Früh bin ich – mit fertig gepacktem Gepäck vor dem Zelt – auf den Beinen. Direkt vor unserem Gemeinschafts-Unterstand springen Coquerel-Sifakas zwischen zwei toten Bäumen umher. In einem anderen, sehr hohen Baum sitzt ein Zimtroller. Der lustige Name bezeichnet einen eher langweilig rostbraunen Vogel mit gelbem Schnabel, Eurystomus glaucurus. Ob er tatsächlich Zimt aus Baumrinde rollt – die passenden Bäume gäbe es hier – bleibt für heute ungeklärt. Ganz kurz gesellen sich zwei Grauköpfchen etwas tiefer im Baum dazu.
Bis alle Zelte abgebaut sind, dauert es sehr lange. Ndrema ist heute im besten Zwirn gekommen und hat seine älteste Tochter, seine Frau Therese und Corinne samt deren jüngsten Nachwuchs mitgebracht. Außerdem hat er eine ganze Menge überreifer Zimtäpfel mitgebracht, geerntet in seinem eigenen Garten. Die Früchte fallen fast auseinander und schmecken erstaunlich süß und lecker. Ndrema und Therese werden 70 unserer Malbücher und Buntstifte zur benachbarten Schule bringen. Beide sind hoch erfreut über die neuen Malbücher. Ndrema packt seinen Laptop aus, damit wir die Fotos von gestern von den Handys auf sein Gerät überspielen können. Außerdem zeigt er mit stolz geschwellter Brust Fotos von seinem Haus. Das er übrigens mit seinen eigenen Händen ganz selbst gebaut hat. Und es ist wirklich hübsch. Therese erzählt, dass Kristyna, die meine Haare geflochten hat, Angst vor meinem Chamäleontattoo auf der Schulter hatte. Sie hat sich dann aber doch getraut, die Haare zu flechten, weil ihr mehrfach von den Guides auf dem Campground versichert wurde, dieses spezielle Chamäleon sei harmlos. Beruhigend, oder?
Schließlich steht Ndrema auf, er will den anderen beim Abbau des Camps helfen. Da ich dabei wenig hilfreich bin, geselle ich mich zu den bisher Wartenden auf den gekiesten Parkplatz. In dem großen Baum direkt neben dem Park Office haben sich inzwischen die Coquerel-Sifakas zu einem frühen Schläfchen eingefunden. Sie beobachten sehr aufmerksam eine kleine Gruppe Guides, die direkt unter dem Baum Pétanque spielen, das madagassische Nationalspiel. Philipp ist schon wieder am Waldrand unterwegs, er hat diverse hübsche Heterixalus hinter dem Sanitärhäuschen gefunden. Ich suche dafür meine Trekkingschuhe. Was ich nach einigen Jahren Madagaskarreisen aber gelernt habe: Schuhe sind wertvoll und sie würden nie irgendwo einfach stehen bleiben. Daher gehe ich einfach davon aus, dass sie schon irgendwo in einem der Autos verstaut sind. Auf dem Campground stehen sie jedenfalls nicht mehr.
Eine Menge Sonnencreme und Antibrumm später gibt es noch eine kleine Kabary, eine Ansprache, um gegenseitigen Dank auszudrücken und natürlich auch zu versichern, dass wir wiederkommen. Es wird sich herzlich umarmt, dann besteigen wir die Landcruiser.
Die Landschaft hinter dem Trockenwald von Ankarafantsika ist relativ karg, savannenartig mit vielen dünnblättrigen Palmen. In Port Berger halten wir an, um uns ein Mittagessen zu genehmigen. Vor einem hellen Haus parken die Wagen, es ist wahnsinnig heiß. Ich bin längst nass geschwitzt, das T-Shirt klebt am Rücken. Andrea verträgt die Hitze leider nicht so gut, weswegen ich spontan in Léons Auto nach meiner zweiten Reisetasche – die mit der kleinen Apotheke – suche. Dabei finde ich nicht nur passende Medikamente, sondern auch meine Schuhe wieder.
Das Restaurant wurde seit letztem Jahr neu gestrichen und leuchtet jetzt hellblau. Fitah organisiert die Bestellungen. War das bisher Josés Job, hat Fitah den als neuer Junior Guide nun übernommen. Und er macht sich gut. Lediglich bei der Frage, ob ich ein kleines oder ein großes Bier haben möchte, erntet er eher amüsiertes Grinsen. Wer will schon ein kleines THB bei dem Wetter? Zu Essen gibt es hervorragendes Min Sao Speciale, ein Nudelgericht mit Gemüse. Speciale meint meist Fleisch oder eben Ei als extra Zutat, was hier kein Rühr-, sondern ein laufendes Spiegelei enthält. Dazu gibt es kleine, knusprig frittierte Glasnudeln als Dekoration – super lecker! Für zwei große THB und den riesigen Teller Nudeln zahle ich gerade einmal 21.000 Ariary, umgerechnet 5,50 €.
Weiter geht die Reise gen Norden. Die Straße hat zwischendurch echt viele und auch große Schlaglöcher, aber insgesamt ist sie mehrheitlich noch in Ordnung. Will heißen: Es ist noch mehr Asphalt als Loch da. Wir überqueren eine Betonbrücke über einem sehr breiten Fluss, der nur wenig Wasser führt. In der Ferne trinkt eine Zebuherde am sandigen Ufer. Mir fällt auf, dass die Dorf- und Flussbeschilderung größtenteils neu gemalt wurde und dadurch erstaunlich gut zu lesen ist. Vom Nordwesten bin ich eher unleserliche bis nicht existente Beton-Schilder gewohnt. Immer wieder begleiten uns kleine, rot leuchtende Fodys im Flug für ein kleines Stück. Auch Milane fliegen immer wieder in großen Kreisen über der Savanne.
