Ostküste 2018

Hinter den Kaffeeplantagen von Vavatenina

Calumma parsonii parsonii
Calumma parsonii parsonii

Kaum bin ich aufgewacht, bin ich schon wieder nass geschwitzt. Eigentlich habe ich die Nacht über gefühlt durchgehend geschwitzt. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch und die Temperaturen liegen schon jetzt – kurz nach 6 – gut um die 30 Grad. Gefrühstückt wird heute nicht im Hotel, sondern auf der Straße. Mit den beiden Starex fahren wir aus Mahambo heraus und folgen den Asphaltresten der RN2 ein kleines Stück, bis wir an eine Kreuzung gelangen. An einer kleinen Hütte mit Wellblechdach gibt es Kaffee aus Blechtassen und eine Art frittierte Donuts. Sie heißen hier Mofo menakely, das Stück zu 200 Ariary. Alternativ gibt es Reisküchlein. Auf dem Betonsockel der Nachbarhütte sitzend genießen wir das kleine Frühstück. Die drei Hamburger versuchen sich sogar mutig am Kaffee. In einer weiteren Hütte nur ein paar Schritte entfernt kaufe ich eine Flasche Eau Vive, die Wasservorräte müssen aufgefüllt werden.

Ein Herr auf einem roten Roller fährt vorbei. Er transportiert vier große Reissäcke mit sich, aus dem untersten schauen zwei riesige Fischflossen heraus. Auf dem Kopf trägt der Mann einen Bauhelm, der lose bei jeder Unebenheit des Bodens wippt. Er winkt lächelnd und fährt Richtung Norden davon.

Das Wetter ist prächtig. Der Himmel ist blau, nur ein paar weiße Wölkchen ziehen darüber. Wir fahren los in Richtung Vavatenina. Die Gegend ist hügelig und satt grün. Rechts neben der Straße läuft ein Fluss, der am Anfang sehr klein wirkt, aber plötzlich extrem breit wird und in riesige Stromschnellen übergeht. Wir passieren einige kleine Hüttendörfer. Die Hütten hier werden, wie an einigen Orten der Ostküste, eher mit Holzplanken anstatt –stämmen gebaut. Im Nordwesten sieht man eher Hütten aus grob geschnitztem Baumstämmen.

Auf dem Weg nach Vavatenina
Ausicht über die Hügel des Hinterlandes von Mahambo

Die Straße ist besser als erwartet. Ein paar wirklich riesige Schlaglöcher sind zwar vorhanden, aber insgesamt immer noch deutlich weniger als gestern auf der RN5. Als es irgendwo zwischen Palmen und Büschen einen Hügel nach oben geht, hält Eric an. Eric ist Hery, der, wie ich seit heute weiß, gar nicht Hery heißt. Warum er mehrfach so genannt wurde, weiß ich immer noch nicht. Jedenfalls ist Hery jetzt Eric. Und er parkt gerade den Starex mitten auf der Straße. „Was ist denn los?“ „Da ist was mit dem Motor! Zu heiß.“ Oha. Die Motorhaube wird geöffnet und das übliche madagassische fachmännische Gucken beginnt. Will heißen: Alle Mann stehen um den Motor und fachsimpeln, wo das Problem liegt. Gemacht wird aber in der Regel erstmal noch nix. Hery-Eric fummelt erstmal im heißen Motorraum herum.

Ich schlendere zu einem Schattenplatz gegenüber, von dem man eine schöne Aussicht auf die umliegende Landschaft hat. Enten und Hühner laufen zwischen ein paar Kaffeebäumen umher. Das ein oder andere Zebu steht mitten im Grünen. Im Schatten ist die Hitze erträglich. Markus wandert die Straße entlang weiter nach oben und hält nach Taggeckos Ausschau. Er findet gleich zwei große Phelsuma madagascariensis – einer ist leider zum Fotografieren zu hoch, aber der andere springt freundlicherweise auf einen niedrigen Zaun. Ein paar kleinere Phelsumen-Arten sitzen an kleinen, schmalen Bäumchen. Die Farben der Geckos leuchten wahnsinnig toll.

