte? Natürlich kann ich und verspreche, mich auch um einen Reptilien-Fieldguide zu kümmern.
Nachtrag: Der Fielguide wurde 2017 an Rolande übergeben, das Versprechen habe ich eingehalten. Auch wenn es etwas länger als geplant gedauert hat.
Ein Gedanke zu „Der Grand Canyon von Madagaskar“