Wie immer geht es ganz früh los. Wir laufen zu Fuß die steile Einfahrt zum Hotel hinauf, und biegen nach links Richtung Hauptstraße von Ambositra ab. Rechts und links der Straße stehen rote Backsteinhäuser. Entlang der Straße finden sich verschiedene Geschäfte, die alle Arten von Schnitzereien anbieten. Am beeindruckendsten ist ein riesiger, rundum detailliert verzierter Reistopf. Am Kreisel von Ambositra geht es nach rechts, und wenige Hundert Meter später stehen wir vor einer Holztür neben einem weiteren Geschäft. Eine Frau erwartet uns schon und führt uns durch einen engen Gang hinter das Haus, wo die Werkstätten sind.
In einer Ecke sitzt ein älterer Mann mit Hut und einer kleinen, runden Brille. Er lächelt freundlich und bedeutet uns mit Gesten, uns so hinzustellen, dass jeder ihn sehen kann. Dimby übersetzt fleißig, was der Mann dann erklärt. Die Säge, die da vor uns steht, ist Marke Eigenbau. Sie besteht aus der Bettfeder einer Matratze und zurecht gesägten Holzteilen. Das Sägeblatt wird aus dem Metall gebaut, dass man in Autoreifen findet – jeder Zahn muss einzeln hineingestanzt werden. Für die Intarsienarbeiten, die es hier zu Hauf gibt, wird vorwiegend schnell wachsendes Eukalyptusholz benutzt. Geschickt spannt er kleine, flache Holzbrettchen aus der Säge aus und wieder ein, während er uns zeigt, wie er an einem Tableau mit Blumenornamentik arbeitet. Jeder Millimeter wird einzeln herausgesägt. Das passgenaue Stück dazu in anderer Farbe wird ebenfalls vorgezeichnet, dann ausgesägt, dann ineinander gepasst und zum Schluss verleimt. Eine irre Arbeit, ich staune und staune.
Anschließend besichtigen wir auch die anderen Räume der Werkstätten. In einem stellen gerade vier Männer einen wunderhübschen schwarz-weißen Holzrahmen für eine Malerei her. Im gleichen Raum sitzen zwei Männer barfuß auf dem Boden, je einen Holzklotz zwischen die Füße geklemmt und mit Hammer und Meißel daran arbeitend. Mit unglaublichem Geschick und Können werden kleine Späne abgetragen, bis aus dem Klotz eine Figur entsteht. In einer Scheune finde ich einen großen Leuchter aus geschnitzten Chamäleons, und in einem dritten Raum beschäftigt sich ein Mann mit Rastafari-Mütze mit Tableaus. Im Geschäft, das zu den Werkstätten gehört, kann man natürlich jede Menge fertige Tableaus, Figuren und Co kaufen. Ich kann mich gar nicht satt sehen an so toller Handarbeit. Letztlich erstehe ich eine geschnitzte Frauenfigur aus zertifiziertem Rosenholz, diverse Schüsselchen für die Küche und eine tolle Maske. Kostenpunkt: 190.000 Ariary für alles. Für Madagaskar nicht gerade billig, aber für die Wahnsinnsarbeit dahinter eigentlich zu wenig.
Schließlich steigen wir wieder in unseren Bus und es geht weiter auf der RN7 gen Süden. Die Sonne kommt kurz hinter den Wolken hervor, und lässt die Reisfelder rechts und links der Straße aufleuchten. Das Farbspiel ist enorm beeindruckend. Nach einer Weile hält Christian und wir kaufen bei drei Frauen Physalis, die superreif und saftig sind. Ganz anders als die teuren, vertrockneten und sauren Dinger daheim! Hier schmecken sie richtig süß. Mangels Waagen ist die Maßeinheit „ein Betsileo-Hut voll“, und der wird dann in mitgebrachte Tüten gekippt. So ein Hut-Inhalt kostet nicht einmal einen Euro.
