Der Tag beginnt heute sehr früh. Das Frühstück ist schon für sechs Uhr angesetzt, auch wenn ich erst um Viertel nach unter dem Bananenblätterdach auftauche. Um halb Sieben soll es schon mit den Motorbooten quer über die Bucht von Antongil nach Masoala gehen. Es wird dann madagassisch halb Sieben, also etwas später.
Wir besteigen die Boote, die Dachplane wird entfernt wegen des Windes. Im Prinzip ist die Bucht von Antongil nur eine Verlängerung des offenen Meers und relativ ungeschützt. Entsprechend hoch ist der Wellengang, als wir die Rückseite von Nosy Mangabe erreichen und auf Masoala zuhalten. Die beiden Motorboote springen über die Wellen, die Fahrt verläuft unruhig. Über Nosy Mangabe hängen tiefe, dunkle Wolken. Eine graue Nebelwand verschleiert das Meer, doch unser Bootsfahrer zeigt: Das ist Regen. Mit vollem Speed rasen wir an der Regenwand vorbei, werden aber durch die hohen Wellen trotzdem klatschnass. Nach einer langen Fahrt kommen wir an einem langen Strand an, auf dem viele Felsen und Steine liegen. Direkt dort, wo wir anlegen, sind rund 20 Leute sehr geschäftig und nur 200 m weiter legt gerade ein Boot mit Holzladung an. Das winzige Dorf, an dem wir angelegt haben, heißt Ambodiforaha. Scheinbar werden hier gerade Bungalows für ein neues Hotel gebaut. Hier? Mitten im Nationalpark, der bekanntlich bis an den Strand reicht? Das ist doch eigentlich verboten. Später erfahre ich: Mit Geld scheint in Masoala alles zu gehen. Natürlich ist der Hotelbau verboten. Deshalb wurde die Nationalparksgrenze einfach verlegt. Wieviel Geld dafür geflossen ist, möchte ich lieber nicht wissen.
Wir spazieren mit Augustin den Strand entlang und über einen schmalen, malerischen Bach, um dann steil nach oben zu klettern. Eine dicke Blätterschicht bedeckt den Boden. Urwaldriesen begrenzen den Weg, Lianen hängen herunter, Moose und Farne wuchern am Wegesrand. Vögel zwitschern, Frösche quaken laut durcheinander. Ein zauberhafter Wald mit vielen kleinen Wasserläufen, deren glasklares Wasser über runde Kiesel und moosbedeckte Steine fließt. Die Bäume sind fantastisch. Nur leider mangelt es etwas an Tieren. Dadurch, dass man nur begrenzt Zeit hat, findet man weniger, und reptilienkundige Guides sind Mangelware in Masoala. Ein Furcifer pardalis-Weibchen mit Erde auf der Nase sitzt direkt am Wegesrand, aber sonst sehen wir wenig. Na gut, ein kleines Highlight gibt es: Ein Calumma parsonii parsonii, der berühmt-berüchtige mystische green giant, klettert rund zehn Meter über uns durch’s Blätterdach. Schade, dass wir ihn nicht näher betrachten konnten.
Knapp drei Stunden laufen wir durch den Park, sie vergehen wie im Fluge. Ich wäre gerne noch länger geblieben, aber unsere Bootsmänner tippen auf die Uhr: Am Nachmittag wird das Meer unruhig werden, und dann ist kein Durchkommen mehr nach Nosy Mangabe. Also verzehren wir unser mitgebrachtes Picknick am Strand und steigen wieder in die Boote. Tatsächlich ist es gerade mal ein Uhr, und trotzdem ist das Meer jetzt schon wahnsinnig aufgewühlt. Die Wellen sind viel höher als am Morgen.
Als wir auf Nosy Mangabe zufahren, bauscht sich links davon eine riesige, dunkelschwarze Wand auf. Ein Sturm? Mir wird mulmig. Auch der Bootsfahrer schaut besorgt drein. Er fährt einen etwas schrägeren Kurs nach rechts, doch die schwarze Wand kommt näher und näher. Riesige Wellen türmen sich in der Ferne auf. Oh Gott, da will ich nicht hineingeraten. Und wir haben Glück: Unsere Bootsleute wissen genau, was sie tun, und bringen uns letztlich sicher – und verhältnismäßig trocken – zurück nach Nosy Mangabe.
Die geplante Nachtwanderung am Camp entlang wird auf morgen verschoben, da leider fast alle Klamotten inzwischen nass geworden sind. So manch einer hat keinen Ersatz dabei – eine einzige Hose im Regenwald ist schon, naja. Mutig oder leichtsinnig? Letztlich passt es aber ganz gut so mit der Planung, denn am Abend bricht ein großes Gewitter über die Insel herein. Es schüttet wie aus Eimern, so ist das eben im Regenwald zur Regenzeit. Trotz des Regens huschen im Schein der Taschenlampe wieder viele Mausmakis von Ast zu Ast.
Meine Augen haben irgendwie einen Zug abbekommen bei der Bootsfahrt und brennen unangenehm. Daher gehe ich früh ins Bett und verschlafe das Gewitter größtenteils. Es donnert und blitzt ununterbrochen, als ich in einen tiefen Schlaf falle.