Bestens ausgeschlafen stehe ich am frühen Morgen auf. Das riesige Bett mit dem genauso riesigen, nirgends auf einen herunter hängendem Moskitonetz ist wirklich eine Wohltat. Noch ist niemand draußen unterwegs. Das Meer liegt völlig still da, kaum eine Welle kräuselt die Oberfläche des Wassers. Ich gehe eine Runde Schwimmen und genieße die morgendliche Stille. Andrea und Martin tauchen am anderen Ende des Strands auf, auch sie nutzen die Frühe für einen kleinen Spaziergang am Strand.
Um halb Acht treffen wir uns am Parkplatz. Ich bin heute mal eher in Strandklamotten unterwegs. Statt langer Trekkinghose tut es heute eine sehr kurze Jeans und ein Strandshirt. Gut, und ein Hemd fürs Boot fahren, da bekommt man nämlich sonst sehr schnell Sonnenbrand.
Gemeinsam fahren wir mit den Geländewagen zum Hafen von Ankify. Auf dem Weg passieren wir ein großes Betongebäude mit einem hohen Zaun rund um ein Metalltor. Dahinter steht eine kleine Herde Zebus, die aufgeregt muhend darauf wartet, heraus gelassen zu werden. Ist wohl noch zu früh für Zebu-Freigang. Wir biegen hinter einer Schranke links zum Hafen ab und parken auf der Schräge direkt vor der Schule. Alle steigen aus, dann steigen die Jungs wieder ein und fahren die Autos zurück zum Hotel – bis auf eines, mit dem sie wiederkommen.
An einem Stand gegenüber sitzt Chao Malaza, unser Bootsmann, bereits beim Frühstück. Tanala und José sind schon die Stufen hinunter zwischen die Häuser des Hafenmarktes gelaufen. Mama Be sitzt an der Ecke, wo sie immer sitzt. Allerdings hat sie im letzten Jahr ganz schön Kilos verloren. Sie ist viel besser auf den Beinen als letztes Jahr. Herzlich begrüßt sie uns und beginnt sofort, wackelige Tische und Sitzgelegenheiten auf dem Platz zusammen zu schieben. Auf die eine Seite der Tischsammlung kommen zwei selbst gezimmerte, schmale Bänke, auf die andere diverse Holzhocker und Stühle.
Es gibt Reissuppe mit Gemüse und Huhn. Philip und Martin versuchen sich an dem madagassischen Frühstück. Ich esse zwei merkwürdige kleine Teigdinger mit Zwiebeln drin, diverse frittierte Bananenstreifen mit Pfeffer gewürzt und zwei, drei Brochette von Tanalas Teller. Der Hafen von Ankify bietet aber nicht nur Gelegenheit zum Essen. Hier tummeln sich alle, die von den umliegenden Inseln – vor allem Nosy Be – kommen oder gerade dahin wollen. Darunter auch mal wieder viele Damen aus dem horizontalen Gewerbe mit faszinierend greller und ebenso knapper Bekleidung. Als ein Boot ankommt, versuchen diverse Taxibrousse-Fahrer lautstark brüllend, Kunden für ihre Fahrten anzuwerben. Vier Reifen am Auto, halbwegs funktionierende Bremsen, ab und zu Licht – alles wird als Vorteil des eigenen Taxibrousse angepriesen.
Chao Malaza kommt später dazu. Vorbei an vielen kleinen Marktständen mit Nudelsalat, diversen frittierten Teigwaren und Obst laufen wir gemeinsam zum Anleger. Die Cyclone II liegt direkt am vordersten Steg und schaukelt auf den kleinen Wellen des Hafenbeckens. Auf jedem Platz liegt ordentlich eine neonfarbene Rettungsweste aus. Anstatt die Westen anzuziehen, werden sie von uns als Sitzgelegenheiten benutzt. Chao lenkt das Boot aus dem Hafen und erst einmal in Richtung Nosy Komba. Dann fährt er einen großen Schlenker nach rechts in Richtung Nosy Faly, unserem Ziel für heute. Die Insel komm langsam näher, gleichzeitig zieht sich der Himmel langsam zu. Chao fährt einen großen Bogen nach rechts in Richtung einer Landzunge, um dann durch eine schmale Furt vorbei an dunklen Felsen in Richtung des größten Dorfs von Nosy Faly zu fahren. Eine Meeresschildkröte taucht links des Bootes auf und verschwindet ebenso schnell wieder ins tiefere Meer, wie sie gekommen ist. Die Flut geht gerade zurück, aber wir können mit dem Boot noch gut anlanden.
Ich ziehe die Schuhe aus und springe barfuß aus dem Boot ins Wasser. Das Meer ist brühwarm, nach ein paar Schritten bin ich am Strand. Wir haben direkt vor einem Platz mit ein paar großen Bäumen angehalten. Boote liegen am Strand, die meisten hölzern und zum Fischen gedacht. Etliche Hütten mit Blätterdächern gruppieren sich um den Platz, in dessen Mitte eine steinerne Madagaskar-Flagge auf einem Betonpodest thront. Daneben steht ein riesiger Holzpfahl, an dessen Ende eine zerrissene Madagaskarflagge baumelt. Auf das Betonpodest setze ich mich gleich mal, um meine Socken und Schuhe wieder anzuziehen. Eine winzige, struppige Katze steht mitten auf dem Platz und ist so wackelig auf den Beinen, dass ich befürchte, sie wird gleich einfach umfallen.
