Kurz nachdem es hell wird, stehe ich auf. Auf der Terrasse turnt eine Lemurenfamilie herum, und wüssten sie, wie das geht, würden sie wahrscheinlich klopfen und um Bananen bitten. Ich öffne vorsichtig die Holztür des Bungalows und trete ein paar Schritte auf die Veranda. Dort sitzt bereits eine Kronenmaki-Mama mit ihrem Nachwuchs, Zwillingen. Ein kleiner Junge in Rot und ein kleines, graues Mädchen, beide sind herzallerliebst. Ein paar ihrer älteren Nachkommen sind ebenfalls in den Bäumen um die Veranda zugegen. Die Zwillinge trauen sich bereits von ihrer Mama weg und gehen auf eigene Faust auf Erkundungsreise. Das Mädchen ist total süß und sehr gewitzt, sie klaut sich nach einer Weile sogar schon Rambutan aus meiner Hand, beißt aber vor Schreck fast in meinen Finger, als ich mich bewege. Ihr kleiner Bruder scheint ein bisschen verstrahlt. Er traut sich nicht so richtig ran, beißt in die Rambutanschale anstatt in die Frucht und springt mal zu kurz, wenn er den Nachbarast anpeilt, und plumpst dann auf den Boden. Seine Mama eilt ihm aber schnell zur Hilfe.
Um Acht schlendern Tanala und ich über den Kiesweg zum Restaurant, wo uns bereits ein reiches Frühstück erwartet. Das selbstgebackene Brot ist eines der besten Madagaskars, und die Obstplatte wird nur noch übertroffen vom selbst geernteten Honig. Den gibt es aber erst auf explizite Bestellung meinerseits.
Danach ist es Zeit für den Tieflandregenwald. Ich laufe zum Bungalow, ziehe die dicken Schuhe an trotz dicker Füße und laufe hinter dem Restaurant meiner Gruppe hinterher, die mit Romeo schon losgezogen sind. Romeo hat bereits einen winzigen Frosch gefunden. Wir laufen entlang der kleinen Vanilleplantage zwischen den Kakaobäumen in Richtung Wald, als wir auf ein schwarzes Indriweibchen treffen. Sie sitzt ganz alleine an einem dünnen Baum und schaut scheu zu uns herüber. An Romeos Bananen ist sie sehr interessiert, traut sich aber noch nicht so recht, zuzugreifen. Wir laufen weiter in den Wald – wo ein Indri ist, dürfte auch der Rest der Familie nicht weit weg sein. Den flachen, breiten, sandigen Weg geht es entlang, bis Romeo irgendwann rechts in einen schmaleren Pfad abbiegt. Er imitiert das Singen der Indris, um den Rest der Indrifamilie anzulocken.
Und es klappt: Erst wackelt es in den Baumwipfeln, dann springen drei schwarz-weiße Schatten immer näher heran. Die Indrimama mit ihren beiden Kindern kommt bis auf Kopfhöhe zu uns herunter. Als ich gerade ein Foto der Indrimama mache und dafür eine Banane in der Hand über meiner Kamera halte, spüre ich plötzlich weiche Finger an meiner Hand. Einer der beiden Nachwuchs-Indris ist unbemerkt in den Baum hinter mir gesprungen und angelt mit seinen samtigen Fingern nach dem Bananenstück. Indris sind einfach Faszination pur. Der Kleine ist so neugierig, dass er sich sogar ganz sachte über das samtweiche Fell fahren lässt. Bei den Indris könnte ich ewig Zeit verbringen. Die Mama geht ganz sanft mit ihrem Nachwuchs um, und schiebt die beiden maximal ein bisschen weg, wenn sie zuerst ein Stück Banane möchte. Wie anders waren da die Kattas in Ambalavao! Da wurden schonmal Schellen verteilt, wenn der Nachwuchs nicht parierte. Und von sanft war bei den Kattas auch nicht viel zu merken. Die Indris sind nicht nur die größten Lemuren Madagaskars, sondern, wie ich finde, auch die faszinierendsten. Na gut, direkt hinter den Seidensifakas.
