Die Nacht war vor allem eines: Sehr warm. Und so ein Ventilator, der direkt aufs Gesicht gerichtet ist, ist nicht die beste Idee. Irgendwas auf Höhe des Kopfendes hat außerdem die ganze Nacht das Holz angefressen. Termiten? Ich weiß es nicht.
Um sieben schlendere ich zum Frühstück nach vorne in Richtung des Restaurants an der Straße. Dort treffe ich auf die anderen, die ebenfalls – der Deutsche ist halt pünktlich – zum Frühstück gekommen sind. Aber in Sambava läuft das so nicht. Die braunroten Metalltore an Fenstern und Türen des rosa Gebäudes sind noch verschlossen. Dahinter rührt sich nichts. An einem Betonpfeiler auf der Veranda des Restaurants ist ein kleines Waschbecken angebracht worden, dessen Wasserzulauf mit dem Fuß bedient werden kann. Darüber hängt ein ausgeblichenes Plakat zum Thema Handhygiene während einer Pandemie. Außer einem Nashornkäfer, der auf dem Rücken liegt und mit den Beinchen in der Luft strampelt, ist weit und breit niemand zu sehen. Wir sammeln den Käfer ein, um ihn später im Garten auszusetzen.
Nach gut zwanzig Minuten des Herumstehens wollen wir gerade wieder gehen, als die Metalltore sich quietschend öffnen. Frühstück gibt es allerdings noch keines. Gut, dann gehen wir nochmal. Eine halbe Stunde später kehren wir zurück. Inzwischen stehen Tische und Stühle draußen, der rechte Teil des Restaurants – die Bäckerei – ist nun geöffnet. Erste Backwaren werden gerade in die Auslage sortiert. Ich bestelle zwei Pain au chocolat. Daraufhin verschwindet die Dame mit Zahnlücke hinter der Theke erstmal samt dem ganzen Tablett mit allen Schokocroissants nach hinten. Dort sucht sie anscheinend einen Teller, auf den sie dann die zwei bestellten Schokocroissants legen könnte. Als sie einen gefunden hat, drückt sie mir den Teller aber nicht einfach in die Hand. Nein, sie bringt ihn nach draußen, um dort sorgsam ein Tischdeckchen aufzulegen, eine einzelne Serviette zu holen und daaaaannn endlich auch die beiden Schokocroissants auf einem Teller auf den Tisch zu stellen. Mora, mora… die Schlange hinter mir ist ziemlich lang. Sie wird auch nur im Viertelstundentakt kürzer. Das tut den wunderbaren, noch warmen Schokocroissants aber keinen Abbruch. Die schmecken ganz hervorragend. Dazu gibt es Tee. Als irgendwann alle gefrühstückt haben, ist die Theke drinnen gerade endlich komplett aufgefüllt.
Nachdem der Vormittag nun schon etwas fortgeschritten ist, ist es Zeit zum Einkaufen. Getränke, Kekse und Snacks für zwischendurch kauft sich jeder für Marojejy selbst. Nur 200 Meter weiter hat ein chinesischer Supermarkt aufgemacht. Wir laufen zu Fuß über den staubigen Weg neben der Hauptstraße von Sambava. Es ist richtig warm, schon 33°C zeigt das Thermometer um 9 Uhr morgens. Der Supermarkt überrascht mich: Ein riesiger, nagelneuer, aber völlig verwaister Parkplatz mit blendend weißen Parkmarkierungen liegt vor einem riesenhaften Supermarkt, der ebenso neu ist. Eine chinesische und eine madagassische Flagge wehen davor.
Drinnen ist es ebenfalls riesig. Und leer. Außer uns sind nur wenige Menschen zum Einkaufen unterwegs. Ein Madagasse mit weißem Hemd und Mundschutz gibt jedem eine kleine Menge eines billigen, klebrigen Desinfektionsmittels auf die Hände. Den Mundschutz habe ich natürlich vergessen – das Kopftuch als Ersatz taugt hier aber auch. Und man kann hier so manch Erstaunliches im Tandramena Supermarket kaufen. Waffen und Munition, übergroße Boxen mit schrecklicher Musik, Küchenzeilen einschließlich Herd… Ich hieve Wasser in meinen Einkaufswagen, Tanala kümmert sich um zwei Paletten Bier. Das heißt, er lässt kümmern, von einem Madagassen im gelben Pullover, der fleißig weitere Paletten Dosenbier aus dem Lager anschleppt.
