Um sechs Uhr bin ich schon wieder wach. Irgendwo kräht laut und ausdauernd ein Hahn. Ich schlurfe zur Morgentoilette zum Dusch- und Klohäuschen des Campgrounds. Ein Handtuch im Nacken, die Klorolle unter den Arm geklemmt, die Zahnbürste in der einen und die Kulturtasche in der anderen, wandele ich dann wieder zurück zum Zelt. Ein Abstecher in die Küche verheißt nur Gutes fürs Frühstück. Und das ist wirklich mega super!Es gibt frisch von Eric zubereitete Crêpes mit extra eingekaufter Nutella, fetttriefende Makasoaka – die madagassischen „armen Ritter“. Schließlich kommen Eric und Andry aus der Küche direkt unter unsere Ess-Hütte, um nach Bestellung Spiegel- oder Rührei zuzubereiten. Ein bisschen Show muss sein.
Ich habe kaum meinen letzten Crêpe verspeist, als schon die ersten Fotomotive warten. Fünf Coquerel-Sifakas springen durch die Bäume hinter dem Duschhaus. Einer sitzt unter dem Blätterdach einer Avocado, und scheint das Dach als eine Art Sonnenschirm zu nutzen. Derweil findet José eine junge, enorm freundliche Leioheterodon modestus im noch vom Tau feuchten Gras mitten auf dem Campground.
Meine Gruppe besteht heute aus Stefan, Steffie, Regina und Michael. Dimby und Choa vervollständigen mit Ndrema den kleinen Trupp, der in Richtung des See Ravelobe entlang der asphaltierten Straße zum Wald läuft. Schon auf dem Weg entdecken wir ein paar Furcifer rhinoceratus, hübsche lila-orange gefärbte Chamäleon-Weibchen. An den dicken Bäumen gegenüber sitzen neongrün leuchtende Phelsuma kochi – wirklich wunderschöne, große Geckos. Stefan und Stefanie sind begeistert von ihren Lieblingstieren, und wetteifern um den hübschesten gefundenen Taggecko.
Nach kurzem Weg auf der Straße biegen wir links ab, und laufen über eine niedrige Holzbrücke. Sie führt über Reisfelder zu einer weiteren, aber aus Metall bestehenden Brücke. Ein großer Teil der Holzbohlen sind kaputt, ich laufe daher lieber etwas langsamer. Etliche der Bohlen sind wackelig und tragen vielleicht einen leichten Madagassen, bei mir und dem Rest der Gruppe wird das schon schwieriger. Auch die Drahtbrücke dahinter hat seit 2013 einiges abbekommen: Das Drahtnetz hat Löcher, und die Befestigung der Drahtseile scheint gelitten zu haben. Trotzdem kommen alle sicher über den kleinen, braunen Bach darunter. Dahinter laufen wir zu den beiden noch stehenden Baobabs. Der dritte, der 2013 gerade von einem Zyklon gefällt worden war, ist inzwischen vollständig abtransportiert worden. Einsam stehen die beiden letzten Adansonia madagascariensis boenensis nebeneinander. Ein großer Madagaskarleguan sitzt auf einem Baumstamm neben einer kleinen Bank und beobachtet uns.
Kaum sind wir wieder im Trockenwald, raschelt es überall im Laub. Unglaublich viele Schildechsen sind heute unterwegs. Sie sitzen quasi überall: Auf Baumstämmen, auf dem Weg, am See-Ufer des Ravelobes und sind nur wenig beeindruckt, wenn man näher kommt.
Unser Weg führt weg von den Baobabs rund um den See Ravelobe. Es ist heiß, obwohl wir im Schatten des Waldes laufen, und ich schwitze vor mich hin. Den anderen geht es zum Glück nicht anders! Wir klettern über einen quer auf den Weg gefallenen, riesigen Baum. Am Stamm wachsen wunderschöne, gelb-rot gestreifte Orchideen, die sogar gerade blühen (Acampe pachyglossa). Hier und da entdecken wir eine Leioheterodon madagascariensis. Diese blitzschnellen Trugnattern zu fangen erweist sich aber als Ding der Unmöglichkeit. Pfeilschnell verschwinden sie im Laub, aufgeheizt durch die Sonne. Und wenn man mal eine zu langsame „erwischt“, sind sie leider auch garstig. Wesentlich netter sind da die Furcifer oustaleti, die hier und da in Ufernähe und im Gebüsch sitzen.
Als ich gerade an jeder Menge halbhohem, kleinblättrigen Gebüsch vorbeilaufe, läuft ein kleines Chamäleon direkt vor mir über einen winzigen, schmalen Ast. Wir rätseln ein bisschen, was das kleine Ding ist, dann werden wir uns einig: Es ist ein männliches Jungtier von Furcifer rhinoceratus. Die leicht nach oben gebogene Nase verrät es. Wie toll! Ich habe bisher kein Männchen der Art gesehen. Dahinter deutet Ndrema auf grüne, kleine Insekten, die blattartig aufgereiht an dünnen Pflanzenstängeln sitzen.
Während alle so vor sich hin schwitzen, schleicht Choa mit seinem Cowboy-Hut ganz am Ende der Gruppe. Er trägt nur seine Wasserflasche und hat nicht mal einen Fotorucksack dabei, aber offensichtlich ist er das Laufen noch weniger gewohnt als ich. Alle paar Meter seufzt er, wie anstrengend das Laufen bei dieser Hitze ist – und das als Madagasse. Ein paar Witze muss er sich natürlich schon gefallen lassen, der fußlahme Choa.
