Ich bin früh wach und bleibe einfach noch ein bisschen auf der Matratze liegen. Draußen klimpert Christian mit Geschirr, es ist kühl und feucht. Ich lausche eine Weile dem noch leisen Treiben auf dem Campground, bevor ich selbst auch aufstehe. Dichter Nebel hängt über dem Wald, die Spitzen der Bäume um den Campground sind nicht zu erkennen. Alles ist nass. Bevor ich zum Zähneputzen gehe, kontrolliere ich meine Trekkingschuhe am Unterstand – sie tropfen immer noch. Die kann ich also nicht anziehen. Mangels weiterer Schuhe entscheide ich mich wieder für meine Flip-Flops. Da es recht frisch ist, ziehe ich aber vorher Socken an. Nach nicht mal einer halben Stunde stelle ich fest, dass ich auch gleich barfuß laufen könnte. Die Socken sind komplett von Matsch und Schlamm verschmiert.
Zum Frühstück tischt Andry frittierte kleine (und extrem süße) Bananen auf, dazu Omelettes mit Käse. Der Nachschub an Bananen, den er nach und nach aus seiner Pfanne in ein großes, tiefes Tablett befördert, würde auch für fünf Leute mehr ausreichen. Während des Frühstücks fahren mehrere Autos auf den Parkplatz. Ein Tuk-Tuk und ein Haufen Motorräder folgen dem Weg zum Wasserfall. Etwa 30 Mann laufen ihnen hinterher. Von uns geht keiner hinüber – die Zeremonie an sich würde mich schon interessieren, aber Live-Schlachtungen sind weniger mein Ding und Kat auch nicht so. Nach einer Weile hört man lautes Gebrüll herüber schallen. Es scheint eine sehr laute und stimmintensive Kabary am Wasserfall zu geben. Angeluc taucht zum Frühstück auf, verschwindet aber bald wieder. Mit den tropfnassen Schuhen wird heute keine große Wanderung zu machen sein. Er verspricht gut gelaunt wie immer, sich in der Umgebung des Camps umzuschauen und uns Bescheid zu sagen, wenn er etwas Schönes findet.
Als die Sonne endlich über die Bäume des Campgrounds scheint und der Dunst sich verzieht, packen alle eilig ihre Sachen zum Trocknen aus. Die Jungs spannen eine riesige Wäscheleine zwischen der Küche und einem hohen Drachenbaum. Ohne Wäsche hängt sie so weit oben, dass ich sie mit ausgestrecktem Arm und auf den Zehenspitzen stehend noch nicht berühren kann. Kaum sind eine Menge schwerer, klatschnasser Klamotten darauf, sinkt die Wäscheleine bis auf Kniehöhe herunter. Trekkinghosen, Pullis, Kopftücher, Unterwäsche – alles landet auf der Leine. Zwischen den Autos werden weitere Leinen gespannt. Die Fotorucksäcke sind leider auch feuchter als gedacht. Mein Reisepass schwimmt in einem kleinen See. Durch mein Fish-Eye-Objektiv kann ich nicht mehr durchgucken. Den anderen geht es ähnlich. Die Jungs platzieren die leeren Wasserkanister in der Sonne. Auf Bänken und Kanistern wird das Foto-Equipment ausgebreitet. Außer uns ist niemand auf dem Campground, daher kann der ganze Fotokram auch einfach erstmal so liegen bleiben.
Angeluc ist derweil wieder zurück. Er hat einige Erdchamäleons gefunden, darunter ein Brookesia ebenaui. Diese kleine Chamäleonart hat etwas mehr Knochenfortsätze am Kopf als die anderen hier beheimateten Arten, wodurch es unglaublich niedlich aussieht. Und für ein Erdchamäleon sind die Tierchen wirklich wunderhübsch. Ein kleines, dickes Weibchen – vermutlich trächtig – und ein eher schlankes, jüngeres Männchen fotografiere ich mit Markus an einem dicken Baumstamm. Nur das dritte Erdchamäleon, eines der hier überall im Regenwald lebenden Brookesia antankarana, möchte überhaupt nicht fotografiert werden. Ich wende mich stattdessen lieber einem fantastischen Blattschwanzgecko, Uroplatus sikorae, zu. Ein Weibchen, das allerdings auch nicht sonderlich kooperativ ist. Das Blattschwanzgecko-Weibchen hat eine wahnsinnig tolle Zeichnung auf dem Körper, die wirklich wie echte Flechten aussieht. An den mit Flechten überwucherten Bäumen des Regenwaldes ist sie kaum zu erkennen, die Farben passen sich perfekt in die Baumrinde ein.