Plötzlich taucht der Rollerfahrer mit der Fischladung wieder auf. Er hält an und beobachtet interessiert das Geschehen vor der offenen Motorhaube. Zwei junge Männer, beladen mit riesigen Bambusstangen, laufen vorbei und verlangsamen ihr Tempo direkt, denn es gibt ja was zu gucken. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass bei Eric wohl ein Loch im Kühlsystem des Starex ist. Deshalb verschwindet die Kühlflüssigkeit schneller, als wir sie nachfüllen können. Das ist eher ungünstig bei über 30 Grad im Schatten in den Tropen.

auf dem Weg nach Vavatenina
Man beachte die Fischflossen…

Aus einem Häuschen wenige Meter über der Straße bringen freundliche Anwohner Wasser, das wir eifrig in Kanister umfüllen. Während der unfreiwilligen Pause ist es noch heißer geworden. Schatten gibt es kaum noch. Als es weiter geht, fährt Eric plötzlich doppelt so schnell. Taxibrousse überholen uns jetzt keine mehr. Alle paar Kilometer stoppen wir und füllen das Kühlsystem wieder auf. Der Weg zieht sich in die Länge. Immerhin sind die Kilometersteine am Straßenrand alle gut lesbar, so weiß man in etwas, wo man ist. Die Lüftung im Auto wirbelt die Luft nur wenig auf, der Schweiß läuft in Strömen.

In einem Dorf liegen bergeweise schwarze Massen auf dem Boden zum Trocknen raus. Ein unheimlich schwerer, süßer Duft liegt in der Luft. Ein bisschen wie Weihnachten? Tatsächlich sind es bergeweise Nelken, die auf Planen neben der Straße getrocknet werden. Der Geruch ist so intensiv, dass man im ganzen Dorf nichts anderes riecht.

Vavatenina

Schließlich fahren wir ins Tal von Vavatenina. Zu beiden Seiten der Straße liegen gelb leuchtende Reisfelder, so weit das Auge reicht. Über einen kleinen Hügel geht es noch, dann erreichen wir die kleine Stadt. Eine Unmenge Verkaufsstände mit Schuhen, Handyzubehör, Reissäcken, Keksen, Gemüse und Krimskrams begrüßt uns. Die beiden Starex drängeln sich in Schrittgeschwindigkeit durch die Stadt. Es ist laut und heiß. Zu riesigen Haufen aufgetürmte Klamottenstapel liegen auf provisorisch zu Ständen umfunktionierten Brettern, direkt neben uns wird gerade ein Reifen an einem Auto gewechselt. Wir passieren die Taxibrousse-Station von Vavatenina, die noch lauter und dicht gedrängter ist. Und schließlich verlassen wir die Stadt schon wieder.

Im Auto wird es immer stickiger. Nach unendlich vielen Kilometern erreichen wir Kaffeeplantagen. Am Straßenrand fragen Dimby und José nach Chamäleons. Leider kann uns niemand helfen. Da es in den Autos langsam unerträglich ist, parken wir sie am Straßenrand und steigen aus. Ein Hauch von Luft. Alle schwärmen aus zur Tiersuche. Fitah und Tanala fragen einen alten Mann mit wettergegerbtem Gesicht, ob er Kaffee besitze. „Jaaa, Kaffee? Ganz viel!“ Und ob es da Tiere gäbe? „Natürlich! Erst vor zwei Tagen habe ich ein Tarondro gesehen.“ Tarondro ist das madagassische Wort für ein sehr großes Chamäleon. Fitah flitzt mit dem alten Mann los, um nachzusehen, ob das vermutete Chamäleon sich womöglich noch in der Kaffeeplantage befindet.

Furcifer bifidus
Furcifer bifidus

Lars hat derweil ein Furcifer bifidus-Männchen entdeckt, das wunderschöne große Nasenfortsätze trägt. Durch die Hitze ist es fast weiß gefärbt und ein recht dankbares Fotomotiv. Selbst im Schatten unter einer riesigen Tamarinde ist es jedoch so warm, dass Fotografieren fast zum Sport ausartet. Martin entdeckt an einem Zaun eine männliche Langaha madagascariensis, ebenfalls ein super schönes Tier. Und dann kommt Fitah schon zurück – tatsächlich hat er gefunden, wonach wir gesucht haben: Ein Calumma parsonii parsonii, Farbvariante orange eye. Es hat völlig makellose Nasenfortsätze, einen weißen Kopf, orangefarbene Augenlider und einen türkisgrünen Körper. Das faszinierende Chamäleon wird ausgiebig fotografiert und ich teste endlich mal mein neues Fish-Eye-Objektiv aus. Die Stimmung steigt wieder – trotz der unglaublichen Hitze. So tolle Tiere findet man nicht täglich. Beim Fotografieren bleiben immer mal wieder Leute am Straßenrand stehen. So richtig nahe dran gehen will keiner an die Chamäleons, aber neugierig sind schon alle.

