Schon um fünf ist die Nacht zu Ende. Die nervigen Tschechen von gestern haben noch die halbe Nacht gröhlend und brüllend zwischen den Bungalows verbracht, was auch nach Protest mehrere Bungalow-Nachbarn nicht abriss. Achja, geregnet hat es übrigens nicht. Keinen Tropfen.
Meine Laune bessert sich beim Frühstück, das letzte Zebu-Sandwich für diese Reise wartet. Direkt gegenüber der Terrasse wackelt es auf einmal in den Bäumen. Wieder die Makis? Nein, ein weiß-schwarzer Kopf und ein goldener Arm schauen aus dem grünen Dickicht. Eine Gruppe Diademsifakas hat den Weg an den Rand des Waldes gefunden. Das ist mal ein tolles Frühstück. Die Sifakas tollen durch die Bäume, und dann beginnen die Indris zu singen. Anscheinend haben sich die Sifakas etwas zu forsch in ihr Gebiet vorgewagt. Ein wunderschöner Abschied von Andasibe.
Christian und Rapha haben bereits den Bus geputzt, es ist heute ihr letzter Tag mit uns für diese Reise. Das Gepäck wird auf dem Dach in eine Plane gewickelt und gut verschnürt. Die Fotorucksäcke kommen mit in den Bus hinein. Alle einsteigen! Dann beginnt die lange Fahrt. Durch die grünen, aber leider recht kahlen Hügel des östlichen Hochlandes führt unser Weg heute zuerst nach Vohimana. In der Nähe des Reservats, an einem steilen Hang, kann man Calumma gallus finden. Die Art gehört zu meinen liebsten kleinen Chamäleons, wegen ihrer langen Nase und natürlich der tollen Farben.
Régisse, der in einem der benachbarten Dörfer wohnt, war in der Nacht bereits auf der Suche. Im Schein der Taschenlampe ist es einfacher, die Tiere zu finden. Und auch heute früh war er schon unterwegs – da er die Chamäleons ja schlecht mitnehmen kann, musste er sich die Fundorte markieren und nach Sonnenaufgang schauen, wo sie gerade saßen. Das hat er natürlich gemacht, und kann uns jetzt nach relativ kurzer Suche stolz drei Männchen und ein Weibchen von Calumma gallus präsentieren.
Die gaaanz geringfügig größeren yellow giant Parsons Chamäleons, die im gleichen Habitat vorkommen, braucht man nicht nachts suchen. Ein Weibchen sitzt direkt am Ende des Weges, den wir entlang spazieren, und Dimby findet wenige Meter davon noch ein junges Männchen, das noch keine Adultfärbung zeigt. Wer dann eigentlich noch das kleine Furcifer bifidus-Kerlchen findet, weiß ich gar nicht. Ich bin selig, so viele grandiose Chamäleons. Bestimmt zwei oder drei Stunden verbringen wir hier, fotografieren und beobachten die Tiere.
Als wir wieder im Bus sitzen, ruft Dimby plötzlich „Look there!“ und deutet nach draußen. Dort sitzt, mitten im Gebüsch am Straßenrand, ein riesiger Falter, der in allen Farben des Regenbogens leuchtet. Sein Name lautet passenderweise Regenbogenfalter (Chrysiridia rhipheus). Trotz des wunderschönen, schillernden Äußeren ist es aber kein Schmetterling, sondern eine Motte. Eine Motte, die erstaunlicherweise jedoch tagsüber fliegt und die man trotzdem nur schwer zu Gesicht bekommt. Ein toller Fund also.
Wir nehmen Régisse noch bis Beforona mit, er hat hier auf dem Markt einiges zu erledigen. Bunt gekleidete Menschen strömen über die Straße. Im Schritttempo fahren wir durch die Menschenmengen, vorbei an Marktständen, kleinen Geschäften und spielenden Kindern. Dann geht es weiter die RN2 entlang, und immer weniger Dörfer säumen die Straßen. Ab und zu taucht die Eisenbahnlinie nach Tamatave neben der Straße auf, aber hier fährt heute kein Zug. Es geht Kurve um Kurve weiter, stundenlang.