Als der Himmel sich am späten Vormittag wieder zuzieht, brechen wir die Fotografie ab. Prompt beginnt es zu tröpfeln. Ich laufe inzwischen barfuß über die Wiese oder das, was davon stellenweise nur noch als Schlammsuhle übrig geblieben ist. Sollte es hier Skolopender gegeben haben (wegen der ich eigentlich lieber Schuhe trage), dürfte der Regen sie sowieso davon gespült haben. Schon nach wenigen Minuten sehen meine Füße aus wie nach einem Moorbad. Und es bleibt auch nicht beim Tröpfeln. Der Himmel öffnet seine Schleusen, aber nicht mehr ganz so weit wie gestern. Es beginnt zu nieseln und hört effektiv nur einmal am Mittag kurz wieder auf. Sonst regnet und regnet und regnet es, etwas weniger intensiv als gestern. Die Fotorucksäcke wohnen jetzt wechselweise in Gris‘ und Dimbys Autos.
In einer Regenpause hat Angeluc noch etwas ganz Besonders zu zeigen und zum Glück muss dafür auch keiner enorm weit laufen. Ein wunderschönes Weibchen von Furcifer timoni wandert gemütlich über einen schlanken, bemoosten Ast unter einem Urwaldriesen. Sie ist offensichtlich trächtig und auf der Suche nach einem Eiablageplatz – sonst kommen diese Chamäleons in der Regel überhaupt nicht so weit herunter, dass man sie finden könnte. Das Weibchen ist zu meinem Erstaunen überaus freundlich und posiert einfach grandios. Ich kenne die Art bisher nur als hektische, kleine Rennsemmeln, die zwar wunderschön anzuschauen sind, aber unheimlich schwer zu fotografieren. Ich bin ein bisschen verliebt in das kleine Furcifer timoni.
Beim Mittagessen fährt Andry alles auf, was die Küche hergibt. Exzellenter Backfisch, schmackhafter gebratener Thunfisch, eine super leckere Guacamole, Crevettensalat, Crevetten im Teigmantel, Pilze in Weinsauce… ich bin mehr als satt. Die beiden Hunde, übrigens beides Rüden, haben schnell gemerkt, wo der gute Duft her kommt und gesellen sich zum Essen zu uns. Trotz des Gebells und Geknurre – die zwei Herren streiten sich recht ausgiebig um jeden Fitzel, den man ihnen zuwirft – tauchen direkt hinter der Küche, vielleicht zehn Meter von uns entfernt, einige braune Makis in den Bäumen auf. Neugierig lugen sie durch die Blätter, springen zwischen den Ästen umher und bleiben eine ganze Weile in der Nähe.
Leider fängt es schon wieder an zu regnen. Da morgens schon Wassertropfen innen an den Nähten in unserem Zelt hingen, haben Tanala und ich bereits unser Gepäck zusammen gerödelt und an den Rand des Zeltes gestellt. Nur für den Fall, dass wir das Zelt doch noch evakuieren müssen. Zum Glück ist das bisher nicht nötig. Auch der Pool hinter dem Zelt wächst nicht weiter. Der Schlamm wird allerdings immer mehr. Zwischen Küche und Essenshütte ist gar kein Gras mehr zu sehen, der Hügel ist eine einzige Rutschpartie.
Wie gestern hört es kurz vor Sonnenuntergang auf zu regnen. Ich nutze die letzten Sonnenstrahlen für einige Schnappschüsse. Der Regen hat Frösche in allen Farben und Formen aus dem Unterholz ans Licht gebracht. Es wird schneller dunkel als mir lieb ist. Im Matsch stapfe ich zurück zur Essenshütte. Andry hat Rösti gezaubert. Kein Witz. Schweizer Rösti im madagassischen Regenwald. Geschmacklich sind sie definitiv mit dem Original vergleichbar.
Philipp berichtet, dass eine kleine Schlange auf dem Klo wohnt oder vielmehr in zwei angeschlagenen Fliesen hinter der Kloschüssel. Die Schlange entdecke ich leider auf dem Klo nicht, dafür aber eine kleine, weiß-blaue Drossel, die direkt oben auf dem Blechdach sitzt und schläft. Wasser und Spülung der Toiletten laufen auch wieder. Gestern nach dem starken Regen hatte es kurz mal Probleme mit der Funktionstüchtigkeit der Toiletten gegeben. Der Nachtwächter konnte aber zum Glück alles fix reparieren.
Ich bin heute sehr früh im Zelt auf meiner Matratze. Draußen wird es im Montagne d’Ambre, sobald es kühler wird, mit nackten Füßen wirklich ungemütlich. Und irgendwann sind meine Füße wirklich arg kalt. Da helfen auch verschlammte Socken nicht mehr. Selbst das kristallklare Wasser direkt vom Berg, das aus dem Wasserhahn mitten auf dem Campground fließt, kommt mir am Abend beim Füße säubern angenehm lauwarm vor.