Calumma parsonii parsonii
Calumma parsonii parsonii

Mit Dimby frage ich den älteren Herrn, ob seine Familie viele Kinder hat. „Natürlich!“, sagt er. Wie viele genau, das weiß er leider nicht. Aber er organisiert gleich mal fünf Kinder, die gerne schon mal für die anderen Malbücher und Stifte in Empfang nehmen. Vom Fotografieren sind sie weniger begeistert, vom Ausmalen deutlich mehr. Ein kleines Mädchen, was gerade erst laufen kann, wird von ihrer stolzen Mama mit ins Foto gesetzt – um dann einfach lachend davon zu stolpern. Einen ganzen Stapel Malbücher und Stifte lassen wir für die anderen Kinder hier, die gerade in der Schule sind. Die Erwachsenen bedanken sich überschwenglich – natürlich gibt es auch Trinkgelder für das Finden des Parsons Chamäleons – und laden uns ein, gerne bald wiederzukommen.

Irgendwann sind alle geschafft. Wir steigen in die Starex und fahren zurück nach Vavatenina. Vor einer Disco namens „Le Dragon“ wird geparkt. Die Disco, die innen einfach eine Halle mit Stühlen und Tischen ist, ist völlig verwaist. Bei einem kleinen, dicken Mann bestellen wir kaltes THB. Ein Traum bei der Hitze! Auf wackeligen, kleinen THB-Stühlen draußen an der Straße sitzend, genießen wir im Schatten Bier und Fresh. Nach weniger als drei Minuten sind die ersten 0,65 l-Flaschen leer. THB ist einfach geil bei den Temperaturen. Die Jungs gehen derweil gegenüber Reis essen. Es ist längst nach Mittag und sie sind mehr als hungrig.

THB

Von der Rückfahrt bekomme ich nicht allzu viel mit, die meiste Zeit verschlafe ich. Hinter Vavatenina sind unglaublich viele schick gekleidete Menschen unterwegs. Irgendwas wird heute wohl gefeiert. Die Männer tragen dunkle Leinenhosen und weiße Hemden, die Frauen bunte Kleider, gerne mit Rüschen. Ich wache erst wieder auf, als ein Hund kläffend neben dem Auto her läuft. Da sind wir fast schon wieder in Mahambo. Vom Kühlsystem ist auf der Rückfahrt keine Rede mehr. Wie und ob Eric das unterwegs repariert hat, bleibt sein Geheimnis.

Als wir im Dorf ankommen, ist es schon dunkel. Vor einer madagassischen Kneipe namens Zanantany parken wir. Der Gastraum des Hotelys hat keine Fenster, sondern einfach offene Seiten rundherum. Bei den Temperaturen wäre ein geschlossener Raum auch nicht nötig. An Tür und Fenstern hängen Schnüre mit Kokosnussstücken, zu Herzchen geschnitzt und mit Samen als Perlen dazwischen übereinander gereiht. Ob sie als Deko oder Fliegenschutz – oder beides – dienen, weiß ich nicht. Die Wellblechdecke drinnen ist niedrig und mit blau-grüner Farbe besprayt.

Langaha
Langaha madagascariensis

Ich bestelle Nudeln, der madagassische Kellner-Besitzer-und-Koch sagt etwas von 30 Minuten. Es werden madagassische 30 Minuten, also anderthalb Stunden. Aber erstmal hupt es plötzlich gegenüber lautstark. Unsere Autos blockieren offenbar eine Ausfahrt, die wir in der Dunkelheit einfach nicht gesehen haben. Mitten im hohen Gras steht ein wütend hupender und gestikulierender Franzose in seinem weißen Jeep. Eric und Aina parken die Autos um, lassen den Franzosen heraus fahren… und parken die Autos einfach wieder exakt wie vorher. Nur etwas schräger.

Eine einzige Kellnerin hat das Hotely. Sie bringt mit jedem Gang aus der Küche heraus genau einen Teller, einen Untersetzer und ein Besteck. Entsprechend dauert es, bis die zusammengeschobenen Tische eingedeckt sind. Aber das macht nichts, denn das Essen dauert ja auch. Außerdem habe ich so Gelegenheit, mich alle Nase lang ausgiebig mit Antibrumm einzusprühen. Das fließt momentan nämlich einfach wieder herunter, weil ich so irre schwitze. Dabei mache ich gar nichts außer auf einem wackeligen Holzstuhl zu sitzen. Aber es ist so heiß-schwül-feucht, dass man selbst beim Nichtstun schwitzt.

Mahambo

Mit anderthalb Stunden Wartezeit bin ich mit meinen Nudeln an einer Tomate sowie ein bisschen Zebu sehr gut bedient. Fitahs und Dimbys Essen taucht erst nach zwei einhalb Stunden auf. Zurück im Hotel setzen wir uns noch einen Moment an die kleine Bar. Es gibt auch einen Billardtisch, der zwar etwas schräg ist, aber noch einigermaßen funktioniert. In einem alten Radio an der Wand sitzt ein Gecko und keckert leise vor sich hin. Nach einer halben Stunde gebe ich auf. Ich muss wirklich dringend duschen. Und dann falle ich ins Bett und hoffe auf einen Hauch Luft.

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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