Der Hahn kräht gnädigerweise erst um halb Sechs, allerdings in einer sehr merkwürdigen Tonlage. Um Sechs brechen Philipp, Martin, Marko, Markus und Andrea mit Jocelyn zu einer kurzen Runde nach Ankarana auf. Ich und Tanala bleiben hier. Es geht kein Lüftchen, ist aber schon bemerkenswert warm am frühen Morgen. Rosalie, eine der Angestellten im Restaurant, bereitet geschäftig das Frühstück vor. Madame Valium macht gar nichts. Doch, sie sitzt auf einem Holzstuhl vor einem kleinen Fernseher und schaut eine brasilianische Telenovela. Mehr aber auch nicht. Gris und Léon haben sich in die Küche verzogen, da sitzt man näher am Reis. Eiterbeulchen bekommt erneut Medikamente, diesmal in Banane versteckt. Der Eiter auf ihrer Nase ist schon viel weniger geworden.
Ein Zimtroller, die gleiche Art wie in Ankarafantsika, sitzt in einem Baum direkt vor dem Restaurant. Ich wandere nochmal über das Gelände. Mit Dimby und Tanala entdecke ich noch einen der hübschen Paroedura stumpffi an einem Baumstamm. Sogar ein Blattschwanzgecko-Jungtier finden wir noch, es ist wunderhübsch und noch ganz hell gefärbt.
Als wir später unsere Rechnungen schon mal begleichen wollen, stellt sich heraus, dass Madame Valium jegliche Getränke- und Essensbestellungen auf ein einziges großes Papier geschrieben hat. Wer davon was genau bestellt hat, ist nicht mehr nachvollziehbar. Also warten wir wohl auf Fitah, der mit den anderen im Wald ist. Und hoffen mal, dass er noch alle handgeschriebenen Bestellzettel in irgendeiner Hosentasche aufgehoben hat.
Kurz vor Mittag trifft ein Pärchen Deutscher im Restaurant ein. Tanala kommt mit den Beiden ins Plaudern. Sie kommen gerade aus Diego Suarez, waren schon im Montagne d’Ambre und heute in Ankarana. Jetzt wollen sie weiter nach Nosy Be, denn O-Ton „Ich bin ja mehr so für beach“, sagt das blonde Mädel in Leggings. Ankarana wäre nicht so gut gewesen, befinden beide einstimmig, „Nicht mal große Schlangen gibt es da!“, moniert er. Später erfahre ich, dass sie an einer durchaus fotografierwürdigen Madagaskarboa einfach vorbeigelaufen sind. Ich habe langsam den Eindruck, dass die Beiden lieber nach Namibia auf Elefantensafari gefahren wären und hier eigentlich irgendwie total falsch sind. Einen Brüller haut sie dann noch raus: „Im Montagne d’Ambre waren wir auch, aber das ist ja total langweilig. Da gibt’s ja nix!“ Diese Aussage verleitet mich dann doch dazu, mich zu ihr umzudrehen und ihr einen kurzen Abriss über die Artenvielfalt auf Madagaskar im Allgemeinen und im Montagne d’Ambre im Speziellen zu geben. Mir scheint, das beeindruckt das Pärchen eher wenig. Artenvielfalt, wie uninteressant. Da gibt’s ja nix, auf Madagaskar… ja, wenn man blind ist für kleinere Tiere, offenbar völlig unfähige Guides hat und keinerlei Interesse an der Natur, dann eher nicht. Für alle anderen ist Madagaskar ein Paradies.
Kurz nach Mittag taucht zum Glück unsere Gruppe wieder aus dem Wald auf. Einer der Gruppe geht unter die Dusche, alle anderen schauen, dass wir zügig weg kommen. Noch heute fahren wir zum Montagne d’Ambre und die Straße ist nicht die beste. Genauso ist es dann auch. Die Straße ist eine Katastrophe. Nur noch Schlaglöcher, Asphaltreste und Schotterpisten erwarten uns hinter Mahamasina. Lediglich hinter Anivorano Nord liegt eine kurze Strecke intakten Asphalts.
