Keine Ahnung, wieviel Uhr es eigentlich ist. Jedenfalls sehr früh, würde ich gefühlt sagen. Die ganze Nacht hat es geregnet und gestürmt. Die Bäume haben ständig geächzt und einiges an Ästen hat es von den Bäumen geweht. Die dicken Trekkingschuhe im Vorzelt anzuziehen, ohne den schlammigen Boden mit den Socken zu berühren, gestaltet sich als kunstvolle Aufgabe. Ein bisschen Akrobatik später stehe ich am Brunnen und putze Zähne.
Nach dem Frühstück – heiße Bananen im Teigmantel, was sonst – ist Aufräumen angesagt. Alle Zelte müssen abgebaut, Matratzen gefaltet und Rucksäcke gepackt werden. Ines und Chrissi wollen sich nützlich machen, spülen erst Geschirr und werfen sich dann auf Ines‘ Matratze, um die Luft heraus zu drücken. Nach einer guten halben Stunde merken beide, dass sie dazu auch das Ventil öffnen müssen.
Mein Gepäck ist schnell gepackt und das Zelt ebenso. Ich bringe beides zum Auto, wo Dimby und Mika bereits dabei sind, alles fachgerecht in den Planen auf den Autodächern zu verstauen. Hier kann ich nichts mehr helfen. In Flip-Flops und kurzer Hose tigere ich zum kleinen Wasserfall hinter dem Nachtwächter-Häuschen. In einem großen Farn sitzt ein Calumma ambreense-Männchen und leckt eifrig das auf den Farn spritzende Wasser von den Blättern. Nach einigen Regenwald-Aufnahmen tapere ich wieder zurück zum Camp. Eine kleine Kabary für die Köche steht an, Trinkgeld wird übergeben und alle bedanken sich noch einmal für das fantastische Essen während des Campings.
Als ich in den Landcruiser steige, bin ich schlagartig todmüde. Aber nur einen knappen Kilometer hinter dem Campground halten wir schon wieder an. Ein riesiger Baum ist heute Nacht auf den Weg gestürzt. Der Nachtwächter des Campgrounds ist bereits seit einer guten Stunde eifrig dabei, mit einer Axt Äste abzuschlagen. Als kleines Dankeschön hat er vorhin bereits eine Unmenge Essen und Wasser bekommen, das noch übrig war. Jetzt beteiligen sich alle am Aufräumen und so geht es recht zügig voran. Irgendwoher taucht sogar noch eine Machete auf. Ast um Ast wird aus dem Weg geräumt. Das Holz des gefallenen Urwaldriesen ist extrem hart. Nach und nach muss jeder mal an die Axt, bis endlich auch der querliegende Stamm durch ist. Die abgeschlagenen, von Moos völlig überwucherten Äste haben rote Ringe und so manches farnbesetzte Bruchstück würde sich wunderbar im heimischen Terrarium machen.
Endlich geht es weiter. Im Vorbeifahren winkt Dimby Florent vor seiner Hütte zu. Die restlichen Malbücher, die ich noch nicht verteilt habe, gehen an Angelin. Seine Frau arbeitet in einer Schule, dort sind die Heftchen sicher gut unter. Bei Jackie Chan geben wir unsere leeren Glasflaschen wieder ab und fahren weiter bergab, in Richtung Diego Suarez oder Antsiranana, wie es auf madagassisch heißt.
Vom Berg kommend kann man wunderbar sehen, wie die Straße einfach mittendrin aufhört und als sandige Staubpiste weitergeht. Ab der Abzweigung zum Montagne d’Ambre ist die Straße jedoch wesentlich besser. Man kann es fast schon Asphalt nennen. Relativ schnell kommen wir nach Diego, der größten Stadt des Nordens. In einer roten Staubwolke halten wir kurz am Straßenrand an. Einige Häuschen aus Beton, aber ohne Fenster und mit bunten Tüchern statt Türen liegen einige Meter vom Asphalt entfernt, daneben ein kleiner Kiosk. Gris springt aus seinem Auto und flitzt irgendwo hinter das erste Häuschen, in der Hand eine ganze Tasche mit PET-Flaschen. Er gibt sie seinem Sohn, der hier irgendwo wohnt, und bekommt im Austausch seine Badehose zurück.
