Das Frühstück dauert mir heute zu lange, denn ich möchte gerne so schnell es geht zum Montagne d’Ambre. Ich bestelle wieder Khimo und das kommt auch – das Brot dazu aber nicht. Die Annahme, das Brot wäre ausgegangen und die Küche müsse erst neues holen, erweist sich zum Glück aber als falsch. Sie haben es einfach nur vergessen.
Als wir Ambilobe verlassen, überholt uns in einem sehr waghalsigem Manöver ein dunkelblaues Taxibrousse mit mehr Rost als Blech. Es hat außerdem keine einzige Fensterscheibe und keine Windschutz- oder Heckscheibe mehr. Fröhlich winken zwei Frauen aus dem offenen Fenster, links hängt eine Tasche heraus. Ein Cabrio-Taxibrousse sozusagen. Dürfte zugig werden bei dem Fahrstil, ist aber bei der Hitze in Ambilobe vielleicht gar nicht verkehrt.
Die Straße führt vorbei an Mahamasina, wo der Eingang zum Nationalpark Ankarana liegt. Dahinter ist der Weg so lala, Tendenz schlechter werdend. Riesige Schlaglöcher reihen sich aneinander. Stellenweise ist kein Asphalt mehr vorhanden und nur staubige Piste deutet an, dass hier einmal eine Straße war. Scharfe Asphaltkanten ragen aus dem Boden – die Jungs nennen sie „Reifenkiller“. Wir überholen ein weiß-rostiges Taxibrousse, das ein ganzes Sofa auf dem Dach transportiert. Außerdem einen Tisch und diverse Stühle, hier scheint ein ganzer Hausstand umzuziehen. Am Kofferraum hängt eine riesige Basttasche.
Sechs langsam einher kriechende LKWs überholen wir ebenfalls. Und diverse weitere Taxibrousse, die nicht mehr genug Benzin oder zu wenig Bremsen zum Rasen haben. Oder kein funktionierendes Gaspedal. Die Straße wird gen Montagne d’Ambre stetig schlechter, bis sie schließlich fast durchgehend nur noch aus einer staubigen Piste mit hier und da Asphaltresten besteht. Auf den Asphaltresten selbst kann man kaum fahren. Um die scharfen Kanten zu umgehen, fährt man also mit zwei Reifen auf dem Rand der Straße und mit der anderen auf dem Asphalt. So geht es im Slalom mal links, mal rechts herum über die Schotterpisten. Zebukarren rumpeln genauso vor uns herum wie Mopedfahrer. In der Ferne lässt sich ein Berg erahnen – der Montagne d’Ambre rückt näher.
Irgendwo auf der Straße, die gerade zu beiden Seiten von mannshohem Gras gesäumt wird, halten wir an. Ein Mann bietet zwei Säcke Kohle an, die Dimby prompt kauft und aufs Dach unseres und Mikas Landcruiser lädt. Ein paar Frauen am anderen Straßenrand verkaufen Guaven, tennisballgroße, gelbe Früchte. Und daneben gibt es noch einige Zitronen für den Rum, Mikas Auto hat in Ambilobe heute Früh sieben Liter davon erworben. Der Starex mit Ines und der Küchencrew ist dafür für zwei einhalb Liter Honig verantwortlich, der den Zitronenrum süßen soll.
Den Starex holen wir dann auch kurz vor den Tsingy rouge ein. Eine Reifenpanne im Nirgendwo, bei diesen Straßenresten kein Wunder. Der Reifen vorne links ist platt. Zum Glück haben wir genug Ersatzreifen dabei. Bevor jedoch der Reifen gewechselt werden kann, muss fachmännisch geguckt werden, das können Madagassen besonders gut. Also stehen sie erstmal zu siebt um den Wagen herum, bis dann auch tatsächlich irgendwann ein Wagenheber auftaucht, ein Ersatzreifen heranrollt und auch ans Auto montiert wird. Das Taxibrousse mit dem Sofa auf dem Dach rast derweil hupend an uns vorbei.