An einem hohlen, auf Schulterhöhe abgebrochenen Baumstamm entdeckt José aus der uns entgegen kommenden Gruppe einen Tanrek. Das Tierchen verkriecht sich in den hohlen Stamm, nur die Stacheln sieht man rausschauen. Ganz ganz vorsichtig drehe ich den Tanrek mit einem Handtuch so, dass ich ihn sanft herausheben kann. Da habe ich meine Foto-Rechnung allerdings ohne den kleinen Stachelträger gemacht. Der denkt nämlich gar nicht daran, seine Stachelkugel zu lösen und sich uns zu zeigen. Eine geschlagene Dreiviertel Stunde warte ich, einfach nur auf dem staubigen Boden sitzend und ohne jede Bewegung, bis der kleine Kerl doch neugierig wird und anfängt, die Gegend zu erkunden. Eine Dreiviertel Stunde mit etwa einer Million Stechmücken. Ich habe wohl zu sparsam Antibrumm aufgetragen. Aber der kleine Tanrek ist wirklich niedlich. Später setzen wir ihn ganz exakt wieder dahin in den hohlen Baumstamm zurück, wo wir ihn gefunden hatten.
Der Rest meiner Gruppe ist längst weitergelaufen und ich beeile mich, ihnen noch zu folgen. An der Hütte mit den Statuen Radamas hole ich sie wieder ein. Aber auch nur, weil sie gerade ein Furcifer rhinoceratus-Weibchen fotografieren und das natürlich ein wenig dauert. Dem Weibchen fehlt das rechte Hinterbein, es kommt aber sehr gut damit zurecht. Erstaunlich, was die Tiere in der freien Natur alles überleben. Choa macht momentan übrigens nicht den Eindruck, als würde er den heutigen Tag überleben. Er stolpert schnaufend und schwitzend vor sich hin. Er kann sich auch nicht mehr so richtig über die kleine Mahafalynatter begeistern, die perfekt getarnt an einem Baumstamm nach oben kriecht.
Obwohl ich das Ufer, wenn der Weg nahe heran führt, unablässig im Auge behalte, übersehe ich das kleine Krokodil, das Ndrema uns vorsichtig zeigt. Im Ravelobe leben sehr viele Nilkrokodile (Crocodylus niloticus), aber man sieht sie rund um den See nur selten. Das liegt zum einen an den scheuen Tieren, aber auch am enorm dicht bewachsenen Ufer – hier könnten sich auch vier Meter Krokodil problemlos verstecken. Das kleinere Krokodil, an das wir uns vorsichtig anschleichen, ist vielleicht anderthalb Meter lang. Nur die Augen schauen aus dem Wasser. Nach wenigen Minuten verschwindet es blitzartig im See – es hat uns wohl doch als potenzielle Beutegreifer wahrgenommen. Das Furcifer oustaleti, das direkt über der Wasserstelle im Schilf klettert, will dann lieber niemand so dringend fotografieren – bisher hat der ein oder andere die Warnschilder vor den Krokodilen wohl eher für einen Witz gehalten.
Auf der anderen Seite des Sees laufen wir auf einen roten Lehmpfad. Zebus stehen mitten auf dem Weg, eines direkt neben dem Weg im Gebüsch. Vorbei an den Rindern geht es wieder auf die asphaltierte Straße. Wir passieren das kleine Hüttendorf, dessen viele Fruchtcocktail-Stände in der Sonne schmoren, und laufen zurück zum Campground. Alle sind geschafft. Ein Gast kauft tatsächlich eine Flasche des scharfen Mango-Salats. Gut, wenn man eh schon Durchfall hat, ändert das jetzt auch nicht mehr so viel. Da ich aber aus sehr sicherer Quelle weiß, dass die Plastikflaschen lediglich im Wasser des Sees ausgewaschen werden, halte ich mich bei solchen Experimenten lieber zurück. Es gab da 2013 in Ambondromamy bereits ein Zusammentreffen mit einem frittierten Frosch, das in Ankarafantsika schwere Folgen hatte.
Als wir den Campground erreichen, sind Eric und Andry bereits seit Stunden in der Küche zugange. Sie haben kulinarisch wirklich was drauf und sich regelrecht ausgetobt. Zum sehr späten Mittagessen gibt es kleine, sorgfältig doppelt panierte Schnitzel. Außerdem tischen sie das weltbeste Kokoszebu mit Ingwerkarotten und Reis auf. Superlecker! Da möchte ich mich am liebsten gleich reinlegen. Wenn man weiß, dass dieses hervorragende Essen nur auf zwei kleinen Gaskochern zubereitet wurde, schmeckt es übrigens gleich nochmal besser. Falls das überhaupt noch geht.
Danach genieße ich eine kalte Dusche. Also, es ist mehr eine Dusche mit offenem Gartenschlauch, aber das kalte Wasser tut richtig gut und wäscht allen Schmutz von der Haut. Wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob die Dreckkrümel, die später trotzdem noch an mir kleben, nicht doch aus dem Duschschlauch kommen.
Abends summen beim Essen allerlei Insekten um die Gemeinschaftshütte. Während ich auf meinen Nudeln kaue, macht es plötzlich ein lautes „Pflump“ und ein riesiger Käfer landet direkt vor mir auf dem Tisch. Naja, er fällt mehr von der Decke. Huch! Wo kommt der denn her? Das bizarre Tier mit der riesigen Nase ist wohl dem Licht nachgeflogen. Wir bugsieren es vorsichtig wieder nach draußen. Später laden die Jungs – nach einem fantastischen späten Abendessen – zu einer THB- und Rum-seligen, aber sehr lustigen Küchenparty. José spielt Gitarre, es wird gesungen und gequatscht. Ein schöner Abend unter Freunden.