Am Ende des Einkaufs haben wir zu zweit zwei Sixpacks 1,5 l-Flaschen Wasser, acht Colaflaschen, drei Sprite-Flaschen und 48 kleine Dosen THB. Zurück in der Hitze des Parkplatzes fällt mir dann auf, dass wir das alles ja irgendwie bis zum Hotel schleppen müssen. Mmh. Aber José und Dolphe haben vorgesorgt. Sie haben den blauen Renault Clio mitgebracht. Und der wird vollgeladen mit Getränken von immerhin elf Personen. Was dazu führt, dass die Hinterreifen des Clio ziemlich platt sind und das kleine Auto bedenklich in den Knien hängt. Als Dolphe wieder einsteigt, hängt sein Arm aus dem geöffneten Fenster der Beifahrerseite fast bis auf den Boden.
Zurück im Hotel ist schon fast Zeit zum Mittagessen. Ich entscheide mich für eine Bol renversée, eine Schüssel Gemüsereis mit einem Spiegelei und Hühnchen. Das Ganze wird in eine Schüssel gedrückt, die dann auf dem Teller umgestülpt wird. Und dann hübsch aussieht. Und lecker schmeckt. Danach ist Packen angesagt. Für Marojejy werden Reissäcke befüllt – oder weiche, wasserfeste Reisetaschen mit maximal 15 kg gepackt. Also werden Getränke in Reissäcke gesteckt, es wird mit der Kofferwaage gewogen, umgepackt, aus- und eingepackt. Schließlich geht Dimby von Zimmer zu Zimmer. Mit einer interessanten Falttechnik verkleinert er die gepackten Reissäcke, um sie dann mit Panzertape zu verschließen. Die Beschriftungen sind ihm zu klein und unauffällig, also kommen nochmal größere mit Edding drauf. Auf dem Weg im Garten posen diverse Menschen mit nacktem Oberkörper herum – denen ist offenbar sehr warm. Getränke sind gerade aus und das Restaurant hat bis 17 Uhr geschlossen. Also warten wir in der Hitze im Garten. Dürre Katzen flitzen herum. Pantherchamäleons habe ich immer noch keine weiteren gesehen. Unser Sixpack Hühner sieht etwas mitleidserregend aus, ich frage also in der Küche, ob man die Hühner wohl mal füttern und tränken könnte. Man kann.
Im Dunkeln tigere ich ein drittes Mal zum Restaurant vorne an die Straße. Ich bin ein bisschen aufgeregt, morgen geht es endlich nach Marojejy. Endlich wieder. Ich habe fleißig auf dem Crosstrainer trainiert, auch die anderen – bis auf zwei Ausnahmen – haben sich im Voraus sportlich betätigt. Ich bin super gespannt, was sich verändert hat, und freue mich auf den Regenwald. Aufs Laufen eher nicht so. Das Abendessen verläuft relativ THB-arm, weil niemand morgen mit Kater loslaufen will. Das Bezahlen läuft chaotisch. José weiß nicht, was Brunos Angestellte da eigentlich so aufgeschrieben haben. Die Zettel sind teils unleserlich, teils unlogisch. Die Hotelangestellten die Abrechnung machen zu lassen, würde jedoch Stunden dauern. Also arbeitet sich José unermüdlich durch einen Wust an Notizzetteln und versucht, jedem die richtigen Getränke und Gerichte zuzuordnen. Ich kaufe mir noch ein Croissant fürs Frühstück morgen – wir werden sehr früh aufbrechen, da hat die Bäckerei sicher noch zu.
Eigentlich sollte es im Garten dann noch ein Briefing for tomorrow geben. Just in dem Moment, als Dimby und Tanala in den Hof kommen, tritt aber Bruno aus dem Haus. Und der hat sehr viel zu besprechen und zu erzählen. Er vertieft sich mit Tanala und Dimby in ein längeres Gespräch. Bis Tanala mich irgendetwas zum Magazin fragt und ich statt der eigentlichen Antwort frage, ob wir denn langsam mal zum Briefing for tomorrow kommen könnten. Dimby erledigt das. Morgen ist Aufstehen um halb Sechs, Abflug um Sechs. Ankunft im Park Office… schauen wir mal! Eine Überraschung gibt es: Mosesy kommt mit zum Park Office. Er will sich für uns um die Einweisung der vielen Träger kümmern, damit wir schon loslaufen können und nicht warten müssen. Das ist Gold wert. Wenn Mosesy mitkommt, kann nichts schiefgehen.