Es ist gerade mal halbs sechs, als Tanala und ich samt unserem Gepäck auf dem roten Laterit des Parkplatzes auftauchen. Es ist so früh, weil unser Weg nach Antsohihy heute ziemlich weit ist und wir, wenn möglich, alles noch im Hellen fahren wollen. Nach und nach trudeln Markus, Chrissi, Martin, Lars und Jutta ein. Um sechs Uhr ist kein Madagasse weit und breit in Sicht.
Léon ist der erste und wie immer schnellster Fahrer. Da unser Auto damit komplett ist, starten wir – entgegen unserem normalen Konvoi-Fahren – schon vor den Anderen. Irgendwo im Nirgendwo halten wir an. Ein junger Mann kommt uns auf seiner Charette entgegen, vor die zwei Zebus gespannt sind. Er steht auf der Charette und winkt uns zu. Tanala funkt Dimby an, um zu fragen, ob Philipp seinen Schlüssel diesmal abgegeben hat. Das Funkgerät reicht aber nicht so weit, also fahren wir ein Stück des Lateritpfads wieder zurück. Bis wir Mahajanga erreichen, ist eine weitere Stunde vergangen.
Wir verlassen Mahajanga und fahren vorbei an den Erdnussfeldern und Tafelbergen vor der Stadt. Vier verschiedene Furcifer oustaleti queren die Straße an verschiedenen Stellen. In Mahajanga scheint Markttag zu sein, und genauso ist es in Tsaramandroso und Ambondromamy. Tomaten, Gurken und Kokosnüsse stapeln sich am Straßenrand. Eine ganze rohe Rinderleber liegt auf den Brettern einer lokalen Metzgerei in der Sonne. Unmengen Menschen mit und ohne Zebukarren sind auf den Straßen unterwegs. Frauen tragen Reissäcke, Plastikwannen und schwarze Manioktüten auf ihren Köpfen. Wir drängeln uns an Tuk-Tuks vorbei und passieren im Schneckentempo Massen von Menschen und Verkaufsständen unter Hunderten von Sonnenschirmen. Voll bepackte Taxibrousse parken am Straßenrand, belagert von Verkäufern und Reiselustigen. Fischgeruch steigt mir in die Nase. Die kleinen, getrockneten Fische werden gerne für Suppen und Eintöpfe genutzt und sollen darin ganz gut schmecken. Wir halten an der Tankstelle von Ambondromamy, um ein paar kalte Getränke zu kaufen. Vier Tuk-Tuks sind vor uns an der Zapfsäule dran. Die Luft steht bereits, es hat 36°C und ist noch nicht einmal Mittag. An Léons Auto zieht Christian die Schrauben an den Reifen nach. Sogar ihm tropft der Schweiß von den Händen.
Die Strecke gen Norden zieht sich. Und je weiter wir kommen, desto schlechter wird die Straße. Die RN4 sieht teils aus wie ein Schweizer Käse. Die Löcher und Abbrüche am Straßenrand sind tief und keinesfalls passierbar. Also kurven wir im Slalom um die Schlaglöcher. Wenn sie zu groß sind, dann auch quer durch. Hier und da ist Schotter aufgefüllt worden, aber das hilft hier nicht mehr. Zwischendurch fehlt die Straße abschnittsweise ganz. Auch die Auf- und Abfahrten zu den vielen kleinen Brücken, die Flüsse überspannen, ist abenteuerlich. Die Abbruchkanten des Asphalts sind scharf und hoch.
Am Nachmittag kehren die Menschen mit ihren Zebukarren von den Märkten in die Dörfer zurück. Die Landschaft hat nun wieder mehr Bäume und Büsche, das Grün ist üppiger und nicht so stark von der Regenzeit abhängig wie in Mahajanga. Einige Reisfelder werden gerade geerntet. Auf großen Planen schlagen Frauen und Männer die Reiskörner aus den Ähren. Eine mühsame Arbeit. Irgendwo vor Antsohihy halten wir unter einem riesigen Mangobaum – dem einzigen, der ein bisschen Schatten in der Hitze spendet. Es ist ultraheiß, alle sind durchgeschwitzt. Der ein oder andere weibliche Teilnehmer der Gruppe packt tatsächlich eine Urinella aus. Geht allerdings auch ohne, Gebüsch gibt es ja genug. Beim Klogang gibt es außerdem an einem einsamen Stengel im Gebüsch ein weiteres Furcifer oustaleti zu bewundern.
Noch im Hellen erreichen wir Antsohihy. Inzwischen gleicht die Hitze einem Dampfbad. Die Luft steht und ist dazu noch wunderbar feucht. Zum Glück haben die Bungalows unseres Hotels Klimaanlagen. Sobald man das Bungalow allerdings verlässt, läuft man wie gegen eine Wand. Ein Gutes hat die Hitze übrigens: Schon ein Bier reicht für einen gefühlt bemerkenswerten Alkoholpegel.
Abendessen gibt es bei Chez Mamie, einem kleinen Restaurant mit dunklen Holztischen- und Stühlen. Wir bauen eine lange Tafel auf, an der alle gemeinsam Platz finden. Zu meiner Begeisterung tauchen drei Original THB-Gläser auf dem Tisch auf. Nach eingehender Überlegung, ob wir sie einfach mitgehen lassen oder nachfragen, ob wir der Dame am Tresen Gläser abkaufen können, entscheiden wir uns für letzteres. Mit Josés Hilfe erwerbe ich zwei der hübschen Gläser für 20.000 Ariary. Es gibt auch schicke THB-Bierkrüge, aber ich will mein Glück nicht überstrapazieren. Die kleine Hündin des Restaurants taucht auch auf und fordert dringend Streicheleinheiten.
Aus der Hauptstadt Antananarivo erreichen uns im Laufe des Abends beunruhigende Nachrichten: Madagaskar will wegen des Coronavirus seine Grenzen schließen. Noch gibt es keine Fälle im Land und das soll so bleiben. Bis Donnerstag sollen noch Flüge raus gehen, danach 30 Tage nichts mehr. Das könnte spannend werden. Nach der Rückkehr vom Abendessen entspannt sich noch eine lange Diskussion auf dem Parkplatz, welches Vorgehen nun das Beste ist. Zurückfahren und auf gut Glück nach Hause reisen? Nach Diego Suarez fahren und versuchen, einen Flug nach Tana zu bekommen? Gar nichts tun und abwarten? Schließlich schließt sogar der Hotelbesitzer nochmal seine Theke auf und verteilt Getränke – und hält das WLan am Laufen. Dessen Nutzen ist allerdings begrenzt, denn auch in Deutschland ist man angesichts der Lage ratlos. Dazu gibt es schlechte Nachrichten aus dem Norden: Bei Ambilobe ist mal wieder eine Brücke zerstört. Das Militär soll bereits dabei sein, eine Alternativfurt zu basteln. Wie lange das dauert, ist jedoch unklar. Schließlich gehe ich zu Bett und vertage das Problem auf morgen. Die Klimaanlage hat das Zimmer auf Eiseskälte gekühlt. Ich friere sogar mit Decke. Es hat laut Thermometer 28°C.