Es ist Karfreitag. In der Nacht hat sich das Gewitter über Ankify entladen und einen ordentlichen Regenguss über Strand und Hotel gebracht. Der Sand ist noch nass, als ich barfuß in Richtung Parkplatz laufe. Gris und noch irgendwer haben neben den Autos offenbar spontan ein Zelt aufgeschlagen, als es ihnen heute Nacht im Zimmer zu schwülwarm geworden ist. Leider hat auch jemand – und ich hoffe, die zwei waren es nicht – hinter einen unserer Toyota Landcruiser gekackt, entsprechend riecht es auf dem Parkplatz. Nach und nach tauchen Tanala und die Chicken Group ohne Markus auf, dafür gewinnt der morgendliche Frühstücksausflug René und Julia dazu. Die Jungs sind vollzählig, und gemeinsam fahren wir in drei Landcruisern zum Hafen von Ankify.
Mama Be begrüßt uns wie alte Freunde auf dem kleinen Platz zwischen den Läden des Hafens von Ankify. Im Vorbeigehen habe ich oberhalb der Treppen noch frittierte Bananen gekauft, was zu arger Belustigung bei den beiden Verkäuferinnen geführt hat. Entweder war mein Madagassisch schlecht oder sie fanden es einfach nur lustig, dass ein Vazaha auf Madagassisch Essen bestellt.
Frühstückstisch und Sitzgelegenheiten sind schnell zusammen gestellt, wir bekommen eine orangefarbene Tischdecke und frühstücken entspannt vor uns hin. Der Platz ist übrigens ein idealer Beobachtungsposten für das Geschehen im Hafen. Fast jeder, der zum Hafen will, schlappt vorher im „Markt“ herum. Da das Osterwochenende vor der Tür steht, ist heute viel los. Es ist laut, bunt und überall rennen Frauen, Männer und Kinder herum. Eine ganze Gruppe sehr leicht bekleideter junger Frauen kauft im Laden nebenan Kekse und Taschentücher ein. Eine der Damen trägt einen Rock, der genauso gut als breiter rot-goldener Gürtel durchgehen würde. Offenbar wittern auch die Damen aus dem horizontalen Gewerbe ein gutes Ostergeschäft, sie sind auf dem Weg nach Nosy Be – der Hochburg des Sextourismus. Eine ältere Frau stellt kurz ihre Basttasche und ihre wenig dazu passened blaue, schicke und nagelneue Handtasche ab, während sie die auf einem kleinen Tisch mit Wachstuch ausgelegten Sakay-Fische begutachtet. Aus der Basttasche schaut eine Ente heraus und quakt irritiert, als Beine und Röcke sie im Vorbeigehen streifen. Ente to go. Ein Mann trägt gerade ein staubiges Fahrrad die Stufen hinunter und lehnt es an eine Holzwand, um den umliegenden Läden seine Waren anzupreisen. Hinten am Fahrrad ist ein Holzstock angebracht, an dem etliche Hühner mit zusammen gebundenen Füßen kopfüber herunter hängen. Es sieht aus wie ein unfreiwilliges Hühnerkarussell. Ein anderer Mann hängt einen riesigen Fisch an eine Ladentür und verschwindet. Der Fisch bleibt hängen.
Es ist noch keine neun Uhr, als die Jungs zum Aufbruch drängen. Wir fahren zurück ins Hotel, um die übrigen Gäste, die nicht mit im Hafen Essen waren, abzuholen. Das Gepäck wird auf den Dächern der Landcruiser verladen, die Fotorucksäcke kommen nach innen. Jemand, der gestern nach einem Verband für gewisse intime Stellen gefragt hatte, läuft heute enorm breitbeinig. Mika tauft ihn passend dazu Lucky Luke.
Als ich in Dimbys Landcruiser steige, entdecke ich eine Wasseransammlung im Fußraum des Beifahrersitzes. „Ja, es hat gestern geregnet!“, ist die schulterzuckende Erklärung dazu. Die Tür ist wohl nicht ganz dicht. Dimby lenkt den Landcruiser die holprige Einfahrt nach oben, aus dem steinernen Tor und den Kiesweg nach unten Richtung Ankify. Kurz hinter dem Dorf halten wir an ein paar provisorischen Marktständen direkt neben einem kleinen Bambushain. Mehrere Frauen haben ihre Waren auf Ästen ausgebreitet, darunter Bananen, riesige Avocados und Zimtäpfel. Ein paar zu klein geratene Brotfrüchte liegen zwischen dem sorgfältig aufgereihtem Obst und Gemüse.
