Nach geschätzten zwei Stunden Schlaf ist bereits wieder Aufstehen angesagt. Ich bin total gerädert. Pünktlich um Sieben sind alle fertig. Das Gepäck steht verladefertig vor der Tür, die Rucksäcke liegen griffbereit. Und dann passiert erstmal… Nichts. Gar nichts. Der Verkehr in Antananarivo hat Dimby und die anderen Jungs fest im Griff. Oder eher der Stau. Naja, da lernen gleich alle Neuen, was es mit Mora, mora auf Madagaskar so auf sich hat. Schließlich trudeln doch noch alle ein: Gris, Dimby, José, Fitah, Léon und Mamy als altbekannte Mannschaft. Christian ist auch dabei, diesmal jedoch in doppelter Funktion als Fahrer und Beikoch. Und ohne seinen Bus. Er hat Andry mitgebracht, einen rundlichen Koch mit kleiner, schwarzer Brille auf der Nase. Andry ist noch ziemlich schüchtern, begrüßt aber alle mit Handschlag und ist sofort eifrig dabei, die Koffer und Taschen auf die Dächer der Autos zu verladen. Und alles mit seinem Handy fotografisch festzuhalten.
Dimbys Mama ist auch da, samt Andrianina, Roubinah und Rosie. Ich tausche bei Andrianina ein ferngesteuertes Disney-Auto gegen eine riesige Tüte Mangostan ein. Das ist mal eine tolle Überraschung! Ich habe keine Ahnung, wo man zu dieser Jahreszeit Mangostan herbekommt. Meine absolute Lieblingsfrucht auf der Insel hat nämlich im März gar keine Saison mehr und ist höchstens noch im Nordosten, wo sie viel angebaut wird, zu bekommen. Umso mehr freue ich mich, dass es da wohl irgendwo doch eine Möglichkeit gab… Mika kommt auch kurz vorbei, muss aber gleich wieder los, da er gerade mitsamt seiner Familie umzieht.
Ich bin diesmal mit Tanala und Markus bei Gris im Auto. Wir packen die Rucksäcke in die Mitte, die Malbücher griffbereit untendrunter. Viel zu spät rollen die Autos aus dem Tor. Endlich geht es los!
In Ambohidratimo halten wir für den ersten Zwischenstop. An einer Tankstelle – es ist Sonntag und kein Supermarkt hat geöffnet – werden Zimtröllchen, Saltos (die madagassischen Tucs) und Kekse gekauft. Dann geht es ins nördliche Hochland. Die Aussicht ist fast überall toll. Alles ist grün und wie von einem Samttuch überzogen. Orangefarbene Linien und Flecken durchbrechen das Grün, wo Pfade verlaufen und bearbeitete Felder liegen. Kleine Lehmhäuschen und ein paar Reisfelder finden sich dazwischen.
Später wechselt die Landschaft zu niedrigen Grasbüscheln und kleinen Sträuchern, dann zu Grassavannen. Zwischendurch sammeln wir ein graues Furcifer oustaleti-Männchen von der Straße, was schnell zu einer Pinkelpause genutzt wird. In der Straßenkurve parken die Geländewägen vor einem roten Lateritwall. Das erste Chamäleonmännchen des Urlaubs ist ein bisschen ramponiert, es scheint Maulfäule zu haben und kneift das linke Auge zu. Christian und José finden im hohen Gras noch zwei weitere Weibchen und zwei Männchen der gleichen Art. Die Weibchen sind offenbar trächtig, zumindest lässt das ihr kugelrunder Körper erahnen. Dafür, dass ich meine Kamera zu Hause so gut wie nie benutze, klappt es heute mit dem Fotografieren schon ganz gut. Normalerweise brauche ich ein, zwei Tage, um mich „einzuschießen“. Ein paar Männer stehen am Wegrand und schauen neugierig herüber. Einer der älteren Männer scheint Angst vor dem kränklichen Furcifer oustaleti zu haben und ergreift zügig die Flucht.
Schon kurz hinter Ankazobe gibt es Mittagessen. Die Landcruiser und der Starex werden am Straßenrand geparkt, dann betreten wir das Hotely Nirina, eine madagassische Truckerkneipe. Hier wird einfaches Essen den ganzen Tag in riesigen Töpfen warm gehalten, so dass man schnelle, günstige Mahlzeiten bekommt. Drinnen werden Stühle und Tische zusammengeschoben. Ich esse bei Tanala Reis mit, das Rind dazu schmeckt wirklich gut. Dimby und ich verschenken ein paar Malbücher an ein paar Kinder, die gegenüber vor einem Stand aus Holzstangen und einer Plastikplane auf einem LKW-Reifen sitzen. Wie das auf Madagaskar eigentlich immer so ist: Plötzlich sind es viel mehr Kinder. Dimby geht in den Hinterhof des Hotely, in dem wir gegessen haben. Sechs oder sieben Kinder, eines davon offenbar einseitig blind, freuen sich riesig über Malbücher und Stifte. Die Kinder, denen wir auf der Straße Malbücher geschenkt haben, bringen diese derweil schnell bei ihren Eltern in Sicherheit. Die Mamas kontrollieren im Vorbeigehen aber noch den Inhalt der Malbücher – nach einem kurzen Nicken dürfen die Kinder sie behalten.
