Kurz nach Sonnenaufgang geht’s schon los. Ohne Frühstück fahren wir mit den beiden Starex aus Mahambo heraus. Die Straße ist auf den ersten Kilometern erträglich gut. Jede Menge Schulkinder kommen uns auf der Straße entgegen, alle in hellblauen Uniformen, aber barfuß. Vor einem Zaun hinter Antaratasy stehen Frauen und ein Junge mit Wäschekörben voll meeresfrischem Fang. Die Frauen bieten Krebse und Langusten an, der Junge hat kleine Fische an einer Schnur. Gegenüber entdecken wir ein fast weißes Pantherchamäleon-Männchen an einem Busch. Für ein paar Fotos muss Zeit sein.
In Mahavelona halten wir an der Straße neben einem großen Zaun an, hinter dem Dachlatten verkauft werden. Gegenüber liegen einige kleine Geschäfte. An einem blau gestrichenen Holzhäuschen gibt es Cola und Kaffee mit zähflüssiger, gesüßter Milch. Eine junge Frau bringt Mofo menakely auf einem silbernen Blechtablett nach draußen. Ein junger, beigefarbener Hund erbeutet die Krümel des Frühstücks. An der Nachbarhütte hängen ganze Sammlungen von Plastikflaschen an Schnüren vom Dach. Wir machen unsere eigene Plastikflaschensammlung vor dem Dachlattengeschäft gegenüber auf. Es finden sich schnell Menschen, die die Flaschen einsammeln. Plastikflaschen bleiben hier nirgends lange stehen, sie werden wie Tupperware wiederverwendet, zum Beispiel für Obstsalate.
Am Straßenrand parallel zum Meer entdecke ich unterwegs eine Statue, die wie ein Nikolaus rot-weiß bemalt ist. Der „Weihnachtsmann von Tamatave“ ist aus Beton und gehörte wohl ursprünglich mal zu einem Hotel, das jedoch seit Jahren geschlossen ist. Nur noch ein paar Mauern sind davon übrig. Irgendein Witzbold kam vor Jahren auf die Idee, die Hinweisfigur als Nikolaus anzumalen.
Dann geht es weiter nach Toamasina (Tamatave). Die Straße wird schlechter und wir queren all die vielen Schlaglöcher und meterlangen Schlammpisten, die wir bereits vor wenigen Tagen in die andere Richtung durchfahren sind. Tamatave ist laut und mit unendlich vielen Menschen verstopft. Die Sonne brennt vom blauen Himmel. Überall radeln Cyclo-Pousse an uns vorbei, vor uns her und quer über die Straße. Ein paar Tuktuks gibt es auch in der Stadt und eine Vielzahl altersschwacher LKWs. Tausende kleine Stände am Straßenrand bieten quasi alles an, was man zum Leben braucht. Zwischendurch riecht es übel nach Fisch – den gibt es in der größten Hafenstadt Madagaskars natürlich auch, in allen Varianten, Größen und Gerüchen.
Aus Tamatave heraus geht es wieder zurück auf die RN2. Zu beiden Seiten der Straße stehen Palmen, so weit das Auge reicht. Am Straßenrand steht einsam und verloren ein kleines Kind mit einer überdimensionalen Kuschelente. Das Wasser, das der Zyklon vor ein paar Tagen mitgebracht hatte, ist schon stark zurückgegangen. Überall sieht man jedoch noch den rotbraunen Schlamm meterhoch an den Pflanzen und Bäumen. An einigen Stellen dürfte das Wasser gute vier, fünf Meter hoch gewesen sein.
In einem Dorf entlang der Straße halten wir an. Obststände reihen sich nebeneinander und bieten alles an, was das Land zur Zeit ernten kann. Bananenstauden hängen an Schnüren von den Dächern, auf den Holzbrettern stapeln sich Orangen, Zimtäpfel, Ananas und Rambutan. Ich kaufe eine mehrere Kilo schwere Jackfruit für 2000 Ariary. Wer mag, kann in einem kleinen Restaurant zu Mittag essen – mir ist in der Hitze nicht so nach Essen.
