Als ich aufwache, ist mein linkes Auge irgendwie verklebt. Ich kriege es nur zur Hälfte auf. Bei genauerem Hinschauen – mangels Spiegel muss heute die Handy-Kamera dazu herhalten – habe ich wohl eine wunderbare Blepharitis, eine Augenlidentzündung. Woher auch immer die jetzt kommt. Ich krame eine Augensalbe aus meiner Apotheke, spüle das verklebte Auge mit klarem Wasser und gebe Salbe hinein. Das Auge lässt sich daraufhin zu Dreiviertel fast normal öffnen. Das kann ja heiter werden.
Beim Frühstück wird meine Laune sofort besser, denn es gibt Crêpes mit Nutella. Wer es ein bisschen dekadent im Regenwald braucht, kann auch eine frittierte Banane in den Nutellacrêpe wickeln. Davon schaffe ich aber nur zwei. Oder drei. Heute morgen ist auch die Zahl der Hunde auf drei angewachsen. Der beige Rüde ist unfreundlich zu dem schwarzen, etwas zurückhaltenderem Rüden. Die dritte im Bunde ist eine kleine, gefleckte Hündin. Die ist allerdings so ängstlich, dass sie schon weg rennt, wenn man sie nur anspricht.
Nach dem späten Frühstück hole ich meinen Fotorucksack aus dem Auto. Ein neuer Fotoversuch mit einem kleinen, sehr hübschen Blattschwanzgecko, einem Uroplatus alluaudi, steht an. Angeluc hat ihn vorne am Eingang des Campgrounds entdeckt. Außerdem schlägt er vor, eine kleine Wanderung zum mittleren Wasserfall zu unternehmen. Das ist nicht so weit, falls es nach wenigen Stunden doch wieder regnen sollte. Und der Weg ist nicht so steil und rutschig wie das letzte Stück zum großen Wasserfall, das man bei dem Wetter gerne unfreiwillig auf dem Hintern zurücklegt. Der Regen hat ganz schön gewütet. Einige der riesigen Nestfarne sind samt ihrer Bäume umgekippt, vermutlich wurden sie einfach zu schwer mit den Unmengen an Wasser.
Angeluc gelingt heute das Unmögliche, woran ich bei dem Regen eigentlich eh nicht mehr geglaubt hatte. Auf etwa 500 m entdeckt er ein Furcifer timoni Männchen. Es sitzt, Zitat, „ganz weit unten im Baum“, womit Angeluc eine Höhe von gut vier Metern meint. Ich hätte es da sicher nicht entdeckt. Egal. Die Freude ist riesig. Die Männchen dieser tollen Chamäleonart findet man hier im Regenwald nur schwierig. Sie halten sich meist sehr weit oben in den riesigen Urwaldbäumen auf und sind im dichten Blätterdach von unten so gut wie nie auszumachen. Dazu bevorzugen sie eine bestimmte Region des Waldes, man findet sie nicht einfach überall. Das Furcifer timoni muss eine ganze Menge Fotos über sich ergehen lassen, macht allerdings völlig unbeeindruckt mit. Es ist relativ entspannt und hält im Laufen auf seinem von Moos überwucherten Ast sogar immer wieder inne. Es hat niedliche kleine Stupsnasen-Fortsätze und ein paar hübsche Farbtupfer auf dem ansonsten hellgrünen Körper. Ein wunderhübsches und dazu noch seltenes Chamäleon.
Das von Angeluc entdeckte Männchen war gerade dabei, sich für ein Weibchen zu interessieren, das von der Eiablage am Boden wieder nach oben kam. Besagtes Weibchen interessiert sich jedoch keinesfalls für die Avancen des jungen Herren. Stattdessen faucht es ihn an und färbt sich innerhalb weniger Sekunden von Hellgrün zu einer quietschgelben Zitrone mit leuchtend blauen Pünktchen und dunkelschwarzen Tigerstreifen. Ein Traum! So ein wunderschönes Tier! Der Montagne d’Ambre hat einfach immer noch eine Überraschung bereit, auch nach dem fiesesten Regenwetter.
