Ich liege noch im Bett, als ich die Indris rufen höre. Leise singen sie im Regenwald, und ich beschließe, dass das der richtige Soundtrack zum Aufstehen ist. Nach einer warmen Dusche und Anziehen laufe ich mit Tanala zum Restaurant, wo noch niemand außer uns ist. Nach und nach trudeln alle ein. Während ich gerade in mein Baguette beiße, sehe ich im Augenwinkel etwas gegenüber im Wald hupfen. Bestimmt wieder die Makis, denke ich noch. Aber nein, es sind drei Indris, die sich ausnahmsweise mal am Waldrand gegenüber des Hotels durch die Bäume bewegen. Ein eher seltener Anblick so nah am Hotel.
Heute sind wir mit Donnat unterwegs, und zwar in Analamazaotra. Die Gruppen tauschen quasi die Parks. Alles ist patschnass, es hat heute Nacht ziemlich geschüttet. Der Weg ist matschig, und wird erst mit der rauskommenden Sonne am Vormittag etwas trockener. Der Morgen beginnt eher ernüchternd. Wir schlendern einen Rundweg entlang, werden aber noch nicht so richtig fündig. Das soll sich aber noch ändern!
Ich folge Donnat mit den anderen einen Hügel nach oben. Oben angekommen, lässt er uns erstmal kurz stehen, dann holt er uns wieder ab. Wir laufen eine Weile durch den Wald, einen weiteren Hügel rauf und lange geradeaus. Dann stehen wir plötzlich direkt unter ihnen: Diademsifakas! Sechs Tiere sind es, eine kleine Familie, ein Teil davon mit Peilsendern ausgestattet. Sie werden hier erforscht, damit man ihre Lebensweise besser versteht und so vielleicht auch ihren Schutz besser vorantreiben kann. Ein junges Männchen klettert neugierig am Baum herunter, bis er nur drei Meter vor mir sitzt. Anscheinend will er doch mal gucken, was unter ihm so los ist. So nah war ich den Diademsifakas noch nie. Und auch die anderen sind fasziniert von den goldenen Sifakas mit dem weißen Krönchen auf dem Kopf. Die Gruppe lässt sich von uns wenig stören. Sie springen zwischen den Bäumen umher, direkt über unseren Köpfen gibt es momentan anscheinend besonders leckere Früchte. Danach setzen sich die Diademsifakas zur Mittagsruhe auf querverlaufende Äste in luftiger Höhe. Von unten kann man sie toll beobachten, wie sie sich putzen, sich aneinander kuscheln oder sich gähnend am Hintern kratzen. Die Sifakas gehen sehr sanft miteinander um. Zwischendurch betreiben sie ausgiebige Fellpflege und bilden dabei solche Knäuel in den Astgabeln, dass man nicht mehr erkennen kann, wo oben und unten ist. Einer lugt dabei immer mal wieder zu uns herunter, als ob er sich versichern wollte, dass wirklich keine Gefahr von uns ausgeht.
Irgendwann ruft Donnat zum Aufbruch. Wir haben eine kleine Ewigkeit bei den Sifakas verbracht, aber bei Lemuren vergeht die Zeit immer wie im Fluge. Wir verlassen den Hügel wieder und laufen an einem großen Pandanus vorbei, in dem Markus einen Taggecko entdeckt, der direkt neben einem Frosch sitzt. Etwas weiter am Weg entlang findet sich außerdem noch ein sehr hübsches, türkises Calumma parsonii cristifer-Männchen. Es war gerade auf dem Weg eine dünne Liane hinauf, als wir vorbeikamen.