Die Straße ist immer wieder voller Schlaglöcher, die Christian gekonnt umkurvt. Das Hochland scheint außerdem nur aus Reisfeldern zu bestehen. Auf dem ganzen Weg leuchten die grünen und gelben Wogen, soweit das Auge reicht. Gegenüber eines Feldes, wo Frauen gerade Reis ernten, halten wir an. Christian schlendert nur kurz am Straßenrand entlang, da hat er bereits drei Teppichchamäleons entdeckt. Zwei Männchen und ein Weibchen sitzen im Gebüsch direkt über einem Reisfeld. Christian kann den Bus hier nicht länger stehen lassen, da er direkt an einer Kurve parkt. Und so fährt er ein wenig weiter bis ins nächste Dorf. Wir laufen gemütlich die Straße entlang. Hinter der nächsten Kurve schlurfe ich ein wenig mit den Schuhen durchs hohe Gras. Ich hoffe, damit vielleicht noch eine Schlange aufscheuchen zu können. Und tatsächlich: Eine kleine, gestreifte Schlange schießt direkt vor meinen Füßen auf die Straße. Damit sie nicht überfahren wird, sammle ich sie schnell ein, um sie später – nach ein paar Fotos – wieder dort auszusetzen, wo sie herkam.
Mittags halten wir an einem kleinen, madagassischem Restaurant. Wegen der verhältnismäßig vielen Touristen, die entlang der RN7 vorbeikommen, sind hier viele bettelnde Kinder unterwegs. Ich mag das gar nicht, obwohl ich sonst gerade Kindern gegenüber immer sehr großzügig bin. Meistens habe ich auch Kleinigkeiten wie Ballons, Stifte oder Kekse dabei. Wer allerdings aggressiv bettelt, kriegt nichts. Leider gibt es in vielen Städten inzwischen ganze Familien, die von der Bettelei leben. Solange die Kinder mit großen Augen besonders viel Geld nach Hause bringen, werden sie nicht in die Schule geschickt – wie soll das auch gehen, wenn die Eltern in kleinen Jobs weniger verdienen.
Kurz nach der Abbiegung von der RN2 ändert sich schlagartig die Umgebung. Von Reisfeldern geht es jäh zu immer dichter werdendem Wald über. Echter Regenwald mit riesigen Bäumen, Farne hängen in die Fahrbahn. Die Straße windet sich in unzähligen Kurven scheinbar immer dichter und weiter in den Regenwald. Rechts von der Straße taucht plötzlich ein reißender Fluss auf. Die Straße ist eng und immer wieder stehen sympathische Totenkopf-Schilder vor besonders gemeinen Kurven. Erst gegen fünf Uhr am späten Nachmittag erreichen wir Ranomafana. Das Dorf liegt in einem grünen Tal, das von steilen Berghängen umgeben ist. Nebel bedeckt die Berge. Es nieselt ununterbrochen, die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch und es ist gefühlt eher kühl mit 25,7° und leichtem Wind. Das freut den Sonnenbrand. Unser Hotel, das Manja, liegt am Ende des Dorfes gegenüber dem Fluss, der hier relativ träge und ruhig vorbeifließt.
Das erste, was mir auffällt: Die Bungalows sind sehr weit oben über dem Restaurant, das direkt an der Straße liegt. Und es führen sehr viele Nicht-EU-Norm-Stufen nach oben. Da ich ja in Madagaskar inzwischen gelernt habe, gerne Träger meine Tasche zu überlassen, mache ich das auch hier. Es erweist sich als sehr gute Idee, denn der Aufstieg zu Bungalow Nr. 21 (fast ganz oben) erweist sich als äußerst fies. Für die Träger ist die steile Hotellage alltäglich. Sie flitzen schneller mit allem Gepäck zu allen Bungalows, als ich mich selbst nach oben gehievt habe. Das Besondere an den Treppen: Wer hier etwas im Bungalow vergisst, muss den ganzen Weg nochmal laufen. Das Sprichwort „Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben“ bekommt hier eine ganz reale Bedeutung. Die Bungalows sind aus Stein erbaut, weiß gestrichen mit Holzdach. Drinnen gibt es ein großes Bett, ein kleines Bad hinter einem Vorhang und ein winziges Dachfenster, zu dem eine Holztreppe führt. Vor der Tür steht eine kleine Bank, auf der man sich wunderbar die dicken Schuhe ausziehen kann. Mit einem Seufzer lasse ich mich darauf nieder. Irgendwie möchte ich heute die Stufen nicht nochmal laufen.
Am Abend laufe ich dann doch nochmal die vielen Stufen nach unten. Das Restaurant mit seinen langen Tischen serviert hervorragende Nudeln, nur die Portionen sind eben madagassisch: Riesig! Von meinen Nudeln könnten gut und gerne drei Personen essen. Im Anschluss schauen Tanala und ich noch kurz entlang der Hecken vor dem Hotel nach Tieren, werden aber abgesehen von ein paar Gottesanbeterinnen, einem Frosch und Stabschrecken nicht fündig. Morgen mehr!