Apropos Anivorano Nord, dort halten wir an. Andry möchte noch etwas einkaufen, was er in Ambilobe nicht bekommen hat. Wir parken am Straßenrand vor einer verlassenen Tankstelle. Ich rutsche von meinem Sitz hinten im Auto und schlendere in Flip-Flops die Straße entlang. Gegenüber liegen einige kleine Hütten. Ein kleiner Junge, vielleicht gerade ein Jahr alt, hat schon Kat in der Hand. Kat ist hier überhaupt allgegenwärtig. Kaum jemand, der keinen Tischtennisball in den Backen hat. Ein Taxibrousse hält weiter vorne an, es ist meterhoch mit Gepäck beladen. Eine Ziege zuckelt über die Straße. Aus den Fenstern des wartenden Taxibrousse reichen Arme heraus, sofort kommen eifrige Verkäufer angelaufen. Von Blechtellern bieten sie Mais, gekochte gelbe Yamswurzeln und frittierte Snacks an.
Irgendwo hinter der Stadt treffen wir auf ein liegengebliebenes Auto am Straßenrand. Und die Welt ist wirklich klein hier: Es ist Angelin, der sich sehr freut, als er uns entdeckt. Wir parken in einem gewissen Sicherheitsabstand, denn Angelins Auto stinkt bestialisch nach verfaulten Eiern. Scheinbar ist die Autobatterie ausgelaufen, wenn ich das richtig verstanden habe. Angelin und sein Gast warten gerade darauf, dass der Motor abkühlt und sie die Batterie wechseln können. Direkt hinter einem unserer Autos findet sich noch ein Pantherchamäleon-Männchen, ein wunderhübsches. Von der Hitze des Tages aufgewärmt ist es schnell im grünen Dickicht verschwunden.
Kurz nach 17 Uhr erreichen wir Ambohitra, französisch Joffreville. Bei Jackie Chan, der gar nicht so heißt, plündern wir den Getränkeladen. Kistenweise tragen wir Bier, Wasser, Cola und Fresh zu den Autos. Hunderte, nein, Tausende von Libellen sind in Joffreville unterwegs. Ganze Schwärme funkeln und glitzern in der Abendesonne und schweben wie kleine Helikopter durch die warme, feuchte Luft. Kühl ist es heute nicht hier.
Der Weg zum Montagne d’Ambre hinter der Schranke des Parkeingangs ist leider heute mies. War er vor zwei Jahren noch bestens befahrbar, ist die Straße nun wieder eine rutschige Piste, auf der wir mehr als einmal ins Schlingern geraten. Endlich erreichen wir den Campground. Die Jungs laufen sofort los, um Zelte aufzubauen und die Küche vorzubereiten. Ich wandere schon mal mit Stirnlampe am Rande des Campgrounds herum. Nach fünf Minuten entdecke ich in einem Baum neben der Hecke, die den Zeltplatz begrenzt, einen Blattschwanzgecko. Ein weiterer Uroplatus sikorae sitzt auf einem aus dem Gebüsch ragenden Ast in rund zwei Metern Höhe, kaum ein paar Schritte entfernt. Und draußen am Wegrand finde ich direkt im Anschluss noch zwei Uroplatus finiavana, eines davon hat ein Schwanzregenerat. Über Markos Zelt wohnt außerdem ein schlafendes Calumma ambreense. Hochzufrieden laufe ich mit einem seligen Lächeln zurück, in der Küche wird gerade das Abendessen vorbereitet. „Da gibt’s ja nix!“, höre ich noch leise im Kopf. Es gibt wohl kaum einen Ausdruck, mit dem man den Montagne d’Ambre, einen meiner liebsten Regenwälder auf Madagaskar, schlechter beschreiben könnte. Das hier ist ein Reptilienparadies!