Am Straßenrand deutet Christian irgendwo auf einen Mann, der einen Stock in Richtung der Fahrbahn hält. Daran baumeln zwei noch zappelnde Tanreks. Es ist offiziell natürlich verboten, die kleinen Säuger im Wald zu fangen. Nichtsdestotrotz wird es gemacht, und die Tanreks werden dann an der Straße zum Kauf angeboten. Noch zwei weitere junge Männer passieren wir, die Tanreks an ihren Ästen baumeln haben, diese sind allerdings schon tot. Passend dazu ziehen hier und da Rauchschwaden über die kahlen Felder. Es wird gerodet, auch wenn gerade nicht die „beste“ Jahreszeit dafür ist. Tavy heißt es, das traditionelle Brandroden auf Madagaskar. Es ist leider derart tief verwurzelt, dass das gesamte östliche Hochland fast nur noch aus Ravenalas, Eukalyptus und anderer Sekundärvegetation besteht.
An den vielen Obstständen hinter Brickaville halten wir an und steigen aus, um uns für Akanin’ny Nofy zu bewaffnen. Gut, und vielleicht die ein oder andere Banane selbst zu naschen. Ich kaufe einen Bastkorb voll Rambutan für 1500 Ariary, der um das Obst mit einem Bananenblatt ausgelegt ist. Mit Martin teile ich mir außerdem noch eine ganze Staude voller kleiner Bananen für ganze 4000 Ariary. Letztes Jahr war das Obst günstiger, stelle ich stirnrunzelnd fest. Es kommt scheinbar auch ganz darauf an, wer und in welcher Sprache man kauft. Wer weiß ist, bekommt grundsätzlich einen Vazaha-Aufschlag. Der verringert sich etwas, wenn man Madagassisch spricht. Den günstigsten Preis bekommen natürlich Madagassen selbst. Es ist also oft nicht die schlechteste Idee, einen Madagassen verhandeln zu lassen, obwohl man das sprachlich vielleicht selbst könnte.
Gegen Mittag erreichen wir Manambato, nachdem der Bus über die paar Kilometer offroad Piste bis an den kleinen Ort am See der Könige gerumpelt ist. Rapha und Christian verlassen uns hier, sie haben einen neuen Auftrag in Tana und können nicht mitkommen. Wir halten eine kleine Kabary vor unserem roten Bus, und bedanken uns herzlich für die große Hilfe beim Chamäleonsuchen, die tolle Begleitung und das sichere Fahren. Die beiden sind wirklich Gold wert. Entsprechend reichlich fließen auch die Trinkgelder, die Chrissi für unsere Gruppe in braunen Umschlägen überreicht.
Dann laufen wir zum Strand, wo bereits das Boot zum Akanin’ny Nofy wartet. Heute haben wir es nicht eilig, wir sind früh genug hier. Langsam tuckert das Boot über den See der Könige und in Richtung des Canal des Pangalanes. Die Sonne brennt richtig vom Himmel, so dass eine der Planen lieber nach unten gezogen wird. Gemütlich fahren wir entlang des Kanals über das ruhige Wasser. Hier und da stehen Frauen im Wasser und waschen Wäscher, einzelne Fischer in ihren Pirogen grüßen. Nach guten zwei Stunden erreichen wir den Ampitabe.
Am Steg warten schon Sylvain, Pascale und etliche andere Mitarbeiter des Palmariums. Wir bergrüßen einander herzlich. Pascale lässt es sich nicht nehmen, trotz Protest meinen Fotorucksack nach oben zu tragen. Am Restaurant warten bereits zwei schwarz-weiße Varis, die aber angesichts der ankommenden Menschenmengen lieber das Weite suchen. In sicherer Entfernung sitzen sie im Baum und beobachten das Geschehen. Die Kronen-/Mohrenmaki-Hybriden nutzen die Gelegenheit, und inspizieren neugierig das Gepäck, das so verdächtig nach Bananen duftet…
Tanala und ich haben Bungalow Nr. 5. Ich springe schnell unter die Dusche – eine Wohltat. Danach husche ich rüber zum Restaurant, wo bereits die anderen warten. Es gibt fangfrischen Fisch mit Tomatensalat. Ich bin im nächsten Paradies angekommen.