Als es hell wird, kommt die Disko in Ampijoroa endlich zu einem späten Ende. Etliche Leute laufen über den Campground, um zurück in Richtung ihrer Dörfer oder zur Taxibrousse-Station zu kommen. Das mögen die Hunde des Campgrounds gar nicht. Wild bellend und knurrend toben sie zwischen den Zelten herum – der jüngste Rüde übertreibt dabei ein bisschen und bellt auch noch, als längst alle „Eindringlinge“ verschwunden sind. In der Nacht hat es wieder geregnet, aber längst nicht so viel wie tags zuvor.
Zum Frühstück finden sich alle unter dem Gemeinschaftsdach ein. Andry und Christian servieren einen leckeren Obstsalat, dazu gibt es das von Chrissi gebackene Brot und Omelettes. Die Coquerel-Sifakas springen weit oben in den Bäumen des Campgrounds herum. Auch sie suchen wohl ein bisschen Sonne zum Aufwärmen nach dem Regen. Derweil beginnen José, Dimby und Fitah, die Zelte zu trocknen. Und das dauert, denn die Sonne muss nachhelfen und kommt erst langsam hinter den hohen Bäumen hervor. Katie und Philipp versuchen, drei winzige Springspinnen zu fotografieren. Nur eine davon macht mit, die anderen sind wahnsinnig schnell und rennen davon, bevor man überhaupt auf den Auslöser drücken kann. Eine freundliche Vierstreifenschlange, die über den Campground kriecht, ist da wesentlich einfacher abzulichten.
Stunden später ist endlich alles getrocknet und verstaut. Für eine kurze Kabary zum Abschied sammeln wir uns auf dem Parkplatz, dann wird eingestiegen und es geht los in Richtung Mahajanga. Es ist schon jetzt brütend heiß. Der Schweiß läuft schon, ohne dass ich mich bewege.
Auf der Route Nationale in Richtung der Küstenstadt Mahajanga ist viel roter Schlamm zu sehen. Immer wieder fahren wir über fünfzig, sechzig Meter abgeschwemmten Laterits. Vor wenigen Wochen brachte ein Zyklon massive Überschwemmungen in der Gegend, Mahajanga selbst stand stellenweise bis Kopfhöhe unter Wasser. Die Erde rechts und links der Straße gleicht einem Sumpf, in dem unzählige Raphiapalmen stehen. Dann wird die Straße trockener. Dichtes, grünes, mannshohes Gebüsch reicht bis über den Straßenrand hinaus. Léon umkurvt Schlagloch um Schlagloch.
Wir gelangen in eine weite Ebene voller Reisfelder. Eine Art Damm führt zwischen den überfluteten Feldern gen Westen. Das Wasser spiegelt den blauen Himmel und die weißen Wolken, die Felder reichen bis an den Horizont. Dann ändert sich die Landschaft schlagartig. Eine weite Savanne breitet sich aus, soweit meine Augen reichen. Kaum etwas außer Bismarckia-Palmen wächst hier. Tafelberge tauchen auf. Tafelberge in allen Größen, von winzig und schmal bis mächtig groß. Dazwischen liegen nur ein paar einzelne Hütten, Zebus grasen in der leeren Savanne.
In der Kurve eines Tafelberges erhasche ich einen Blick auf die roten Seitenarme der Bucht von Bombetoka. Hier fließt der rote Fluss Betsiboka ins Meer, in den Kanal von Mosambik. Dadurch sieht die Bucht von oben aus der Luft aus, als würde sie „ausbluten“. In der Ferne schimmern Blechdächer, auf der anderen Seite der Bucht ragt ein Leuchtturm in die Höhe. Das müssen Mahajanga und Katsepy sein. Tatsächlich. Je näher wir Mahajanga kommen, desto staubiger wird die Straße. Gleichzeitig ist alles unglaublich grün. Und eng. Immer mehr Tuktuks verstopfen die Straße. Eine ganze Reihe Marktstände mit Wellblechdächern taucht auf. Matratzen, Kohle, Taschen, Reis, Schuhe und Plastikwannen – fast alles kann man hier kaufen. Etliche junge Männer tragen knallbunte Plastikblumen durch die Gegend. Eine Vielzahl von Taxibrousses und Taxi Be in allen Stadien der Zerrostung stehen und schleichen durch die Stadt. Die Innenstadt Mahajangas ist völlig überfüllt. Viele steinerne Häuser bestimmten das Stadtbild, sogar eine Autowerkstatt liegt irgendwo inmitten des Chaos. Mitten auf einer Straßenkreuzung steht ein skurriller Hochsitz mit Dach, der einer Art Bademeister-Sitz gleicht, vermutlich aber für Verkehrspolizisten bestimmt ist.
