Wieder beginnt der Morgen mit den Coquerel-Sifakas. Ich habe nach dem Frühstück noch eine kleine Mission vor. Gestern habe ich mit Durrell in Antananarivo telefoniert (auch ein Grund, weshalb ich zur Ambalabongo-Schlucht musste – nur dort gibt es Empfang) und heute darf ich mir ausnahmsweise und nach einer Menge Vorarbeit die Nachzuchtstation für Schnabelbrustschildkröten anschauen. Astrochelys yniphora ist eine der seltensten Schildkröten der Welt. Sie wird nur hier und nirgends sonst gezüchtet, um den Wildbestand im Westen Madagaskars aufrecht zu erhalten. Der ist inzwischen auf unter 200 Tiere geschrumpft. Und da die Schildkröten extrem hohe Preise auf dem Schwarzmarkt erzielen, werden immer wieder Tiere gewildert und verschwinden von der Insel. Ich bin super gespannt auf die Tiere.
Ndrema und ich gehen zu Ernest, der die Station hier verwaltet. Er geht mit uns zu den Gehegen und schließt auf. Wir müssen alles desinfizieren und ein paar Badelatschen anziehen, die extra für die Station bereit liegen. Und da sind sie: Wunderschöne, hochbeinige Schildkröten. Die Panzer sind hell und leuchten fast ein wenig golden. Einfach unglaubliche Tiere.
Ernest ist heute wie ausgewechselt. Mit guter Laune erzählt er, welches seine Lieblingstiere sind, zeigt mir den Inkubator der Station und plaudert drauflos. Der Aufzuchtsbereich für die ersten Jahre, in denen die Schildkröten wirklich noch winzig sind, ist mehrfach eingezäunt und auch von oben gegen Vögel, Lemuren und Diebe gesichert. Ich darf sogar in die Gehege klettern. Die Schildkröten sind enorm neugierig, und nach wenigen Minuten habe ich eine ganze Gruppe etwa zehnjähriger Astrochelys yniphora an den Füßen hängen, die testen, ob sich da etwas Essbares in ihr Gehege verirrt hat. Auch die großen, ausgewachsenen Männchen und Weibchen darf ich besuchen – der ganze Stolz der Station. Sie sind so groß wie Medizinbälle, haben wunderschöne, glatte, runde Panzer und sind sehr freundlich. Ein großes Männchen lässt sich genüsslich am Hals kraulen, und ein Weibchen findet es toll, wenn man ihr sachte den Panzer kratzt. Ich bin selig. Klatschnass geschwitzt, aber mit einem für den Rest des Tages andauernden Grinsen verlasse ich die Aufzuchtstation wieder.
Ich bin ein bisschen spät dran – die anderen sind schon losgefahren. Ich steige zu Dimby ins Auto, und los geht es. Es ist schon kurz nach Zehn, und wir haben heute noch eine weite Strecke vor uns. Kaum ist man aus dem Trockenwald von Ankarafantsika heraus, fährt man lange nur doch sehr niedrige, kahle Vegetation. Sträucher, Savannen und Hitze. Ab und zu begegnet uns ein altes Taxibrousse, das Dach stets schwer beladen mit Reissäcken, Bastkörben und allerlei Krimskrams. Manche rosten bereits an vielen Stellen vor sich hin, und einem fehlt gänzlich die Stoßstange. Je weiter wir gen Norden fahren, desto mehr Mangobäume stehen links und rechts der Straße.
