Beim Frühstück sorgt eine Hamburgerin unfreiwillig für den Lacher am Morgen, als sich herausstellt, dass sie dachte, es gäbe hier Waschmaschinen. Naja, was soll man sagen – eher nicht so. Man wäscht hier eher noch ganz klassisch mit Hand und Seife. Vor allem mangels Strom, aber auch und vor allem mangels Waschmaschinen.
Zu meinem Glück ist Jean-Paul, mein persönlicher Lemurenfänger und bester Helfer für die geplante Sterilisations-Aktionen der männlichen Hybridmakis, nicht ganz so krank wie zwei Tage zuvor gedacht. Es hat ihn wohl eher eine dicke Erkältung niedergestreckt. Jedenfalls ist er heute dank einer ganzen Packung Grippostad wieder einsatzbereit. Mit einer Seelenruhe lockt er die roten Hybridmännchen an, füttert ihnen eine halbe Banane von seiner Schulter und greift sie dann mit beherztem Griff im Nacken, um sie kurz für die Narkose-Injektion zu fixieren.
Einen der zu sterilisierenden Hybriden erwischen wir direkt am OP-Tisch, was kurz zu Aufruhr unter seinen Kumpels führt. Sie sind sich aber offenbar nicht so sicher, ob sie sich lieber schnell außer Sichtweite machen sollten oder den Kumpel beherzt verteidigen sollen. Nachdem neben mir eine Stange geschwungen wird – nur durch die Luft, wohlgemerkt – um den schlafenden Maki vor der Neugier kleiner Lemurenhände zu schützen, beschließen die übrigen Makis, uns das Feld doch lieber alleine zu überlassen.
Vier Hybriden schaffen wir bis zum Nachmittag – was durchaus nicht wenig Schweiß treibend ist, weil die Tierchen im Wald irgendwo eingefangen werden und dann schlafend bis zu meinem „OP-Tischchen“ transportiert werden. Ein bisschen Professionalität muss auch bei Feldarbeit sein, daher habe ich einen derzeit unbewohnten Raum samt Terrasse annektiert und zum Freiluft-OP samt Aufwach-Käfigen umgebaut. Übrigens ist es wirklich dunkel im Regenwald, Operationen laufen daher mit Stirnlampe. Auch mangels Strom. Wo wir wieder bei der Waschmaschine von heute Morgen wären…
Den Rest des Tages wird gechipt. Und zwar jeder, der uns unfreiwillig vor die Füße läuft. Die schwarz-weißen Varis sind dabei am wehleidigsten und leider auch relativ aggressiv, wenn es um die Verteidigung ihrer eigenen Familie geht. Ich brauche also nicht nur Jean-Paul zum Chippen, sondern bei den Varis auch zwei Leute, die mir den Rest der Vari-Familien vom Leib halten. Das Chippen selbst dauert keine Minute. Die Varis verstehen aber nicht, was wir da machen – und ihnen eigentlich einen Gefallen tun, denn gechipt können sie weniger leicht geklaut werden. Sie heulen in einem schrecklichen Jammerton, wie ich es noch nie von ihnen gehört habe. Selbst eine Stunde später – als wir längst die Hybriden chippen – sind die Varis immer noch völlig aus dem Häuschen.
Am Abend spielen wir zur Entspannung eine Runde Pétanque. Martin spielt das professionell im Verein zu Hause auch. Ich spiele es etwa alle Schaltjahr mal, wenn denn überhaupt so oft. Auf Madagaskar jedoch ist es ein extrem beliebtes und häufiges Spiel, das auf jedem möglichen und unmöglichem Boden gespielt wird. Und die Madagassen sind darin in der Regel sehr gut. Die meisten jedenfalls. Interessant ist, wie die Abstände zwischen Schweinchen und Kugeln gemessen werden. Mangels eines Maßbandes werden auch gerne mal Schuhe zur Hilfe genommen, die man einfach hintereinander legt. Nach einem gar nicht mal so unspannendem Spiel gewinnen Markus und ich gegen Lars und Martin. Na gut, es war knapp. Aber gewonnen ist gewonnen. Der unerwartete Erfolg wird beim Abendessen mit Punch Coco begossen.
Beschwingt von diversen Punch Coco stapfe ich nochmal zu meinen Patienten rüber. Die drei Makihybriden befinden sich noch in ihren Käfigen, allerdings nicht alle da, wo sie sitzen sollen. Sie sind so lala wach und kuscheln sich noch in die angebotenen Handtücher. Einer hat sich jedoch durch ein Trenngitter gezwängt – wie auch immer er das angestellt hat – und sitzt bei seinem Kumpel im Abteil. Das gefällt mir weniger, da die Tiere unterschiedlich schnell wach werden und ich nicht ausprobieren will, ob der wachere Lemur den müderen am Ende beißt oder anders ärgert. Also greife ich beherzt zu, um den „Flüchtling“ wieder in sein eigenes Abteil zurück zu setzen. Ich halte das in diesem Moment auch für eine sehr gute Idee.
Leider sieht mein Patient das überhaupt nicht so. Ein erschrockenes Quieken, schon habe ich kleine, extrem scharfe Zähne in der linken Hand hängen. Na klasse. Er lässt immerhin sofort wieder los, aber die messerscharfen Zähne haben ein tiefes, wie mit der Skalpellklinge geschnittenes Loch hinterlassen. Es ist zwar nur einen knappen Zentimeter lang, dafür doppelt wie ein V aufeinander zulaufend – das Innere des V kann man hochklappen. Und es tropft. Nachdem ich in wenigen Sekunden den Boden meines OPs vollgeblutet habe, kippe ich erstmal eine halbe Flasche Sterilium auf die Wunde. Das brennt ordentlich, aber so wie das blutet, bleiben hoffentlich sowieso keine Keime drin. Dann bastele ich einhändig aus meinen in weiser Voraussicht mitgenommenen riesigen Fluschelpflastern, Camouflage-Tape, Tupfern und einer sterilen Wundauflage einen Verband.
Der Lemur ist übrigens abgehauen. Springen konnte er schon. Ganz ungeschoren kommt er jedoch nicht davon – doch dazu morgen mehr.