Heute gibt es kein „Programm“, es ist sozusagen ein reisegruppenfreier Tag. Jeder kann tun und lassen, was er möchte. Aber unsere Gruppe ist ziemlich gut, deshalb habe ich gar keine Ambitionen, etwas alleine zu unternehmen. Gegen Sieben treffen wir uns am Parkplatz fürs Frühstück im Hafen von Ankify. Die Gruppe ist ausgedünnt, einige möchte heute lieber ein Omelette mit Baguette im Hotelrestaurant frühstücken. Andere schlafen noch. Die Jungs haben gestern wohl noch länger dem Rum zugesprochen. Jedenfalls taucht um halb Acht ein deutlich geräderter Gris auf, der mit wehleidigem Blick auf Kopf und Bauch deutet. Aus Spaß bietet er mir den Fahrersitz seines Landcruisers an – ich nehme das glatt mal an und fahre den Landcruiser selbst zum Hafen. Schon ein ganz schönes Schiff, das Auto. Aber am Ende funktionieren Kupplung, Gas und Bremse genauso wie bei jedem anderen Auto. Ich komme mir nur insgesamt sehr klein darin vor.
Am Hafen gibt es beim Einparken etwas verblüffte Blicke, insbesondere von den Herren der rostigen Taxibrousse. Frauen am Steuer sind hier eher eine Ausnahme. Das liegt nicht daran, dass Frauen hier keinen Führerschein machen dürften. Aber die Rollen sind auf Madagaskar noch sehr klassisch verteilt. Und wer viele Kinder bekommt – was auf Madagaskar als sehr erstrebenswert gilt – hat keine Zeit, nebenbei noch einen Führerschein zu machen. Dazu kommen die Kosten. Auch wenn ein Führerschein auf Madagaskar verglichen mit Deutschland unglaublich billig ist – das ganze Prozedere kostet keine 100 Euro – haben die wenigsten Madagassen genug Geld, sich einen zu finanzieren.
Zurück zum Frühstück. Es wird eher ein Katerfrühstück mit viel Reis und einer Menge Brochettes und Sakay-Fisch. Für Marco bringen wir einen kleinen Kuchen mit zurück zum Hotel, er taucht allerdings erst zu Mittag überhaupt auf. Bei der Rückfahrt sitze ich wieder am Steuer – Gris ist offenbar ganz froh, heute keinen Finger rühren zu müssen. Als ich den großen Geländewagen durch die Einfahrt des Hotels lenke, schaut Markus irritiert herüber, der gerade schon auf Geckosuche ist. Ich winke fröhlich aus dem Fenster.
Leider habe ich immer noch Halsschmerzen und Kopf. Daher werfe ich eine Reihe Tabletten aus meiner Kofferapotheke ein. Im Bett rumliegen will ich nicht den ganzen Tag, schon gar nicht in Ankify. Daraufhin wird die Lage erträglich angenehm, allerdings schlafen mir dauernd die Füße ein. Mit Philipp, Martin, Andrea, Tanala und Markus breche ich wenig später mit abgespeckter Kamera-Ausrüstung zu einem kleinen Spaziergang auf. Auf dem Schotterweg an der Küste entlang schlendern wir gemütlich zu der Kaffeeplantage an einem kleinen Hügel. An den zwei Bächen, die die Plantage queren, kann man Buntfröschchen finden. Und gar nicht mal so wenige! Philipp ist schon wieder in seinem Element. Er findet hier noch einen Frosch, da eine Mantide und schleppt sogar eine wunderhübsche Paroedura stumpffi an. Letzteren konnte ich bisher nicht so viel abgewinnen. Näher betrachtet erweisen sich diese Geckos als überaus hübsch.
Während dem Fotografieren schleicht sich ein neugieriger Zonosaurus immer wieder an die Rucksäcke heran, bis er schließlich obendrauf sitzt. Hoffentlich nimmt ihn keiner versehentlich mit. Im dicken Laub unter den Kaffeebäumen wandert ein kleines Brookesia stumpffi vor sich hin. Es ist gerade im Begriff, einen Baumstamm zu erklimmen. Das fällt schwer, wenn man so klein und kurzbeinig ist. Und sich dazu noch bei jeder zweitbesten Gelegenheit fallen lässt.