Direkt hinter dem Dorf hat während des Zyklons ein riesiger Erdrutsch die Straße verschüttet. Sie ist inzwischen wieder frei geschaufelt, doch link uns rechts der Straße türmen sich rote Erdmassen. Nur eine Spur in der Mitte ist frei. Ein paar Hundert Meter weiter liegt ein Baum quer über die Straße. Nur die Spitze wurde gekappt, damit Autos sich am Rand vorbeidrängen können. Nach ein paar Kilometern endet unsere Fahrt hinter einer langen Schlange LKW. Eric und Aina überholen die überladenen Laster. Ein kleinerer Erdrutsch hat auch hier die Straße verschüttet. Durch die freie Spur zwischen den Erdmassen passen die Starex gut, ein LKW aber noch nicht. Entsprechend viele LKWs sehe ich heute am Straßenrand stehen. Sie alle stecken fest, der eine näher, der andere weiter entfernt von der Hauptstadt.
Noch gute 80 Kilometer vor Moramanga reihen wir uns in eine weitere Autoschlange ein. Ein weiterer Erdrutsch quer über die RN2, der jede Menge eigentümliche Farbe oben auf der Erde hat. Hinter uns hupt ein LKW wie irre. Es hilft ihm aber nicht, alle stehen und müssen warten, bis einer nach dem anderen durch die schmale Passage zwischen den Erdbergen fahren kann. Kurz hinter dem neuerlichen Erdrutsch wieder eine LKW-Schlange. Eine Unfallstelle verbaut den Weg. Ein blauer, alter LKW ist offenbar auf der nassen, schlammigen Fahrbahn weg gerutscht und umgekippt. Das Führerhaus ist völlig verbeult, ein Container liegt einige Meter weiter schräg an einem Hang. Der Unfall scheint schon länger her zu sein, denn Menschen sind keine mehr zu sehen. Der verunfallte LKW wird völlig ungerührt liegen gelassen.
Bis etwa 40 Kilometer vor unserem Ziel, Andasibe, entdecken wir noch zwei weitere, kleinere Erdrutsche ausgehend von einer Zuckerrohrplantage. Hinter Ampasimbe fahren wir fast in einen hinein, der direkt hinter einer Rechtskurve liegt. Offenbar wurde die rote Erde hier von ein paar Bananenpalmen noch aufgehalten, denn nur ein Teil der Straße ist verschüttet. Was ein Zyklon bei abgerodeten Berghängen anrichten kann, können wir heute live erleben. Durch die fehlenden Baumbestände an den steilen Hängen haben sich durch den starken Regen überall Erdmassen gelöst. Nicht nur auf die Straße sind sie gerutscht, überall sind „Löcher“ in Hügeln und Hängen zu sehen, überall türmen sich rote Erdmassen. Noch ein Erdrutsch, allerdings etwa fünf Meter von der Straße entfernt. Dahinter wieder eine Schlange von LKWs. Wir folgen zwei großen Tanklastern, die sich im Schritttempo die Straße entlang schieben.
Wieder zwei kleinere verschüttete Bereiche auf der RN2. Dann ist plötzlich die ganze Straße rot von darüber gelaufener Lateriterde. In einer Rechtskurve ist eine Mauer abgerutscht, die eigentlich zur Befestigung der Straße dienen sollte. Vor Beforona durchqueren wir die nächsten Erdhügel. Inzwischen schleicht ein weißer LKW vor uns, der sich partout nicht überholen lassen möchte. Auf der kurvigen RN2 ist man darauf angewiesen, dass die LKW auf den wenigen geraden Strecken langsamer und zur Seite fahren, damit man sie überhaupt überholen kann.