Als alle ihre Schuhe wieder an haben, laufen wir im Gänsemarsch im Zickzack zwischen den Hütten los. Wäscheleinen mit Unterhosen und T-Shirts hängen zwischen den Hütten. Überall stehen gelbe Plastikkanister, sie werden zum Wasserholen am Brunnen genutzt. Anscheinend haben wir unterwegs auch noch einen Guide – wofür auch immer auf einer kleinen Fischerinsel wie Nosy Faly – eingesammelt. Oder er hat sich uns einfach angeschlossen, da bin ich mir nicht so sicher. Vor einer Holzhütte inmitten des Dorfes treffen wir auf Robby, der gerade mit einem Freund Wäsche wäscht. Er ist vor Jahren nach Madagaskar ausgewandert. Es geht ihm gut, er war gerade erst zu Hause in Deutschland. Sieht man – schon allein, weil er viel blasser ist als jemand, der eigentlich seit Jahren auf einer tropischen Insel lebt. Wir verabreden uns für später zum THB auf dem Dorfplatz. Ich folge den anderen weiter zwischen den Hütten aus dem Dorf heraus in Richtung der Mangroven. Es geht einen sandigen Pfad zwischen Palmen entlang. José entdeckt das erste Pantherchamäleon in einem Baum und Markus schon gleich darauf das nächste, das gerade über den Weg läuft. Christian läuft ihm hinterher und hilft beim Einsammeln. Also stoppen wir unsere kleine Wanderung erstmal zum Fotografieren.
Es beginnt zu tröpfeln und nach wenigen Minuten schüttet es kurz, aber kräftig. Ich flüchte unter einen Baum, mache das Regencape über meinen Fotorucksack und breite meine Regenjacke über die Kamera und zwei Objektive aus. Schüler in hellblauen Hemden laufen gerade in Richtung des Dorfs. Die Jungs tragen rote Krawatten, die Mädchen dunkle Röcke zum hellblauen Hemd. Argwöhnisch beobachten sie, dass wir Chamäleons fotografieren – keiner traut sich hier, sich den Tieren zu nähern. Es werden ihnen eher noch versehentlich beim Holz hacken mit der Machete die Schwänze abgehackt, wie wir im Laufe des Tages an vielen Männchen feststellen können. Einige Frauen, die eigentlich gerade den Weg entlang laufen, trauen sich nicht an uns vorbei, weil sie Angst vor Chamäleons haben. Und vor allem anderen, was da kreucht und fleucht.
Wir bilden wieder unsere Fototeams, was bisher ganz gut klappt. Markus und ich erwischen zunächst ein leider sehr schwarz gefärbtes Pantherchamäleon, das heute offenbar keine schöneren Farben mehr zeigen möchte. Kurze Zeit später wechseln wir zu zwei wunderschönen und enorm farbenprächtigen Pantherchamäleon-Männchen, die türkisblau und weiß leuchten. Wahnsinnsfarben! Das hübsche Männchen ist nicht sehr gut gelaunt, aber gut zu fotografieren. Christian hat derweil ein weiteres Pantherchamäleon gefunden, keine zehn Meter von den anderen entfernt. Es ist komplett türkis gefärbt, fast ohne Weiß, mit tiefroten Stellen an Beinen und Körper.
Als zwei Männer entdecken, dass wir Chamäleons fotografieren, schleppen sie zwei Kinixys zombensis an. Leider kratzen sie dann mit Steinen am Panzer, bis die Tiere flüchten und los laufen wollen… säuerlich bitte ich die Madagassen, solches Verhalten zu unterbinden bzw. zu erklären, dass sie die Tiere mit der Kratzerei am Panzer verletzen und stören. Der Umgang mit Reptilien will offenbar doch gelernt sein. Die Sonne kommt hinter den Wolken hervor, es hat aufgehört zu regnen.
Nach über einer Stunde laufen wir weiter. Der Weg führt einen Hügel mit einem sehr glitschigem Lateritweg hinauf, rechts dahinter befindet sich ein großes helles Gebäude mit einer großen Glocke im Hof. Es ist wohl die Schule der Insel. Links davon im Gestrüpp und in ein paar großen Bäumen finden wir weitere Pantherchamäleons. Eines ist ein großes, hellblau-weiß gebändertes Männchen mit gelben Augenlidern, ein wirklich fantastisches Tier. Ihm fehlt ein Stück Schwanz, aber das tut den grandiosen Farben keinen Abbruch. Es posiert zum Glück auch sehr fotogen. Die Lokalform von Nosy Faly ist erstaunlich vielgestaltig. Von den – wie ich finde schönsten – weiß-hellblau gemusterten Tieren bis zu türkis-roten Chamäleons fast ohne Weiß ist alles dabei. Auch Weibchen der gleichen Art entdecken wir, alles auf nur ein paar Hundert Meter Wegstrecke.