Wir wollen nach Taggeckos und Chamäleons schauen – und ab und zu sieht man hier sogar Lemuren. Dass eine ganze Meute Vazaha an einem simplen Bambushain anhält, erweckt schnell die Aufmerksamkeit der Madagassen. Fast jedes Auto, das vorbeifährt, hält kurz an. Nicht um etwas zu kaufen, sondern um zu gucken. Darunter ist sogar ein quasi neuer Opel, oder jedenfalls für madagassische Verhältnisse praktisch neuwertig. Dem Auto fällt nämlich weder der Auspuff ab wie dem, das genau an der gleichen Stelle vorher gehalten hat, noch fehlen die Fenster wie beim Taxibrousse drei Meter weiter. Leider gibt es außer vielen klapprigen Autos nichts zu sehen. Andry ist derweil eingefallen, dass er seine Uhr im Hotel hat liegen lassen. Also fährt Mamy mit dem Starex nochmal zurück. Als er wiederkommt, entdeckt Dimby, dass der linke hintere Reifen irgendwie platt aussieht. Also wird der Reifen kurzerhand wieder aufgepumpt. Ob das hält?
Schließlich fahren wir weiter, queren die Mangroven, die gerade trocken liegen, und erreichen die Ylang-Ylang-Felder nahe Ambohimena. Wir sind gar nicht mehr allzu weit von Ambanja entfernt. An einem Zaun, der eigentlich nur eine Hecke aus niedrigstämmigen Bäumchen ist, entdecke ich im Vorbeifahren ein leuchtendes, wunderhübsches Furcifer pardalis-Männchen. Dimby stoppt sofort, und ich flitze barfuß auf dem Asphalt zurück, um das Tier wiederzufinden. José findet es für mich, bevor ich die Sonnenbrille (mit Sehstärke, versteht sich) aufsetzen kann. Und die kleinen Bäumchen beherbergen noch mehr wunderschöne Chamäleons, die nach und nach von den Jungs entdeckt werden.
Irgendwann haben sich alle satt gesehen. Wir fahren weiter in Richtung der Kakaoplantagen von Ambanja und halten in Mitten der riesigen Tamarinden. Die Kaffee- und Kakaobäume sind – erntefreundlich – wesentlich niedriger, und bilden eine Art zweites Blätterdach auf nur drei Metern Höhe. Unmengen Mücken schwirren umher, während ich in Flip-Flops (übrigens eine mäßig gute Idee) durch das tiefe Laub stapfe. Es finden sich auch hier mehrere toll gefärbte Pantherchamäleons.
Ich merke beim vielen Fotografieren überhaupt nicht, dass es inzwischen längst Mittag ist. Wir brechen wieder auf, und legen einen kurzen Stopp am Kreisel in Richtung Ambanja ein. Der Stopp bleibt allerdings nicht kurz. Plötzlich müssen alle noch ganz dringend Getränke einkaufen, in einem sehr kleinen Laden. Und dort ist es mit der Bezahlung heute ganz schwierig, ganz zu schweigen vom Berechnen der Preise. Außerdem verschwindet Mamy mit dem Starex zu einer anderen Hütte, die anscheinend eine Art improvisierte Werkstatt darstellt. Der Reifen ist jetzt nämlich ganz platt, aber mit dem mitgebrachten Werkzeug nicht zu reparieren. Leider hat Mamy vergessen, dass er José zu Übersetzungszwecken in dem kleinen Getränkeladen abgesetzt hat. Dimby parkt unter einem Mangobaum, ich öffne die Tür und strecke die Füße raus. Als sich eine ganze Stunde lang so gar nichts tut, gehe ich auf die Suche und finde José, der gerade mit den letzten Gästen aus dem kleinen Laden kommt. Wir warten noch zehn Minuten, aber unsere Küchencrew taucht nicht auf. Kurzerhand rutscht mein Auto enger zusammen und wir nehmen José mit, bevor er jetzt noch ewig warten muss. Die Hitze ist mittelprächtig unerträglich. Ich schwitze wie irre.
Immerhin gibt es keinen weiteren Halt bis Ambilobe. Die Straße trägt allerdings ihren Teil dazu bei, dass wir teils nur im Schneckentempo vorankommen. Die Schlaglöcher sind so groß, dass ein Ford Fiesta bestens hinein passen würde. Eine der Brücken, die wir überqueren, hat in der Mitte einfach ein Loch und der Beton biegt sich schwer nach unten durch. Es stört aber gar keinen. Die Brücke wird benutzt, bis sie irgendwann nachgibt. Dann fährt man eben auf der Gegenfahrbahn. Eine Unmenge völlig überladene Taxibrousse sind heute unterwegs. Reissäcke, Kühltruhen, Kohlesäcke und ganze Hausstände schaukeln auf den Dächern der kleinen, altersschwachen Mazda- und Mercedes-Busse umher. Wir überholen sehr viele Tuktuks, offenbar das neue Fortbewegungsmittel der Gegend.
Das Schild an der T-Kreuzung vor Ambilobe ist so verrostet, dass man nur noch mit Mühe überhaupt irgendeinen Namen darauf erkennen kann. Aber das macht nicht viel aus, denn die Kreuzung erkennt man auch nicht mehr. Eigentlich ist sie sowieso nur noch Richtung Ambilobe befahrbar. Wohin der Sandpfad links mal geführt hat, weiß der Himmel. Auch der Ortsname in Beton ist nicht mehr lesbar. Als wir ankommen, bin ich klatschnass geschwitzt. Ambilobe, da ist es wieder. Die Stadt der Kat-Zombies und der nervigen Muezzins. Meine Erinnerungen an Ambilobe sind nicht die besten.