Nur ein paar Meter weiter waschen zwei Frauen im Bach Geschirr. Auf einem Stein sitzend und kurz ausruhend schaue ich ihnen ein wenig zu. Allerdings werde ich dabei unfreiwillig Zeuge eines eher skurrilen Geschehens. Eine der Damen hebt ihren leuchtend roten Rock, hockt sich in den Bach… und kackt einfach hinein. Okay, das ist jetzt noch nicht völlig verwunderlich, da am Rande des Baches sozusagen die Dorfkloake verläuft. Verwunderlich ist dann allerdings schon, dass die gute Frau erst danach aus dem gleichen Bach ihren gelben Wasserkanister füllt… und mitnimmt. Ich schaue ihr mit offenem Mund hinterher, mit einer Mischung aus Belustigung und Ekel. Weitere Frauen kommen an den Bach. Der Geruch stört sie offenbar gar nicht. Auch sie spülen Geschirr oder holen Wasser. Ich bin einigermaßen irritiert.
Ich schlendere weiter den Weg entlang. Es scheint schon etwas zu warm für Chamäleonsichtungen zu sein. Außer einem sehr kleinen Pantherchamäleon-Jungtier auf einer Liane am Wegrand entdecke ich nicht viel. Markus findet einen riesigen Phelsuma grandis an einem Baumstamm. Das Tier ist gut so lang wie mein ganzer Unterarm, wirklich beeindruckend groß für einen Gecko. Ein kleinerer Gecko der gleichen Art findet sich ein paar Meter weiter. Die von Palmen umrahmte Aussicht aufs Meer und Nosy Komba gegenüber den ganzen Weg entlang ist wirklich schön. So stelle ich mir Urlaub vor.
Kurz vor dem ehemaligen Dauphin Bleu, zuletzt Ankify Lodge, aktuell gerade namenlos geschlossen, geht der Weg aus dem Schatten in knallende Sonne über. Ich beschließe daher, wieder umzudrehen. Leider hat das ehemalige Dauphin Bleu momentan sowieso zu, wie wir gestern gut vom Boot aus sehen konnten. Nach nicht mal hundert Meter kommen Markus und mir die anderen schon entgegen. Auch Tanala, Andrea, Philipp und Martin kommen wieder mit zurück zum Hotel. Immerhin sind wir schon gute vier Stunden unterwegs.
Als ich später wieder am Bach vorbeikomme, sind die Frauen alle verschwunden. Dafür sieht es am Bachlauf aus wie auf einer Müllhalde. Dutzende Plastikverpackungen kleiner Seifen liegen im Laub, dazu etliche Schwämme. Die „Entsorgung“ wird der nächste Regen leisten, der den ganzen Müll ins Meer spülen wird. So eine Sauerei.
Zurück im Hotel setze ich mich oben im Restaurant auf einen der Sessel. Tanala bestellt direkt zwei Cola und zwei THB, damit Joel nicht so oft laufen muss. Dimbys Frau hat angeboten, Gewürze einzukaufen, wenn wir schon eine Liste machen. Dafür ist jetzt Zeit, also darf jeder seine Bestellung abgeben. Nelken, Zimt, Vanille, wilder und schwarzer Pfeffer… die Liste wächst und wächst.
Später verabschiede ich mich für ein geruhsames Mittagsschläfchen ins Bungalow. Die Nachbarn des Hotels betreiben heute irgendeine Party. Grund ist ein neues Biermischgetränk, das der Hersteller heute in Massen sponsert. Samt der dazugehörigen Party, versteht sich. Man will das Bier ja auch unters Volk bringen. Vor unserem Bungalow sammeln sich irgendwelche Kat mampfenden Herren. Nacht einer guten Stunde Schlaf werden die Herren mittels eintrudelnder Mitreisender und lauter Musik verscheucht. Die Kinder, die gerade noch Fußball gegen die Bungalowwand gespielt haben, müssen ihr provisorisches Tor – zwei Holzstöckchen – auch umbauen. Joel findet uns am Strand und nimmt schon mal Bestellungen fürs Abendessen auf.
Am späten Nachmittag sitzen wir alle einträchtig aufgereiht auf der Terrasse am Strand und beobachten Meeresschildkröten. Alle paar Minuten sieht man im Meer einen Kopf auftauchen und wieder verschwinden. Mal hier, mal da, mal mehrere Köpfe, mal nur einer. Es wird langsam windig am Strand. Der Himmel zieht sich zu, hinter Nosy Komba gewittert es mal wieder. Wetterleuchten begleitet den Sonnenuntergang, der den Himmel komplett in rosa und lila Farbtöne taucht.
Beim Abendessen geht kein Lüftchen mehr. Ich zerfließe fast. Schweißtropfen rinnen mir schon wieder den Rücken herunter, dabei esse ich nur ein paar Nudeln. So früh der Tag für mich begonnen hat, so früh endet er heute auch. Um acht bin ich eigentlich schon müde genug, um ins Bett zu gehen. Wir trinken noch einen Rum, dann verabschieden sich langsam alle aus dem Restaurant.