Als die Panne behoben ist, geht es weiter. Wir erreichen die Abfahrt zu den Tsingy rouge. Die Fahrt zu dieser hübschen Gesteinsformation ist immer noch so abenteuerlich wie Jahre zuvor. Eine tiefe Sandpiste fliegen wir quasi entlang, was irre Spaß macht. Dahinter windet sich eine Lehmpiste steil nach oben und wieder nach unten, die durchaus fahrerisches Können erfordert. Mikas Auto verliert bei der rumpeligen Fahrt immer mal ein Stück Kohle. Tsonk… landet das nächste Stück auf Dimbys Motorhaube, woraufhin wir per Funk weitergeben, Mika möge mal anhalten und seinen Kohlesack besser verzurren.
Am höchsten Punkt der Fahrt halten wir an und genießen die weite Aussicht bis zum Meer. An einem großen Baum mit riesiger, breiter und tief hängender Krone sitzen zwei große Phelsuma grandis, die richtig leuchten auf der grauen Rinde. Es scheint ein Pärchen zu sein, wobei er durchaus an ihr interessiert ist. Es scheinen aber zu viele Beobachter um die beiden Geckos herum zu sein, mit der versuchten Paarung wird es eher nichts. Plötzlich sprintet Dimby zum Auto. Er hat eine riesenhafte Spinne entdeckt, die er gerade noch daran hindern kann, in den Landcruiser zu krabbeln. Glück gehabt, denn die Art ist dafür bekannt, recht schmerzhafte Bisse zu verursachen.
Die Tsingys selbst sind wie immer schön und leuchten auch bestens in der Sonne. Nicht alle sind herunter in die Schlucht gelaufen, obwohl sie wirklich sehenswert ist. Vor dem Zaun, der die Zebus vor dem Betreten der Tsingys hindern soll, sitzt ein gutes Dutzend Grauköpfchen in einem toten Baum. Klar, dass ich diesmal meine Kamera oben am Parkplatz gelassen habe. Die bunten Vögel muss ich wohl ein anderes Mal fotografieren. Das mit dem Zaun klappt übrigens nach wie vor nicht. Hunderte Klauenspuren auf dem weichen, rot marmoriertem Boden zeugen von einer ganzen Herde Zebus, die heute durch die Tsingy rouge gezogen ist.
Zurück oben am Parkplatz bin ich ganz schön außer Puste. Ein Picknick mit den Mofo sauce aus Ambilobe verlegen wir in die Hütten am Parkplatz, dem einzigen schattigen Platz weit und breit. Rund um die Autos ist nur zentimeterweise ein Hauch von Schatten. Réné findet im gelben Gras neben den Hütten eine kleine Mantide neben einer großen Oothek.
Im Eiltempo geht es die paar Kilometer offroad zurück zur eigentlich asphaltierten Straße. Der Sandpfad kurz vor der Abzweigung allerdings lässt sich fast besser fahren als das, was den Namen „Straße“ nur sehr begrenzt noch verdient hat…
Hinter der Abzweigung zu den Tsingys wird sie nämlich noch schlechter, wenn das überhaupt noch geht. Größtenteils ist es eine Schotterpiste mit einem winzigen Reststreifen Asphalt in der Mitte. Und extrem staubig ist es. Die Jungs fahren die Landcruiser mit größerem Abstand zueinander, da sonst niemand die Fenster öffnen kann wegen des Staubs. Und bei der Hitze tut ein offenes Fenster sehr gut. Wir durchqueren einige kleinere Dörfer, viele Menschen sind heute unterwegs. Der Montagne de Français erhebt sich langsam zur Rechten, Reisfelder säumen die Straße. Dann wird die Vegetation wieder höher, mehr Bäume kommen dazu, Gebüsch versperrt die Sicht. Jede Menge Taxibrousse und uralte, schrottreife Autos mit unendlich vielen Leuten darin kommen gerade von ihrem Osterpicknick zurück.
In Joffreville sind es noch 25°C, aber äußerst angenehm, da ein wenig Wind weht. In Jackie Chans Laden gilt es wie immer, sich mit Getränken fürs Camping auszurüsten. Ich kaufe zehn Bier, fünf Cola und vier Wasser. Jackie sammelt die Getränke von den Holzregalen und findet sogar noch die ein oder andere Pappkiste zum Transport. An den Wänden des alten Ladens hängen Postkarten aus den 70ern, Rocky-Poster und ausgeblichene Werbung für Getränke. Ein wie immer strahlender Angelin streckt den Kopf in den Laden, winkt fröhlich zur Begrüßung und verschwindet wieder. „Tonga soa, tonga soa!“, umarmt er lachend draußen uns Neuankömmlinge. Dann verabschiedet er sich wieder, wir sehen uns morgen früh.