Mit den Landcruisern fahren wir mitten hinein in die Stadt, bis zur berühmten Rue Colbert. Es ist die größte Straße Antsirananas, gesäumt von etlichen großen Häusern aus der Kolonialzeit. Auch die meisten T-Shirt-, Andenken- und Touristenläden haben ihren Sitz in der Rue Colbert. Die Straßen werden von unzähligen Renault R4 – dem madagassischen Taxi – und einer noch größeren Zahl an Tuktuks verstopft. Leider ist es etwas spät geworden und die Läden schließen alle schon zur Mittagspause. Also trinken wir nur kurz in einem kleinen Laden, dann geht’s weiter Richtung Ramena. Das kleine Fischerdörfchen liegt ganz in der Nähe von Diego und ebenfalls direkt am Meer.
Wir passieren den Eingang zum Montagne de Français und folgen der Straße am Rand der Bucht von Diego entlang. Die Baobabs des Montagne de Français sind von hier aus kaum mehr zu erkennen, nur von einem winzigen Punkt kann man die seltene Baumart erahnen. Der Rest der ehemaligen „Aussicht“ ist zugewuchert. Rechts und links der Straße liegen Mangroven, es ist gerade Ebbe. Noch vor den ersten Häusern von Ramena finden sich die ersten provisorischen Verkaufsstände am Straßenrand. Wassermelonen liegen auf ausgebreiteten Tüchern, Muscheln, Krebse und aller möglicher anderer Krempel wird hier verkauft. Irgendwann landen wir doch noch in Ramena.
Das Hotel ist in zwei Bereiche aufgeteilt – beide haben einen Pool, der obere etwas mehr Aussicht, der untere dafür das Restaurant nebenan. Fünf oder sechs madagassische Kinder toben durchs Wasser. Inzwischen gibt es ein paar Sitzecken rund um den Pool und es wurde grüner Kunstrasen ausgelegt. Der ist zwar nicht hübsch, aber netter zu den Füßen als der heiße Boden zuvor. An den Kokospalmen rund um den Pool tummeln sich jede Menge Taggeckos. Ein Phelsuma grandis mampft gerade genüsslich einen kleineren Taggecko, der wahrscheinlich zu Lebzeiten Phelsuma dubia gewesen sein dürfte. Direkt neben dem Weg zum Restaurant gräbt derweil ein Pantherchamäleon-Weibchen ein Loch in den Sand, um ihre Eier abzulegen. Oder vielmehr, sie gräbt noch, als wir ankommen. Wenig später ist sie bereits mit der Eiablage beschäftigt. Als ich später am Nachmittag nochmal nachsehe, verschwindet das Chamäleon gerade in eine Palme. Der Platz, an dem sie ihre Eier vergraben hat, ist nicht mehr von der Umgebung zu unterscheiden.
Ich springe erstmal in den Pool und dümpele darin vor mich hin. Außerdem bestelle ich zum Essen Tagliatelle carbonara. Erst beim Servieren fällt mir ein, dass da ein rohes Eigelb drin ist. Das ganz wundervoll in einer halben Eierschale oben auf den Nudeln thronend serviert wird. Ups. Wie war das noch mit „keine rohen Speisen essen“ auf Madagaskar? Mit rohen Eiern ist man ja sogar zu Hause eher vorsichtig. Und hier hat’s über 30 Grad im Schatten, von nicht vorhandenen Kühlketten mal ganz abgesehen. Naja, was soll’s. Die Nudeln samt rohem Ei sehen lecker aus und schmecken sehr gut. Der Rückflugtag ist sowieso in greifbarer Nähe, falls sich doch der ein oder andere Keim im rohen Ei eingefunden haben sollte.
Den Rest des Tages verbringe ich am Pool mit schwimmen oder eher plantschen und sonnen. Die kleinen Madagassen freunden sich schnell mit uns an und freuen sich wie kleine Schneekönige, wenn sie durch die Luft ins Wasser geworfen werden. Jeder, der ins Wasser geht, muss die Kinder erstmal beschäftigen.
Als es dunkel wird, wandern alle gemeinsam auf die Terrasse unter dem Dach des Restaurants. Hier oben geht meistens ein kleines Lüftchen. José lädt zu einer Revanche-Runde Phase 10 ein, die er aber schneller verliert als die im Montagne d’Ambre. Vielleicht hab ich auf dieser Reise auch einfach mega Glück mit den Karten. Diesmal kann ich dreimal hintereinander sofort fertig machen, das kann dann eh keiner mehr einholen.
Später wandern alle todmüde in Richtung ihrer Betten. Ich steige die paar Stufen zum Bungalow hoch. Als ich die Tür aufschließe, entdecke ich im Schein der kleinen Glühbirne an der Decke eine Lieferung der Zimmermädchen: Vier neue Rollen Klopapier. Obwohl unseres noch gar nicht aus war. Ob man die wohl zur Carbonara-Bestellung dazu geliefert bekommt?
Ein Gedanke zu „Klopapier zur Carbonara“