Wir halten vor Dianas Restaurant, das wunderbarst mit goldenen und weißen Tüchern geschmückt ist. Und lustigen, halb kaputten Luftballons. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Dekoration dem kommenden Osterfest dient oder noch von Weihnachten übrig ist – draußen auf der Terrasse hängt immer noch das Merry-Christmas-Schild, das ich dort schon letztes Jahr gesehen habe. In einem überrascht mich das Restaurant heute aber: Sie sind wirklich schnell. Na gut, vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass José quasi alle Kellnerjobs gleichzeitig übernimmt. Aber ich will mal nicht so sein.
Nach dem Essen laufen wir rüber zum Hotel, es ist das gleiche wie letztes Jahr. Ein längeres, weiß gestrichenes Steingebäude mit flachem Dach, zu dem wie in einem U zwei weitere, gleich aussehende Gebäude gebaut wurden. Alles wird umringt von einer Mauer und in der Mitte der Gebäude liegt ein staubiger Hof. Es gab Bedenken, dass die Zimmer nicht reichen werden, aber nun passt es doch. Ambilobe versetzt mich heute direkt ein zweites Mal in großes Erstaunen: Die Zimmer haben funktionierende Klimaanlagen. Und einen Balkon! Und das Wasser funktioniert in allen Räumen. Einfach so. Gut, beim Klo muss man erst den Wasseranschluss mit einem kleinen Hebel finden, aber dann geht’s. Das Dach hat inzwischen Solarpanels, damit zumindest die funzelige Birne in der Mitte des Raumes tagsüber leuchtet. Der pure Wahnsinn!
Nur das Moskitonetz ist ein bisschen zu kurz, es reicht nur bis etwa 15 cm über der Matratze. Da nutzt es mir eher nichts. Sarah, die hiesige Angestellte des Hotels, eine kleine, schlanke Madagassin mit sorgsam geflochtenen schwarzen Haaren, ist super bemüht und repariert innerhalb von wenigen Minuten Chrissis defekten Wasseranschluss. Auf der Veranda eines der Gebäude wurde sogar ein Kühlschrank aufgestellt inklusive kühler Getränke. Mich hätte es hier nicht gewundert, wenn zwar ein Kühlschrank, aber weder Strom noch Getränke vorhanden gewesen wären. Aber irgendwie geschehen gerade Zeichen und Wunder in Ambilobe. Vielleicht auch nur, weil ja Ostern ist. Sarah schreibt eifrig auf die Zimmernummern auf, und zeigt uns bei der Gelegenheit auch stolz die nagelneue Sitzecke ein paar Schritte weiter. Die Sessel sehen bequemer aus, als sie im Endeffekt sind. Chrissi und Markus wundern sich, dass in Ambilobe alles so viel besser ist, als sie aus meinen und Tanalas Beschreibung kennen. Jaaaahaaaa! Seid froh drum.
Ambilobe muss sich heute sehr anstrengen, um sein schlechtes Image aufzupolieren. Aber es scheint, die Stadt wolle sich heute von ihrer besten Seite zeigen. Als es dunkel wird, höre ich nicht mal einen Muezzin rufen. Kurz nach 18 Uhr gibt es tatsächlich Strom – auch das ist eher außergewöhnlich – und er bleibt auch. Das Stromnetz mag etwas ungleichmäßig sein, jedenfalls wird es mal heller, mal dunkler, je nachdem, wer gerade wie viele Geräte in der Steckdose hat. Aber es gibt keinen Stromausfall. Ich habe in den wenigen Stunden seit Ankunft bereits zwei große Flaschen Crystal und eine monströse Flasche Cola in mich hinein gekippt, gefühlt aber schon wieder alles ausgeschwitzt.
Das Abendessen verläuft kurz, alle sind erschöpft von der Hitze und den vielen Eindrücken des Tages. Nur einmal kurz herrscht Stromausfall im Restaurant, aber die freundliche Bedienung schaltet sofort eine kleine Notbeleuchtung ein. Huiuiui. Bei der Rückkehr zum Hotel gibt es noch eine Überraschung: Wuhhhuuu, sogar das Wifi funktioniert! Ja, krass! Da kann man endlich mal die Bilder vom lustigen Party-Abend in Ankify teilen – ist ja nicht so, dass man sich die nicht schon gegenseitig hundert Mal gezeigt hätte. Ich gehe lieber unter die Dusche. Die funktioniert leider nur auf richtig, richtig heiß, aber besonders viel Wasser kommt eh nicht aus dem Schlauch. Also verschiebe ich das Unterfangen Duschen auf morgen und verkrieche mich ins Bett.