Kurz bevor es stockdunkel ist, erreichen wir den Campground. Ich fische meine Stirnlampe aus dem Rucksack und wandere in Richtung der Zelte, die unsere Vorhut, namentlich vor allem José, dankenswerterweise schon fertig aufgebaut hat. Das ist mal Service! Dimby baut im Dunkeln eine kompliziert aussehende Solaranlage auf, verteilt dabei bestimmt Hundert Meter Kabel und schafft es letztendlich, kleine leuchtende Lämpchen unter dem Küchen- und dem Esstisch-Dach herbeizuzaubern. Eric und Andry kochen bereits seit mehreren Stunden und bringen ein fantastisches Abendessen auf den Tisch: Es gibt grandiosen Karottensalat, scharfes Pfefferfleisch, Reis und Tomatensalat. Ein schwarzer Hund, den ich hier noch nie gesehen habe, gesellt sich zur Küche und hofft auf Reste.
Es ist längst stockfinster, als ich Richtung Klohäuschen aufbreche, bewaffnet mit einer Klopapierrolle, einer Zahnbürste und einem Handtuch. Der Sternenhimmel ist gigantisch. Tausende kleiner, gelber Punkte glitzern am Himmel. Es sind so unendlich viel mehr als zu Hause. Ich kann mich gar nicht daran sattsehen. Als ich – mehr aus Gewohnheit – in die Bäume leuchte, springt ein kleiner Lemur davon. Ich bleibe wie erstarrt stehen und leuchte dem kleinen Kerl hinterher. Es ist die neu entdeckte Lemurenart, Cheirogaleus andysabini! Unglaublich! Einen kurzen Moment kann ich den kleinen Fettschwanzmaki beobachten, wie er durch die Äste springt, dann verschwindet das Tierchen aus dem Kegel meiner Stirnlampe. Wahnsinn. Ich wusste nicht, dass diese Lemuren bis hier oben am Campground vorkommen. Ein seliges Grinsen schleicht sich in mein Gesicht. Genau deshalb ist es so toll im Montagne d’Ambre. Hier gibt es auch nachts noch Überraschungen, auch wenn man schon oft hier war.
Direkt vor dem kleinen, steinernen Weg zum Klohäuschen sitzt noch ein Pärchen Calumma linotum im Gebüsch. Die kleinen, blaunasigen Chamäleons findet man hier sehr häufig. Sie sitzen gerne auf meiner Kopfhöhe, dadurch sind sie recht leicht zu entdecken.
Auf dem Rückweg vom Klohäuschen zum Zelt wartet noch ein anderes kleines Highlight. Ich bummele gerade an der Hecke entlang, als ich die Silhouette eines Geckos an einem Ast über meinem Kopf entdecke. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Gecko als Uroplatus alluaudi, ein sehr kleiner und schwierig zu findender Blattschwanzgecko. Leider habe ich gerade Flip-Flops an. Und der riesige Haufen abgehackter Äste vor mir auf dem Boden (jemand hat nahe dem Camp einige Bäumchen entfernt) verhindert effektiv, dass ich an den hohen Ast gelange. Also rufe ich lauthals nach Markus, der gerade noch vorbeigelaufen war. Der kommt auch, und mit vereinten Kräften (einer findet, einer hat gescheite Schuhe an und kommt an den Ast) kommen wir noch zu einer kleinen Fotosession mit dem kleinen Blattschwanzgecko. Die Jungs sind längst in ihren Zelten, denn die Fahrerei auf der kaputten Straße war sehr anstrengend. Sie haben es sich verdient. Wir auch, nachdem wir den kleinen Gecko ausgiebig abgelichtet haben. Ich bin gespannt, was morgen auf mich wartet.
Ein Gedanke zu „Es war einmal eine Straße“