Nach dem schönen Treffen mit den Indris laufen wir zum Strand herunter. Ein kurzes Stück geht es am Ufer des Ampitabe entlang. Die Sonne kommt hinter den dicken Wolken hervor, es wird stickig und warm. An einer sumpfigen Stelle des Ufers folge ich einem schmalen Pfad ins Gebüsch. Ein modriges Bächlein verläuft zwischen Ravenalas, Pandanus und einer Unmengen von Kannenpflanzen (Nepenthes madagascariensis). Gemessen an der Zahl der Pflanzen, scheinen die Nepenthes sich hier ganz wohl zu fühlen. Hunderte stehen entlang kleiner, sumpfiger Teiche hier im niedrigen Gebüsch. Ich entdecke ein paar vertrocknete Blüten, die meisten Pflanzen haben bereits alle Altersstufen von Kannen ausgebildet. Auf den Rändern der Kannen kleben kleine Tropfen der Flüssigkeit, die zu leichtsinnige Insekten ausrutschen lassen. Ein paar Insekten schwimmen in den Kannen herum, eine Nepenthes-Mahlzeit sozusagen. Vorne am Strand gibt es allerdings auch noch etwas zu sehen: Auf trockenem, angeschwemmten Gehölz sitzt ein riesiger Oplurus. Und in den niedrigen, dickblättrigen Gebüschen am Ufer finden sich noch ein paar Frösche. Langsam schlendern wir alle wieder zum Restaurant zurück. Dort haben die Jungs noch eine Überraschung: Einer von ihnen hat ein Brookesia cf. peyrieriasi gefunden, ein winziges Erdchamäleon.
Das Mittagessen lasse ich aus, es gibt eh zu jedem THB frisch geröstete, noch warme Erdnüsse und Brotfrucht-Sticks gereicht. Ich entspanne in der Hängematte, und füttere später die Schildkröten mit Hibiskusblüten. Dafür können sie sogar richtig losrennen. Ein einzelnes Vari-Weibchen schaut vorbei und nimmt gerne die ein oder andere Rambutan. Nur ihre Essgewohnheiten sind etwas skurril: Sie nimmt die komplette Rambutan ins Maul, kaut dann mit in den Nacken gelegtem Kopf die Schale ab und spuckt die sowie den Kern auf den Boden der Veranda. Am Nachmittag finden sich noch drei weitere Varis am Restaurant ein. Ein Männchen mit braunem Rücken ist laut Dimby zwar sehr scheu, lässt sich aber durchaus von Bananen verführen. Als mehr Leute zum Restaurant kommen, ist es ihm aber dann doch zuviel. Laut schimpfend flüchtet er sich auf einen nahe gelegenen Baum und brummelt dort noch lange vor sich hin. Die beiden anderen Varis nutzen die Chance, lassen sich kopfüber von den Bäumen hängen und schauen, wo sie noch etwas abstauben können.
Zum Abendessen gibt es Huhn in Vanillesauce, ein Gedicht! Dazu gibt es Kochbananen und Gemüse. Später wollen wir noch zur Aye-Aye-Insel rausfahren. Es ist fast Vollmond, und es ist fast schon hell auf dem See. Das Boot kann ohne jegliche Lampen zur Insel fahren, und landet mit der Nase im Strand direkt neben einem nagelneuen Holzsteg. Leider mussten Zäune gebaut werden, um übereifrige Gäste daran zu hindern, den Tieren zu nah auf die Pelle zu rücken. Das trübt das Erlebnis ganz gewaltig, zumal die Tierchen nur in fünf bis zehn Metern Entfernung vorbeihuschen. Das ist nichts für mich, hat mir zuviel von Zoo und zu wenig von Natur. Mir sind es auch zuviele Leute auf einmal. Eine Wand aus Leuten klebt vor den Tieren – kein Wunder, dass es da Zäune braucht. Wie schön war es letztes Jahr, nur zu dritt mit Sylvain und den Nachtwächtern, als noch weder angelegte Wege noch Zäune da waren.
Als ich wieder im Bungalow bin und meine Schuhe ausziehe, habe ich einen schicken, knallroten Ausschlag da, wo die Socken doppelt lagen. Die eitrigen Wunden sind auch nicht besser, nur die Rostnagelwunde heilt. Immerhin werden die Ödeme weniger.