Wir verlassen Mahajanga. Am Flughafen der Stadt vorbei biegen wir auf eine Lateritpiste ab, die zu unserem Hotel führen soll. Die Wagen passieren Ampitolova, ein ärmliches Hüttendorf. Ein paar Leute winken, Kinder rufen „Salut Vazaaaaaha!“. Dahinter liegt wieder nur Savanne mit Wäldern voller Bismarckia. Die Lateritpiste ist teils glatt und rutschig durch den Regen der Nacht. Irgendwo im Nirgendwo halten wir kurz an, das Meer liegt schon in Sichtweite.
Wir landen in einem kleinen Hüttendorf vor einer Schranke. Ein uniformierter Mann zieht die Schranke hoch und winkt uns durch. Auf dem roten Laterit fahren wir bis zu einem schicken weißen Gebäude, der Rezeption. Die Anlage des Hotels ist wirklich schön. Schon am Eingang des Hotels begrüßen uns in Holz geschnitzte Chamäleons. Zum Empfang gibt es auf der weitläufigen Terrasse direkt neben dem Pool einen fruchtigen Willkommensdrink. Ein Bob-Marley-Verschnitt namens Romy sorgt für die Bar. Von der Terrasse hat man Aussicht über eine schöne Bucht mit türkisblauem Wasser, Segelbooten und weißem Sandstrand. Die Terrasse wird gerade renoviert, klassisch madagassisch: Zwei spachteln, fünf gucken, aber alle tragen wichtige Bauhelme.
Ich habe mit Tanala Bungalow Nr. 44, Ylang heißt es. Es ist riesig groß mit einem bequemen Bett samt weitem Moskitonetz und hat eine großzügige Terrasse, samt Sitzgruppe und (leider verwaister) kleiner Cocktailbar. Zwei Makis begrüßen uns neben dem Bungalow. Bei Katie und Philipp nebenan turnen noch sieben weitere herum. Ich sammle meine Badesachen zusammen und wandere zurück zu Restaurant und Pool. Mit einem eiskalten Fresh, von Romy direkt am Pool serviert, lässt es sich im Wasser bestens aushalten. Auch so darf herpetologischer Madagaskarurlaub aussehen.
Als es dunkel wird, husche ich nochmal zurück zum Bungalow. Stechmücken hat es hier reichlich und ich brauche längere Klamotten. Im Restaurant sammeln sich alle zum Abendessen und Quatschen. Ein riesiger, wunderschöner Vollmond hängt über der Bucht und spiegelt sich im Meereswasser. Das Essen ist genauso gut, wie es das Hotel selbst bereits verspricht: Crevetten in Curry, Gewürzananas, sogar kleine Schokotörtchen mit Eis gibt es. Mitten in unseren lustigen Abend platzt ein erneuter Regenschutt. Ferdinand, der Kellner, bringt Ingwer- und Vanilleschnaps. Und irgendwie etwas mehr als ursprünglich bestellt, aber der wird sicherlich trotzdem getrunken.
Später, als es nicht mehr schüttet, sondern nur noch von den Bäumen tropft, machen wir uns nochmal zu einer kleinen Nachtwanderung in das benachbarte Wäldchen auf. Direkt vor der Rezeption sitzt bereits ein junges Furcifer oustaleti im Baum. Dafür bin ich aber nicht hier. Über den sandigen Boden kriecht eine Madagascarophis colubrinus. Im Gebüsch springt und hüpft es: Ein kleiner Mausmaki flitzt im Schein der Stirnlampe vorbei. Irritiert vom Licht bleibt er sitzen und beäugt neugierig, wer da in seinem Lebensraum um diese Uhrzeit unterwegs ist.
Weiter weg finden sich dann die Tiere, die ich hier unbedingt sehen wollte: Furcifer angeli. Erst zwei Jungtiere mit niedlichen Stupsnasen, dann findet sich auch noch ein schönes, buntes Männchen mit einer beeindruckend großen Nase. Nur wenig entfernt sitzt auch das dazu passende Weibchen im Baum und schläft. An einem kleinen, schmalen Bäumchen schlängelt gerade eine toll gezeichnete Lycodryas pseudogranuliceps in Richtung potenzieller Beutetiere. Und Mausmakis gibt es überall in den Bäumen. Sie sind kaum scheu und super zu beobachten. Einer bleibt sogar zum Fotografieren relativ niedrig sitzen. Als es wieder zu regnen beginnt, breche ich die nächtliche Suche spontan ab. Ich habe das Regencover für meinen Rucksack im Bungalow vergessen. Einen kleinen Spurt später bin ich wieder zurück im Ylang. Zeit zum Schlafengehen.