Irgendwie schläft es sich nicht so gut auf mit Stroh gefüllten Kopfkissen und mit nassen Haaren. Meine Schulter ist inzwischen dunkellila. Und ich habe Muskelkater in jeder Faser meines Körpers, sogar im Daumen. Ich wusste nicht mal, das man in den Fingern Muskelkater haben kann… vermutlich kommt das vom vielen Fotografieren. Ich sortiere mein Gepäck mal neu und sammle unten im Restaurant meine frisch gewaschene Wäsche noch ein, nachdem ich den ewig langen Himalaya-Weg runtergeächzt bin. Beim Frühstück habe ich furchtbaren Brand, vermutlich weil ich gestern zu wenig Wasser getrunken habe. Oder zu viel THB. Das ist Ansichtssache. Die frisch gewaschene Wäsche riecht übrigens heute nicht nach Räucherfeuer. Dafür sind die Socken noch klatschnass, das gibt sicher einen ähnlich feinen Geruch mit der anderen Wäsche im Gepäck. Was nicht nass ist, ist zumindest klamm.
Heute soll uns der Weg bis Ambalavao führen. Andry belädt den kleinen, weißen Bus, und alle steigen ein. „Können wir noch für Fotos oben am Wasserfall anhalten?“, fragt Marco. Natürlich können wir. Mit dem Auto schrauben wir uns die Straße entlang durch den Regenwald nach oben, bis wir kurz vor dem Ende des Regenwaldes sind. Links bricht der Fluss in einem tosenden Wasserfall zwischen riesigen Steingiganten in die Tiefe. Das Wasser wird aufgewirbelt und spritzt bis oben an die Straße. Da ich schon viele, viele Fotos vom Wasserfall habe, spaziere ich entlang der Straße und halte Ausschau nach Tieren. An einem kleinen Baum, kaum so hoch wie mein Kopf, entdecke ich einen Giraffenhalskäfer. Und es ist nicht nur einer davon da, nein, der ganze kleine Baum ist voll davon. Neben den winzigen, rot beflügelten Käfern sind auch wieder kleinere Trachelophorus madegassus dabei, die komplett schwarz sind.
Der Weg nach Fianarantsoa zieht sich durch endlose Hügel. Ich habe die Gegend irgendwie nicht so kahl und trocken in Erinnerung. Je mehr wir gen Süden kommen, desto felsiger wird die Umgebung. Bald schon erreichen wir eine flache Ebene mit Reisfeldern, soweit das Auge reicht. Hier und da stehen eine Hand voll roter Lehmhäuser. Die Reisterrassen werden immer enger und die Berge höher. Dazwischen schlängeln sich Wasserfälle die Felsen nach unten. Immer mehr taucht jetzt die rote Erde Madagaskars zwischen den grünen Tupfen auf, bis die Landschaft rötlich schimmert und nur noch wenige Bäume zu sehen sind. Zwischendurch halten wir zwei Mal an, um nach Teppichchamäleons zu suchen. Leider werden wir heute nicht fündig. Erst als wir die Einfahrt unseres Hotels in Ambalavao passieren, entdeckt Dimby direkt in einer kleinen Hecke ein buntes Furcifer lateralis.
Ambalavao ist voller Menschen. Männer schieben selbst gebaute Holzkonstruktionen mit Rollen vor sich her, manche sind meterhoch beladen mit Reissäcken. An der Taxibrousse-Station herrscht geschäftiges Treiben. Gerade wird ein uralter, rostiger Mazda-Bus beladen. Eigentlich ist das Gepäck auf dem Dach schon mit einer blauen Plane bespannt, aber der Korb voll Wäsche, den eine Frau mitbringt, findet noch über dem Fahrer Platz. Oben auf die blaue Plane kommt noch eine ganze Reihe Töpfe und Pfannen. Ein paar Reifen beschweren das Gepäck in der Mitte, und hinten baumeln gelbe Ölkanister vom Dach. Wir passieren knallrot angemalte Häuschen und kleine Buden, die Kekse und kleine Dinge des alltäglichen Bedarfs verkaufen. Unmengen Menschen ziehen über die Straßen, Tuk-Tuks drängeln sich dazwischen, Schüler in hellblauen Uniformen gehen gerade nach Hause. Die Stadt ist im wahrsten Sinne des Wortes völlig verstopft von Menschenmassen. Außerdem gibt es heute an jedem kleinen Laden Stricke zu kaufen, zu merkwürdigen Rollen gebunden.
Den Grund erfahre ich schnell: Heute ist Mittwoch und damit Zebumarkt in Ambalavao. Der Zebumarkt hier ist der größte des ganzen Landes, und Menschen laufen Tausende von Kilometern zu Fuß mit ihren Rindern, um sie hier zu verkaufen. Tatsächlich liegt der Mark ein wenig abseits der Stadt. Andry folgt mit unserem kleinen Bus einem quietschgelben Tuktuk mit schwarzem Dach. Über einen holprigen Lehmweg geht es auf einen Hügel, der ein wenig über der Stadt liegt. Rechts liegt ein mit Baumstämmen eingezäunter Koral, das sind die zum Schlachten bestimmten Rinder. Wir parken neben zwei blauen LKWs und steigen aus. Dahinter liegt der eigentliche Markt: Eine riesige Fläche, oder vielmehr Buckelpiste voller Zebus und Menschen, mit einem provisorischen Zaun drum herum. Die ganze leuchtend gelb-rote Fläche ist gefüllt von Leben. Am Rande stehen kleine Hütten, in denen bei Interessen an einem Rind die Preise ausgehandelt werden.