Ein junger Mann im roten Pulli sucht spontan mit uns nach Tieren. Nach einer halben Stunde bringt er eine kleine, fantastisch gemusterte junge Sanzinia volontany an. Er hat sie mittels eines Stocks von einem Baumstamm gehoben, traut sich aber nicht, sie anzufassen. Auch ihr fehlt das letzte Stück Schwanz. Trotz ihrer „Größe“ ist die kleine Schlange enorm beeindruckend, vor allem wegen der wunderschönen, klaren Musterung.
Später kehren wir langsam wieder in Richtung der Mangroven zurück zum Dorf. Als ich den Hügel gerade herunterlaufe, fährt in rasender Geschwindigkeit ein Radfahrer vorbei, wobei er mehr rutscht als fährt. Unterwegs verliert er ein Pedal, bleibt stehen und läuft zurück, um es wieder einzusammeln. In die andere Richtung fährt ein Tuktuk den Hügel hinauf – ich wusste gar nicht, dass es die hier auf der Insel gibt.
Unendlich viele, winzige Winkerkrabben sind auf dem feuchten Sandboden an den Mangroven unterwegs, krabbeln Baumstümpfe nach oben und wandern zwischen den Pfützen umher. Ein schräg wachsender, dicker Baumstamm ist fast völlig von Krabben bedeckt. Martin und Philip sind noch mal alleine losgezogen, um weitere kleine Tiere zu finden. Als sie zurückkommen, hat Martin einen gewaltigen Sonnenbrand im Nacken.
Am Dorfplatz sammeln wir uns unter einem großen Baum im Schatten. Andrea macht Fotos von den umher springenden Kindern. Die Kleinen freuen sich total, als sie ihnen auf dem Display die Bilder zeigt und wollen mehr und mehr Fotos von sich machen. Auf einem der Holzboote mit Auslegern döst ein junger Mann mit Ohrstöpseln vor sich hin. Christian fragt ihn, ob es hier irgendwo Bier gibt? Ja, gibt es direkt gegenüber bei einer netten älteren Dame im lila Tuchgewand. Sie verfügt über exakt zwei Flaschen THB, beide so lala gekühlt. Wir quetschen uns in einen winzigen Unterstand mit selbst gebauten Minibänken und einem mit schwarz-weiß kariertem Plastik bezogenen Tisch. Mein Hintern passt gerade so auf die schmale, selbst gezimmerte Bank aus alten Holzlatten. Zum THB, das wir unter allen aufteilen, gibt es kleine Gläser mit rosa Blümchen, Goldglitzer und Ziersteinchen. Bei derselben Dame probieren die Jungs eine Art süßes Nudelgericht, das aber nicht sonderlich Anklang findet.
Kaum sitzen wir im Boot, schläft Philip auch schon. Das ist auch ein Talent, quasi jede Fahrt zum Schlafen nutzen zu können. Ich steige als letztes ins Boot ein, darf aber trotzdem ganz vorne sitzen (Erinnerung: Vorne ist nicht unbedingt der beste Platz, vor allem bei Wellengang nicht). Als Chao das Boot von der Insel weglenkt, tauchen fliegende Fische vor dem Bug auf. Einen kurzen Moment glitzern Dutzende Fischkörper immer wieder springend über dem Wasser, dann sind sie schon wieder verschwunden.
Es ist ganz schön windig während der Bootsfahrt. Chao bringt uns direkt an den Strand des Hotels. Sein Hilfsmann wirft den Anker heraus, dann landet das Boot rückwärts am Strand an. Gerade kommt die Flut wieder. Ich gehe kurz duschen, dann ist Zeit zum Schwimmen im Meer. Nach und nach finden sich fast alle vor Tanalas und meinem Bungalow ein. Es wird gequatscht, gelacht und Bier getrunken. Andry und Fitah kommen auch dazu. Es stellt sich heraus, dass unser neuer Koch erstaunlich gut schwimmen kann. Das können leider nicht alle Madagassen, viele schwimmen gar nicht oder nur sehr schlecht. Ein paar madagassische Kinder spielen Fangen um das Bungalow. Dimby holt Malbücher für sie, prompt sitzen sie völlig gebannt mit ihren Stiften im Sand und malen.
Am Abend gehen Tanala und ich schon früher ins Restaurant und trinken schon mal zu zweit eine Cola, bevor die anderen dazu kommen. Eine freundliche Frau bringt die Wäsche zurück, die wir gestern abgegeben haben. Sie hat sogar Tanalas gerissene Boxershorts, die er ganz vergessen hatte, einfach wieder zusammen genäht. Gemütlich in den tiefen Sesseln sitzend beobachte ich den Himmel. Gegenüber auf der Landzunge blitzt es, eine Regenwand schiebt sich in Richtung Nosy Faly.
Das Abendessen ist auch heute vorzüglich. Gegen Ende unseres Essens nimmt der Wind zu und das Wetterleuchten kommt näher. Als ich schließlich zum Bungalow gehe, beginnt es gerade zu gewittern.