Inzwischen ist es später Nachmittag. Dicke, graue Regenwolken hängen über den Bergen. Es tröpfelt ein wenig. Gute fünf Meter Erdrutsch haben ein weiteres Stück der Straße verschüttet. Ich zähle schon gar nicht mehr mit. Kaum einen Kilometer kommen wir mehr voran, ohne dass wir irgendwo anstehen und warten, die nächste Engstelle zu passieren. Trotz der schmierigen Fahrbahn und der vielen Kurven überholen uns plötzlich ein ehemals weißer Golf und ein blauer Hyundai im Affenzahn.
Wir fahren seit Stunden. Nur sehr langsam geht es voran. In Erics Starex muss jemand plötzlich so dringend aufs Klo, dass wir mal eben bei netter Aussicht direkt am Straßenrand anhalten und uns nicht in die lange Autoschlange ein paar Hundert Meter weiter vorne einreihen. Es ist nicht mehr weit bis Andasibe. Wir erreichen Maromizaha, von wo es selbst bei langsamer Fahrt nur noch 10, 15 Minuten sind. Direkt vor Maromizaha hat es jedoch einen riesigen Erdrutscht gegeben. Wasser läuft die Straße herunter, links ist ein Stück der Straßenbefestigung einfach weggebrochen. Am Straßenrand klafft ein tiefes, meterlanges Loch. Unsere Starex reihen sich in eine endlos lange Schlange ein, die in langsamen Schritttempo vor sich hin schneckt. Neben uns wird gerade ein Bagger auf einen LKW geladen, um zum nächsten Erdrutsch weiter zu fahren. Als wir das Eingangsschild von Maromizaha passieren, können wir endlich ein paar LKWs überholen. Wuhu!
Und dann ist schon wieder ein riesiger, gelber Laster vor uns. Und wir bleiben stehen. Einfach so. Es stellt sich heraus, dass irgendein Vollidiot seinen überladenen LKW, dem die rechte Front vollständig fehlt, mitten auf der Straße geparkt hat. In einer Baustelle, durch die man aber leider nicht fahren kann, wenn da jemand mittendrin parkt. Ergo dauert es, bis jeder sich einzeln vorbeigezwängt hat. Vor uns Elefantenrennen, hinter uns reiht sich soweit das Auge reicht LKW an LKW. Alle paar Meter halten wir an, um dann wieder ein paar Meter weiter zu schleichen. Der Stau ist kilometerlang. Dann stehen wir ganz. Zehn Minuten, 20 Minuten… vor uns steigen Leute aus ihren LKWs aus und gehen am Straßenrand Kaffee trinken. Dimby steigt auch aus und läuft zum Stauende, einfach aus Neugierde. Immerhin haben wir ganz hübsche Aussicht auf die ewige LKW-Raupe.
Plötzlich kommt Bewegung in die Blechraupe. Hektisch rennen Männer zu ihren LKWs, entfernen hölzerne Bremsklötze vor den Reifen und springen in ihre Führerhäuschen. Endlich geht es weiter. Nur einen Kilometer vor Andasibe halten wir schon wieder an. Der Motor ist zu heiß. Langsam bin ich genervt und müde.
Die Sonne geht gerade unter, als wir endlich nach Andasibe abbiegen. Die Bungalows sind schnell verteilt, ich und Tanala haben heute 109 ganz am Rand. Hinter den Bungalows turnen ein paar Makis herum. Kurz nach Sechs treffen wir uns gegenüber des Hotels bei Luc zum Brochette essen. Es gibt Gurkensalat und gegrillten Maniok zu den Spießchen, außerdem frittierte Teigtäschchen. Rakoto, der jahrelang im Feon’ny Ala gearbeitet hat, ist jetzt bei Luc angestellt. Mit den gleichen Klamotten, nur auf der anderen Straßenseite. Er ist gut gelaunt wie immer. Trotz des anstrengenden Tages wird es ein schöner Abend. Ein bisschen herrscht schon Abschiedsstimmung, denn morgen werden Anna, Martin, Lars und Jutta schon nach Hause fliegen. Darauf noch ein THB. Oder zwei.