Irgendwo in einer langgezogenen Kurve überholen wir einen Motorradfahrer. Aber es ist kein gewöhnliches Motorrad, nein! Der Fahrer hat sein Gefährt zu einem Disko-Motorrad mit blinkender, knallbunter Beleuchtung umgebaut. Auf dem Lenker thront ein festgebundener alter Laptop, auf dem der Mann während das Fahrens Filme schaut. Nicht ganz ungefährlich bei den vielen Schlaglöchern hier…
Ein paar Kilometer vor Port Berger treffen wir, irgendwo in einem Gebüsch an einem Feldweg, Angeluc aus dem Montagne d’Ambre. Er ist seit Tagen hier, um für uns ein ganz besonderes Chamäleon zu suchen: Furcifer angeli. Die Art ist sehr selten geworden und nur extrem schwer zu finden, zumal hier alles nur noch Sekundärvegetation ist. Der Lebensraum ist klein, unübersichtlich und steht unter keinerlei Schutz. Ich bin sehr gespannt, ob Angeluc Glück hatte… er begrüßt uns, wie immer lachend. Irgendwo im Nirgendwo zeigt er uns dann, was er heute Nacht gefunden hat: Ein Furcifer angeli-Männchen, und was für eines! Es ist grell orange-weiß gestreift, und hat eine lange Nase. Sogar ein Jungtier konnte Angeluc finden. Ich bin ganz begeistert von den fantastischen Tieren.
Wir haben jedoch nicht viel Zeit, und müssen bald wieder los. Es ist unglaublich heiß. Obwohl der Himmel wolkenverhangen ist, hat es gute 35°C im Schatten. Die Autos sind brütend heiß, und selbst die Klimaanlage sorgt höchstens für ein laues Lüftchen. Der Schweiß läuft mal wieder in Strömen. Als wir endlich in Port Berger ankommen, freue ich mich wahnsinnig über eine gekühlte Cola. Wir gehen in ein kleines lokales Restaurant zum Essen. Die Küche des Restaurants ist klein, so dass es zwei Stunden dauert, bis alle ihr Essen bekommen. Mora, mora!
Auch den übrigen Tag fahren wir weiter. Als es auf fünf Uhr zugeht, sind immer mehr Zebuherden auf der Straße. Sie werden nach Hause getrieben, denn in einer Stunde wird es dunkel. Wir umkurven eine mit rot-weißen Flatterbänden „gesicherte“ Baustelle. Hier ist kürzlich ein Stück der Straße einfach weggebrochen. Und noch hat keiner beschlossen, es zu reparieren. Auch ein Grund, warum man hier eigentlich besser nicht im Dunkeln fährt: In solche Löcher könnte man leicht hineinfahren.
Erst im Dusteren treffen wir in Antsohihy ein. Von Weitem sieht man nur einzelne Lichter der Stadt auf einem Hügel, Straßenbeleuchtung gibt es keine. Wir parken vor einem neu erbauten Hotel mit Pool. Dort erwartet uns noch eine unschöne Überraschung: Das Hotel hat keine Bungalows für uns. Die wurden zwar bereits vor Monaten gebucht und zig mal abgesichert, aber gerade heute beschließt die unfreundliche Dame an der Rezeption, dass die für uns vorgesehenen Zimmer schon vergeben sind. Dimby und Tanala sind stinksauer, aber das stört die Dame überhaupt nicht. Schulterzuckend meint sie, wir seien doch für Abenteuer nach Madagaskar gekommen – und das sei doch jetzt ein Abenteuer, kein Zimmer zu haben. Der Chef des Hotels ist nicht auffindbar. Aber auf Madagaskar findet sich für alles eine Lösung. Dimby fährt zu einem befreundeten Hotelier rüber, und zu unserem Glück sagt der sofort zu: Er hat genügend Zimmer frei, wir sollen gleich kommen. So haben wir doch noch ein Dach über dem Kopf für die Nacht.
Direkt vor dem Bungalow sitzt eine große Mantide, eine Empusa. Sie hat sich wohl verflogen. Ich gehe direkt unter die Dusche – aaah, traumhaft! Dann lasse ich mich schon ins Bett fallen. Der Tag war lange genug, ich bin müde. Und die Klimaanlage kühlt das Zimmer auf angenehme 28°C herunter, während der Ventilator die Mücken etwas abhält. Hier kriegt mich heute keiner mehr raus.
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