Gegenüber kommt derweil ein kleiner LKW an, der ein offenbar verunfalltes Auto hinter sich her zieht. Statt eines Abschleppseils oder einer –stange hat der Fahrer etwas anderes zwischen die Autos gebastelt: Einen Baumstamm, um den ein dünnes Seilchen gedreht ist. Wenn’s hält. Markus freundet sich derweil mit einem schwarzbraunen Hund mit Schlappohren an, dessen faltige, halbnackte Haut am Hals schwer nach Räude aussieht. Der Hund genießt jedoch auch die kleinsten Streicheleinheiten, so viele scheint er nicht zu bekommen.
Gegen Nachmittag erreichen wir die ersten Täler voller Mangobäume. Es wird merklich wärmer, je weiter wir vom Hochland in Richtung Westküste kommen. Noch fahren wir immer wieder zwischen den Tälern auf Bergkämmen mit kurzem Gras und wenig Bewuchs. Man kann kilometerweit in die Ferne schauen, über völlig kahle Bergrücken. In den Tälern gibt es hier und da noch winzige Reste von Primärwald – welche Arten hier wohl noch unentdeckt schlummern?
Gris fährt ziemlich schnell, so dass wir irgendwann ziemlich einsam durch das Hochland fahren. Plötzlich bremst er scharf. Ein weiteres Chamäleon zuckelt langsam über die Straße. Ich steige aus und sammle das Tier ein. Auch ein drittes Chamäleon retten wir vor dem Überfahren werden. Das vierte des Tages begleitet Markus im Laufen bis ins Gras am Straßenrand.
Als die Sonne untergeht, sind wir noch weit von Ankarafantsika, unserem Tagesziel, entfernt. Wir fahren durch ein Hüttendorf, das gerade Markttag hat. Wenige Autos drängeln sich durch unendlich viele bunt gekleidete Menschen und an provisorischen Marktständen vorbei. Auf Brettern und Holzstämmen liegen rohes Fleisch und Innereien. Entsprechend viele Schmeißfliegen surren durch die Luft. Ganze Schwärme umschwirren die Stände, auf denen noch das meiste Fleisch in der Hitze liegt. Scharfe Chilis zu Stapeln sortiert liegen direkt daneben.
Schließlich erreichen wir den Betsiboka, den größten Fluss des Westens mit der darüber verlaufenden Brücke. Am Himmel türmen sich die Wolken irre auf. Für einen ganz kurzen Moment blitzt die Sonne nochmal hervor. Sie schickt ihre letzten Strahlen des Tages über das Wasser und die roten Steine. Ein tolles Lichtspiel legt sich über das tosende Wasser des Flusses zum Ende der Regenzeit und die angrenzenden Ufer. Dann verschlucken die riesigen Wolkenberge die Sonne komplett. Innerhalb kürzester Zeit ist es dunkel. Im Stockfinsteren fahren wir weiter, immer weiter gen Westen. Als wir in Ambondromamy ankommen, leuchten nur noch einzelne Feuer entlang der Straße und ein paar wenige Leuchtreklamen an Tankstellen und Geschäften.
Um kurz nach Acht erreichen wir den Campground von Ankarafantsika. Die Reifen knirschen auf dem Kies, dann endlich sind wir da. Die Jungs spurten los, um Zelte und Küche aufzubauen. Im Dunkeln. Ndrema begrüßt uns, er wartet seit Stunden. Als ich das Klo benutzen will, muss erst mal das Wasser angeschaltet werden. In Kabine Nummer 1 gibt es keine Achtbeiner, dafür einen Tausendfüßler, eine riesige, umher rennnende Schabe und einen dicken Phelsuma kochi. Philipp, der die meiste Zeit des Tages geschlafen hat, ist bereits überall auf dem Campground unterwegs. Ebenfalls im Dunkeln. Ich bin kaum bis zur Küche gelaufen, da hat er schon diverse Frösche entdeckt und einen Blaesodactylus ambonihazo, der über einer der Lampen unter den Blätterdächern auf Beute wartet. Ich begnüge mich mit Ankommen und Ausruhen. Und ab und zu in der Küche mal gucken, was es so zum Abendessen gibt.
Das Abendessen ist fantastisch – es hat sich offenbar sehr gelohnt, den neuen Koch Andry und Christian als Beikoch mitzunehmen. Wobei mehrheitlich Andry gekocht hat – was Christian in der Küche eigentlich genau macht, weiß keiner so richtig. Das tut dem Essen allerdings keinen Abbruch. Es gibt grandios zartes Hähnchen, ganz ohne Splitterknochen wie auf Madagaskar üblich, in einer tollen Sauce. Dazu gibt es mit einer Rumflasche ausgerollte, gebackene Teigfladen. Ein Gedicht!
Wenig später falle ich auf die Luftmatratze im Zelt und bin sofort eingeschlafen.