Rund 30 Kilometer vor Antsohihy drängelt ein weißer Nissan hinter Gris herum, fährt unglaublich nahe auf, versucht rechts und links zu überholen. Gris bringt das nicht aus der Ruhe. Als er jedoch plötzlich einer Schlange auf dem Asphalt nach rechts ausweicht, überholt der weiße Nissan waghalsig links – und überfährt die Schlange einfach im Zickzack. Da ist es mit Gris‘ Ruhe vorbei. Stinksauer lässt er sich lauthals schimpfend am Funkgerät mit Léon über die Arschgeige aus, die gerade mutwillig eine Schlange überfahren hat. Er kann es einfach nicht verstehen, warum jemand so sinnlos ein harmloses Tier tötet. Ein bisschen stolz bin ich schon auf die Jungs, denn diese Einstellung ist nicht selbstverständlich auf Madagaskar.
Wenig später kriecht vor uns eine große Leioheterodon modestus über die Straße. Gris gestikuliert wild aus dem Fenster, um dem entgegen kommenden Fahrer zu bedeuten, er möge bitte langsamer fahren. Das klappt nur sehr kurz, reicht der goldfarbenen Schlange aber, um vom Asphalt ins Gras zu verschwinden. Für Tiere langsamer zu fahren, ist offenbar leider nicht für jeden normal.
Zwischen zwei mit hohem Gras bewachsenen Hängen halten wir für eine Pinkelpause an. Direkt auf einem toten Baum sitzen ein Milan und ein Bienenfresser einträchtig nebeneinander. Leider mit dem Rücken zu uns. Ein Junge treibt eine kleine Herde Zebus vorbei, ein humpelndes Kalb versucht mühselig, mit den größeren Kühen Schritt zu halten. Später halten wir an einer großen Brücke an, um ein paar Fotos der Landschaft zu machen. Eine ältere Dame mit Gehstock wackelt vorbei und bleibt kurz stehen, um zu beobachten, was die Vazaha da eigentlich machen.
Am frühen Abend kommen wir in Antsohihy an. Tanala und ich haben wieder Zimmer 109, wie immer. Ein paar kleinere Hausgeckos huschen über die Wand. Ich stelle die Klimaanlage an. Hier ist es eigentlich immer sehr warm, nachts kühlt es nur wenig herunter. Die Klimaanlage kommt da gerade recht.
Bei Chez Mamie essen wir zu Abend, einem kleinen Restaurant am Ortseingang von Antsohihy. Es ist von weißen Mauern umgeben, der geschotterte Parkplatz liegt direkt vor dem Restaurant. Auf der überdachten Veranda werden Tische und Stühle zu einer langen Tafel zusammen gerückt. Eine kleine, braune Hündin mit weißen Pfoten wandert zwischen den Füßen umher. Streichelt man sie, lässt sie sich sofort auf den Rücken fallen und möchte weiter gestreichelt werden. Macht man dann nichts, stupst sie einen mit der Pfote oder dem Kopf an. Hinter dem Restaurant dümpeln zwei Strahlenschildkröten in einem winzigen Rondell vor sich hin. Dazu gekommen sind ein ärmlicher Eulemur fulvus, der hier – illegal natürlich – in einem winzigen Drahtverschlag vor sich hin vegetiert und ein Malinois samt Welpe, beide an einer viel zu dicken Kette.
Zum Abendessen gibt es gigantische Nudelportionen und mindestens genau so viel Reis. Zum Glück sitzen Madagassen am Tisch – da bleibt kein Teller übrig, der noch voll in die Küche zurück geht. Inzwischen ist es dunkel draußen. Man unterhält sich über den Tag, über die ersten Erlebnisse in Ankarafantsika, über Madagaskar allgemein. Die Stimmung ist gut. Plötzlich setzt ein wahrer Sturzregen ein. Regentropfen prasseln auf das Blechdach des Restaurants. Man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Der Fernseher, der an der Wand über den Tischen hängt, geht aus. Als alternative Unterhaltung streiten sich ein paar Geckos unter dem Fernseher um eine Motte, die eigentlich als Futtertier viel zu groß ist. Mitten im Regen trifft ein madagassischer Fahrer ein, der seine französischen Gäste längst irgendwo abgeliefert hat. Er berichtet, dass er gerade aus dem Norden kommt. Einige Brücken sind wohl immer noch kaputt. Letztes Jahr mussten wir die Nordtour vor Ambilobe abbrechen, weil über Wochen mehrere Brücken zerstört waren und ein Vorankommen damit unmöglich war. Dieses Jahr wagen wir einen neuen Versuch. Der Madagasse fährt selbst einen Starex und meint, er wäre überall ganz gut durchgekommen. Eine Stelle an einem Fluss sei wohl etwas schwierig, aber man könne Männer vor Ort für Hilfe bezahlen… und dann ginge das schon. Ich bin gespannt.
Zurück im Hotel nehme ich erstmal eine ausgiebige Dusche. Ohne achtbeinige Mitbewohner. Nur ein kleiner Baby-Gecko flitzt über die Wand, während hinter der Eingangstür gerade ein toter Geckrorest von eifrigen Ameisen davon geschleppt wird. Die Klimaanlage läuft. Himmlische Kühle – 28 Grad um genau zu sein – verspricht einen geruhsamen Schlaf.
Fahre in 7 Tagen zum 1. mal nach Madagaskar. Die Berichte sind spannender als ein Krimi und wurden von meiner Frau und mir geradezu verschlungen. Es macht richtig Lust und wir können es kaum erwarten bis wir endlich dort sind. Sehr schöne Berichte!
Dankeschön, das freut mich! Viel Spaß auf der roten Insel! 🙂