Nach dem späten Mittagessen dampft Angeluc schon wieder ab, nachdem wir in einer kleinen Kabary Trinkgelder verteilt haben. Am Nachmittag setzt auch direkt wieder der Regen ein. Allerdings in eher überschaubarem Rahmen. Es gibt nicht ganz so riesige Seen wie gestern und die eh schon vorhandene Matschpiste verändert sich auch nicht mehr groß.
Wieder ist der Wasserhahn kaputt, der Nachtwächter erscheint zu einer erneuten Reparatur. Dazu gräbt er ein paar Steine nur einen Meter vor dem Wasserhahn aus, buddelt im Matsch die Zuleitung frei und pustet ein paar Mal durch die Rohre. Offenbar sind sie nicht ganz dicht und setzen sich bei starkem Regen mit Schlamm zu. Als er die Erde wieder über die Rohre schaufelt und ein paar Steine darauf legt, läuft der Wasserhahn wieder einwandfrei. Unten am Bach gibt es derweil etwas anderes zu sehen: Eine kleine Gruppe Kronenmakis springt durch die Bäume. Zum Fotografieren ist es hier unten etwas zu dunkel, aber auch mal „nur gucken“ ist schön. Zwei Weibchen und drei Männchen sind unterwegs, offenbar suchen sie nach leckeren Früchten. Als die Hunde oben in der Küche laut zu bellen beginnen, suchen die Kronenmakis das Weite. Und noch jemand anderes flitzt wie ein Wirbelwind vorbei: Ein Ringelschwanzmungo hat versucht, in der Küche ein Stück Huhn zu stibitzen. Die Hunde waren nicht der Meinung, Gustl etwas abgeben zu müssen.
In einem niedrigen Baum wird am Nachmittag noch ein junges Calumma ambreense-Männchen entdeckt. Es hat richtig schöne türkise Farben, wie die älteren Tiere der Art sie oft nicht mehr haben. Dazu ist es noch wirklich freundlich und entspannt – heute ist offenbar Tag der netten Chamäleons. Und der wunderschönen Chamäleons.
Am Abend laufe ich noch einmal gemütlich am Rand des Campgrounds entlang. Es nieselt kaum noch. Direkt hinter unseren Zelten entdecke ich ein hübsches Calumma linotum, das in einem sich rund biegenden Ästchen schläft. Hinter Markus‘ Zelt sitzt in gut drei Metern Höhe ein schlafendes Calumma ambreense-Weibchen. Es sind dann auch eher madagassische drei Meter – deutlich zu hoch, um das Tier im Morgengrauen herunter zu angeln. Links vor den Toiletten entdecke ich ein Pärchen Calumma amber, das Männchen mit wundervollen Grün- und Goldtönen. Ich merke mir die Stelle, um das Tier morgen früh wiederzufinden und dann hoffentlich in der Sonne mit richtig schön leuchtenden Farben zu fotografieren. Den Weg entlang klettert in einem eher kahlen Geäst ein Uroplatus finiavana auf der Suche nach essbaren Insekten herum.
Als ich zurück zum Campground komme, ist es Zeit fürs Abendessen. Außerdem wird mir mitgeteilt, dass die Toiletten auf Grund des angestiegenen Wasserpegels leider nicht mehr funktionieren. Die Grube unter den Toiletten ist schlicht und ergreifend vollgelaufen und drückt Wasser nach oben, weshalb die Toiletten fast überlaufen. Ich komme daher bis morgen in den fragwürdigen Genuss der Benutzung des – immer funktionstüchtigen – Steh-Plumpsklos hinter der Wellblechwand. Das passt jetzt weniger zur Überschrift des heutigen Tagebuch-Eintrags, aber zumindest verdirbt es die heute sehr gute Laune nicht wirklich.