Heute schlafe ich lange aus. Als ich mich aus dem Bungalow bewege, scheint die Sonne über den Bäumen, es ist angenehm warm, ein leichtes Lüftchen weht vom Indischen Ozean herüber. Am Vormittag will Sylvain Martin, Tanala und mir das umgebaute Annexe zeigen, das jetzt Palmarium Beach heißt. Übrigens auch eine Folge unseres Rum-seligen Abends. Sylvain ist pünktlich. Neben dem großen Holzsteg am Strand macht er ein kleines Holzmotorboot los. Wir steigen ein, er lässt den Motor an und wir brausen durch das niedrige Wasser am Strand entlang zum Palmarium Beach. Schilfrohre schlagen gegen den Bootsrumpf. Nach einer kurzen Fahrt landet das Boot an einem kleineren Anleger aus dunklem Holz. Wir steigen aus und schauen uns um. Momentan ist kein Gast da, deshalb zeigt Sylvain auch gerne das Innere einiger Bungalows. Die sind superhübsch, mit Kies in der Dusche und Double King Size-Betten mit passenden Moskitonetzen. Also das nächste Mal buch ich dann hier! Die Bungalows stehen entlang eines kleinen Sees, der umgeben ist von Bäumen voller Orchideen, die von Hand gepflegt werden. Im November muss es hier grünen und blühen ohne Ende. Zu jetzigen Jahreszeit blühen nur ein paar wenige Orchideen. Das Restaurant des Palmarium Beach ist etwas kleiner, hat aber dafür einen tollen Seeblick.
Eigentlich sind wir aber hier, um die zweite Indrigruppe zu besuchen, die im Regenwald hinter den Bungalows lebt. Tatsächlich müssen wir gar nicht suchen. Zu unserer Überraschung warten die Tiere nur zehn Meter vom Ufer entfernt auf uns. Ein erst zweijähriges Jungtier sitzt ein paar Meter hoch im Baum und schaut uns mit seinen noch hellblauen Augen an. Es ist sehr schüchtern, und kennt Menschen noch nicht wirklich. Wir bieten eine Banane an und gehen etwas weiter weg, aber so richtig traut das Jungtier sich nicht ran. Die anderen bleiben gleich ganz oben im Baum und beobachten uns aus sicherer Entfernung. Aber um zu verschwinden, sind sie dann doch zu neugierig. Wenig entfernt davon finden wir noch ein hübsches, dunkles Calumma parsonii-Männchen. Auch dieses ist allerdings sehr schüchtern und dreht sich lieber hinter einen Ast.
Irgendwann beenden wir unseren kleinen Ausflug und fahren mit dem Boot wieder zurück zum Palmarium, das Mittagessen ruft. Zwei hübsche Pantherchamäleon-Männchen sitzen im ehemaligen botanischen Garten.
Während ich ein Sandwich bestelle, erzählt F nebenbei, dass er eine der Schildkröten bei der Eiablage beobachten konnte. Ich flitze direkt hin und finde zum Glück das Weibchen gerade noch dabei, wie sie das Loch wieder verschließt und Blätter über den Sandhügel schiebt. Ich markiere die Stelle mit einem Kreuz aus Ästen und suche Sylvain. Ob er schonmal Schildkröten-Nachzuchten hatte? Nö, gab es hier seit Jahren nicht mehr. Obwohl Männchen und Weibchen der Strahlenschildkröten vorhanden sind. Tanala und ich haben eine etwas skurrile Idee: Wir bauen einen Inkubator. Sylvain ist direkt dabei. Also buddeln wir ganz vorsichtig die drei kugelrunden, hartschaligen, schneeweißen Schildkröteneier aus. Einen Inkubator basteln wir aus einer gelöcherten Plastikwanne, die wir in den Sand eingraben. Dann verstreuen wir etwas Laub obendrüber und machen ein Gitter auf die Wanne, als Schutz vor hungrigen Tanreks und neugierigen Lemuren. Warm genug, dass sich die Eier hier quasi selbst inkubieren, ist es ja.