Auf den ersten Blick wirkt der ganze Markt wie ein einziges Chaos. Als wir einfach – übrigens als einzige Weiße weit und breit – über den Markt schlendern, zwischen Kühen und Bullen hindurch, erklärt sich der Hauch einer Ordnung auf dem Markt. Die endlos vielen Zebus stehen in Grüppchen, sorgfältig nebeneinander aufgereiht, und dazu gehört immer mindestens ein Hirte, der die Tiere mit einem Stock zusammenhält. Es ist relativ spät, und deshalb sind die meisten Zebus bereits verkauft. Um ein Dach auf Betonpfeilern steht eine dicht gedrängte Menschenmenge. Einige gehören zu den Hirten, andere wollen ein Zebu kaufen, aber die meisten sind sicher einfach nur Schaulustige. Es ist aber auch ein gigantisches Spektakel.
Auf der Rückseite des Hügels ist eine große Wiese, die einen majestätischen Blick auf das nahe gelegene Andringitra-Gebirge freigibt. Einige Familien haben sich hier zum Picknick versammelt. Männer stehen in Gruppen herum, die meisten tragen Hüte. Auf ihre langen Stöcke gelehnt tauschen sie Neuigkeiten aus, quatschen über das beste Rind oder beurteilen die angebotenen Bullen. Fast alles auf dem Markt sind potente Bullen, nur vereinzelt steht eine Kuh dabei, und sogar zwei oder drei Kälber entdecke ich unter den Tausenden von Rindern.
Ab und zu entwischt ein Zebu und läuft davon. Einem jungen Mann in hellblauen, kurzen Hosen läuft sicher drei- oder vier Mal hintereinander ein junges Zebu davon, das er dann unter lautem Gebrüll wieder einzufangen versucht. Übrigens: Es ist gar nicht so einfach, auf dem extrem buckeligen Boden in Flip-Flops ein paar Hundert Kilo rennendem Zebu auszuweichen.
Schließlich laufe ich zurück zum Kral, wo bereits José auf der Brüstung sitzt und filmt. Gut hundert Zebus befinden sich im Kral. Eine Masse von warmen, dampfenden Rinderkörpern. Bei jeder ihrer Bewegung wirbelt Staub auf, so dass ein gelber Dunst in der Luft liegt. Ein junger Mann mit Sonnenbrille und einem raketenförmigen Androy-Hut auf dem Kopf versucht mit einem dünnen Lasso, einen rot-weißen Bullen herauszufangen. Das Lasso landet auf den Hörnern, der Bulle springt davon, die Herde bewegt sich mit, der junge Mann schleift hinterher. Er macht aus dem Einfangen ein großes Theater, verfehlt den Bullen immer wieder und bestimmt fünf Mal reißt das dünne Seil, so dass der Bulle wieder zwischen den anderen Zebus verschwindet. Die jungen Männer auf der Balustrade drum herum johlen und feuern den Lassomann lautstark an. Verfehlt der Lassomann seine Beute, kommentiert die Menge es mit lautem „Ooooohhh“-Rufen. Trifft er den Bullen oder bringt ihn gar nahe des Gangs, der zu den LKWs führt, schwellen die Schreie und Zurufe immer weiter an, bis das Rind entweder erfolgreich auf ein LKW getrieben wird oder erneut entkommt.
Zimperlich ist man hier mit den Rindern nicht. Viele haben blutige Blessuren auf dem Rücken, und auch der ein oder andere gebrochene Schwanz ist zu sehen. Es kümmert aber niemanden. Die Ohren sind je nach Besitzer kunstvoll zerschnitten worden, als die Zebus jung waren. Bei einigen ist so viel herausgeschnitten, dass die Ohren regelrecht in Fetzen hängen. Wie man da noch die gelben Ohrmarken anbringt, ist mir ein Rätsel. Allerdings sind die eigentlich vorgeschriebenen Ohrmarken auch nur an der absoluten Minderheit der Rinder überhaupt zu finden. Die Nummern auf den Ohrmarken sind von Hand mit einem schwarzen Edding aufgemalt. Ich schaue dem Treiben eine Weile zu, dann wende ich mich ab. Mein Gesicht und meine Arme sind voller Staub, der sich wunderbar auf dem Schweiß absetzt und damit eine trocken-bröselige Kruste bildet. Auf der trockenen Wiese neben dem Kral stehen noch mehr Zebus. Irgendjemand hat hier seine gekauften Rinder abgestellt. Sie sind weder angebunden noch scheint sich jemand so richtig um sie zu sorgen, und trotzdem läuft keines der Rinder davon. Irgendwann entdecke ich einen Jungen zwischen den Rindern, der an einen schwarz-weißen, auf dem Gras liegenden Bullen gelehnt ein Nickerchen macht.
Schließlich fahren wir wieder den rumpeligen Weg zurück ins Hotel. Alle sind müde und geschafft, und so gibt es nur ein schnelles Abendessen – übrigens mit der besten Kokossauce Madagaskars an Gummihuhn und Reis, bevor alle schlafen gehen.