Der Weg führt uns entlang eines schmalen, mit vielen dicken Wurzeln bedeckten Pfades. Donnat führt uns ein paar Meter ins Gebüsch und an einen Hang. Er deutet schräg nach oben in die Luft: Indris sitzen über uns. Drei oder vier Tiere, aber sie sitzen sehr weit oben in den Bäumen und haben sich wohl schon zur Mittagsruhe begeben. Wir beobachten sie kurz, brechen aber bald wieder auf, da sich außer schlafenden Lemuren wenig tut. Donnat hat aber noch mehr zauberhafte Kreaturen im Regenwald für uns gefunden. Er läuft mit uns zurück auf den schmalen Pfad, und Richtung Rundweg. An einem abgebrochenen Baumstamm sitzt ein Uroplatus sikorae – allerdings so gut getarnt, dass er kaum zu erkennen ist. Nur seine Zunge, die ein paar Wassertropfen von den Augen leckt, verrät ihn sofort. Eine meisterhafte Tarnung. Plötzlich sieht Donnat irgendwas hinter uns, und möchte, dass wir ganz leise sind. Er hat blaue Couas entdeckt. Querfeldein geht es vorsichtig den Couas hinterher. Es sind zwei Vögel, ein Männchen und ein Weibchen, und offenbar sind sie am Balzen. Sie vollführen einen merkwürdigen Tanz im Unterholz, mit vibrierenden Flügeln und lustigen Tönen. Es ist ganz faszinierend, dem Pärchen zuzuschauen. Sie bewegen sich allerdings unheimlich flink durch das Unterholz, so dass ich schnell nicht mehr hinterher komme.
Schließlich laufen wir wieder zurück zum Rundweg mit seinen großen Steinplatten. Der Himmel hat sich zugezogen, es fängt an zu tröpfeln. Wenige Meter vor dem Park Office kriecht noch eine riesige Sanzinia madagascariensis über den Weg. Sie ist fast armdick, und wir tragen sie vorsichtig an den Wegesrand. An ihren trüben Augen kann man sehen, dass die Schlange sich gerade in der Häutung befindet und eigentlich nicht gestört werden möchte. Gerade, als ich sie zurückgesetzt habe, fängt es richtig an zu regnen. Schnell laufe ich den anderen hinterher zum Parkplatz, wo der Bus schon auf uns wartet.
Mittags gehen wir in Maries Restaurant gegenüber des Hotels essen. Marie hat das Restaurant im letzten Jahr selbst erbaut, und ist gerade an diversen kleinen Bungalows dran. Das neue Restauant steht genau neben ihrem Souvenir-Geschäft und dem Backsteinhaus, in dem sie für Trucker und Busfahrer kleine Zimmer vermietet. Ich bin gespannt, wie das Essen hier sein wird. Das Restaurant selbst ist schon mal sehr hübsch, hat große Fenster und ein paar Taggeckos flitzen über die Wände. Weiß eingedeckte Tische, Holzstühle und eine kleine Bar, ein paar gemalte Bilder von einheimischen Tieren hängen an den Wänden. Ich bestelle „Brochettes Harlequin“, was auch immer das wird. Es sind Fleischspieße mit etwas Gemüse und einer enorm leckeren Erdnusssauce. Auch die anderen sind sehr zufrieden bei Marie. Hier passt alles.
Den Nachmittag über hat jeder zur eigenen Verfügung. Der ein oder andere schläft sich aus, Tanala, Chrissi und ich testen die mitgebrachte Drohne auf der Straße vor dem Hotel. Als es dunkel wird, freue ich mich auf die geplante Nachtwanderung in dem kleinen Reservat V.O.I.M.M.A. Leider wird daraus nichts. Regenwolken ziehen auf, und obwohl es trocken ist, wollen Tanala und Dimby die Wanderung lieber abblasen. Es wird letztlich abgestimmt. Ines und ich stimmen als einzige für die Nachtwanderung. Wir sind doch nicht aus Zucker! Leider sind alle übrigen dagegen, also bleiben wir ganz demokratisch hier. Mich ärgert das ein bisschen, denn gerade wenn es nieselt, findet man besonders viele Tiere. Und noch ist nicht mehr Regen in Sicht, nur die Wolken hängen eben über dem Regenwald. Betrübt verziehe ich mich ins Bungalow und gehe früh schlafen. Eine Gruppe Tschechen ist gerade angekommen. Laut rufend suchen sie nach ihren Bungalows – oder jedenfalls hoffe ich, dass sie das tun. Hoffentlich finden sie die bald.