Am Nachmittag laufen Tanala, Martin und ich zum Aussichtspunkt am Krokodilsee. Als wir gerade den Kiesweg verlassen, entdeckt Martin einen winzigen Skink, dessen Haut wie ein Regenbogen leuchtet. Nach ein paar Fotos schaffen wir es dann aber wirklich zum Aussichtspunkt. Sylvain kommt dazu. Er hat schon ein paar Bäume pflanzen lassen im letzten Jahr, allerdings mehrheitlich Obstbäume wie Mangos und Litschis. Gegenüber einer kleinen Ananasplantage, Richtung Krokodilsee und darüber, ist ein ganzer Steilhang ohne jeden Baum. Nur kniehohes Gebüsch hier und da, mehr nicht. Hier wollen wir wieder einen Wald entstehen lassen. Die ersten Setzlinge bringt einer der Jungs in zwei Bambuskörben, die links und rechts an einer dicken Bambusstange hängen. Jeder Setzling steckt in einer kleinen Tüte, die man vor dem Einpflanzen noch entfernen muss. Sylvain nimmt eine Schaufel und buddelt Löcher. Es gibt sogar Erde an dem eigentlich sandigen Hang. Dann geht es los: Jeder schnappt sich Setzlinge seiner Wahl und fängt an, die Setzlinge einzubuddeln. Und das ist erstaunlich anstrengend an einem so steilen Hang bei strahlendem Sonnenschein. Ich schwitze vor mich hin, und buddele nach und nach sechs kleine Mahagoni-Bäumchen ein. Und noch irgendwas anderes. Ich bin super gespannt, wie gut die Pflanzen anwachsen. Es ist ein super Gefühl, selbst die Bäume zu pflanzen. Leider wird es schnell dunkel, und wir beschließen die Sache für heute. Die meisten Bäumchen stehen schon und sind sogar das erste Mal gewässert. Rundum zufrieden laufe ich langsam wieder zurück zu den Bungalows.
Abends bietet die Küche ein etwas besonderes Menü: Überbackene Christophine, eine grüne, avocado-große, runzelige Frucht mit Längsfurchen. Ich habe die Frucht noch nie gegessen, aber sie schmeckt megalecker. Danach gibt es Thunfisch, frisch gefangen, und zum Abschluss ein Stück Schokokuchen mit triefender, weißer Sauce, superlecker.
Am Abend starten wir zum zweiten Versuch mit den Aye-Ayes. Noch im Hellen fährt das Boot über den Ampitabe zur Insel. Die Gruppe ist kleiner, und Sylvain hat meine Vorschläge direkt umgesetzt. Das Boot legt am Steg an. Zugegeben, der ist wirklich ganz praktisch – man muss nicht in den Sand springen und landet auch nicht im Nassen. Sylvain hat es sich nicht nehmen lassen, heute selbst das Boot zu fahren. Leise schleiche ich die Stufen nach oben zu den Beobachtungspunkten auf den kleinen Lichtungen. Wir brauchen nur kurz warten, dann wird es schon dunkel, und wenig später sind die Waldgeister unterwegs. So wird es doch noch ein unvergesslicher Abend.
Ein großes Aye-Aye-Männchen kommt ganz nah heran. Er entscheidet sich dann aber lieber für eine Kokosnuss in der Astgabel anstatt für meine Bananen, aber lässt sich in keinster Weise von mir stören. Die Tiere sind einfach zauberhaft. Trotz ihres gruseligen Aussehens mit dem struppigen Fell und den Biberzähnen haben sie einen ganz eigenen Charme. Nach ein paar Minuten verschwindet das Männchen mit dem kleinen, schwarzen Fleck auf der Nase. Ich warte ein paar Minuten, aber es kommt nicht zurück. Also stehe ich so leise wie möglich auf – überall klebt Sand – und schleiche zur zweiten Lichtung. Im Schein der Stirnlampe erkenn ich ein Weibchen, das eilig vorbeihuscht. Ich dimme das Licht und warte ab. Tanala, Dimby und ich sowie vier andere sitzen im Sand und warten im Stockfinsteren. Keiner rührt sich. Nach einer ganzen Weile höre ich ein Grunzen. Hier wird’s doch wohl keine Wildschweine geben? Als ich vorsichtig das Licht anmache, sitzt das Aye-Aye direkt vor mir. Es läuft grunzend-niesend über den Boden, begutachtet jeden der Anwesenden vorsichtig mit leisem Schnüffeln, und findet dann doch noch die Kokosnuss in der Astgabel. Ein faszinierender Moment, dem Tier so nahe zu sein. Die Kokosnuss scheint aber nicht ihr Ding zu sein, und sie springt schnell in einen Baum. Dimby mahnt leise zum Aufbruch. Die Zeit ist so schnell vergangen, es kommt mir vor, als seien wir nur Minuten hier gewesen. Leise wandern wir alle wieder zum Bootsanleger, die Gedanken noch voll der fantastischen Fabelwesen, die wir heute besuchen durften. Heute bekommen die Nachtwächter ein anständiges Trinkgeld, entsprechend freuen sie sich auch.