Heute geht es los nach Nosy Mangabe. Ich fülle meinen Reissack und packe alles Wichtige ein, so dass jetzt mein Koffer fast leer ist. Dann schleppe ich den mit Klebeband zugebundenen Reissack auf die Terrasse vor dem Restaurant. Die Koffer lassen wir an der Rezeption stehen. Am hölzernen Anleger an der Terrasse sind bereits zwei Motorboote befestigt, eins davon sogar mit Dach. Madame Sandra, ihre Küchenhilfe und Augustin, zwei Bootsfahrer – alle sind schon da. Nach und nach wird alles in den Booten verstaut. Dann geht es direkt los, denn es ist Flut und bei Ebbe kommt man nur schwer aus dem Fluss heraus. Die Bootsmänner lenken die Motorboote hintereinander in einer großen Kurve Richtung Ufer, und biegen wieder kurz davor links ab, um dann Kurs auf Nosy Mangabe zu nehmen. Ich freue mich auf die Insel und strecke das Gesicht in den Fahrtwind. Von Weitem kann man schon den grandiosen Regenwald sehen. Dahinter türmen sich dunkle Wolken auf, aber es regnet nicht und auch das Meer hat nur sanften Wellengang.
Endlich biegen wir in die Bucht mit dem goldenen Strand ein. Marcel, der Inselwächter, winkt uns schon. Rückwärts tuckert das Boot langsam auf den Strand zu, bevor der Anker geworfen wird. Ich springe ins knietiefe Wasser und wate den Strand hinauf. Marcel begrüßt alle herzlich, er freut sich sehr, dass wir wieder da sind. Unter dem Dach der offenen Gemeinschaftshütte halten wir kurz Kriegsrat: Eine der Plattformen mit Dächern, auf denen wir letztes Jahr gezeltet haben, ist eingestürzt. Sonst gibt es nicht viel Neues auf Nosy Mangabe. Die Schildechsen huschen immer noch überall durchs Laub, die Mantellen quaken lauthals um die Wette und die Wellen laufen mit leisem Rauschen am Strand aus. Wir beschließen kurzerhand, dass zwei Zelte auf eine Plattform müssen: Tanala und mein Zelt steht neben Dimbys Zuhause auf Zeit. Die Zelte sind schnell aufgebaut, und nun haben alle Zeit, ihre Unterkünfte behaglich einzurichten.
Als ich zurück zum großen Platz unter den Steinhäusschen komme, traue ich meinen Augen kaum. F (der vom Zoll, ihr wisst schon, ganz am Anfang) hat eine Plastiktüte mit Obst auf dem Tisch liegen gelassen. Jetzt sitzen zwei Weißkopfmakis auf dem Tisch. Das Männchen legt gerade genüsslich den Kopf in den Nacken und kaut auf den letzten Stücken einer gelben Mango. Das Weibchen hat derweil eine Banane in der Hand – und starrt mich mit großen Augen an, als sie entdeckt, dass sie nicht mehr alleine sind. Ich scheuche sie vom Obst weg, aber es ist zu spät. Nur eine Zitrone ist übrig geblieben, die ware den Lemuren wohl zu sauer. Das Weibchen der Weißkopfmakis hat sich nicht wirklich weit vertreiben lassen. Es sitzt über mir im Baum und wartet auf eine günstige Gelegenheit, weitere Bananen oder Mangos abzustauben. Später klaut sie bei Gerd, Stefan, Elke und Anja Butterkekse – und wir beschließen alle, nichts mehr offen liegen zu lassen.
Bis zum Mittag habe ich noch Zeit, ein wenig nach Fröschen und Geckos Ausschau zu halten. Der Regenwald zeigt sich wieder von seiner schönsten Seite. Vögel zwitschern, die Frösche quaken, Wasser tropft von den Bäumen, der Waldboden federt unter meinen Füßen. An einem schmalen Baumstamm entdecke ich einen bis zur Unkenntlichkeit perfekt getarnten Gecko. Es ist ein clawless gecko, Ebenavia boettgeri. Ein sehr hübsches, kleines Tier, das ganz ohne Krallen auskommt. Auch ein Pantherchamäleonweibchen sitzt im Gebüsch auf dem Weg zum Wasserfall. Nach ein paar Fotos wackelt sie langsam über wilden Ingwer weiter. Im angehäuften Laub rund um den Campground springen unendlich viele Mantella laevigata umher. Sogar ein quakendes Männchen erwische ich.
Nach dem Mittagessen – Crevetten und Reis – geht es zu einem kleinen Spaziergang entlang des Pfades parallel zum Strand bis zu den Fischerhütten. Eine Hütte, die ich letztes Jahr in Nutzung erlebt habe, liegt platt zusammengefallen auf dem Boden, aber niemand hat sie weggeräumt. Daneben wurden drei neue Hütten gebaut. Ich schaue in eine hinein. Es ist duster darin, links liegt eine dreckige blaue Plastikplane und rechts steht ein einzelner Kochtopf, darunter glimmt noch Glut. An der Decke hängt der Fang des Tages. Es ist rauchig ohne Ende, lange schaue ich mich hier nicht um. Im Bach hinter den Hütten liegt benutztes Geschirr. Wo wohl die Fischer stecken? Sie scheinen gerade ausgeflogen zu sein. Wieder zurück auf dem Weg entdecken wir zwei Blattschwanzgeckos (Uroplatus fimbriatus), wundersame Wesen, die platt gedrückt an einen Baumstamm auf die Nacht warten. Eine kleine, rote Krabbe läuft vor meinen Füßen in den Bach hinein, und versteckt sich unter einem Stein. Als wir zurück ins Camp kommen, sind auch die Weißkopfmakis wieder da. Das Männchen hat irgendwo einen Mangokern abgestaubt, und lutscht ihn gemütlich aus. Ich vermute, der stammt von dem kleinen Komposthaufen hinter der Küche. Ein paar der Gruppe gehen noch ins Meer schwimmen, oder vielmehr Plantschen. Ich schlendere nur eine Runde am Strand entlang und bleibe dann auf einem Stein sitzen, die Füße tief in den goldenen, grobkörnigen Sand gegraben.
Der Wettergott meint es offenbar gut mit uns. Ein wunderbarer Sonnenuntergang überzieht den Himmel mit glutroter, orange und lila-rosa Farben. Ich beobachte das traumhafte Schauspiel von meinem neuen Posten aus. Als es dunkel wird, präparieren wir einige Bäume, indem wir kleine Stellen mit Bananen einreiben. Angeblich mögen die Mausmakis das und sind dann leichter zu fotografieren. Als wir nach dem Abendessen die Stellen abgehen, haben wir jedoch nur Motten und eine Ratte angelockt. Aber die Mausmakis tauchen doch noch auf. Aus dem Bananenmatsch machen sie sich gar nichts, und turnen meterweit über unseren Köpfen durch die hohen Bäume über dem Camp. Es macht irre Spaß, den blitzschnellen kleinen Lemuren beim Springen und geschäftigem Herumlaufen zuzuschauen. Viele, viele Mausmakis scheinen rund um das Camp zu leben. Auch zwei Fledermäuse fliegen über die kleine Lichtung.
Dimby und Martin sind, ausgerüstet mit einer UV-Lampe, zwischen den Zelten unterwegs. Sie suchen im Laub nach Skorpionen – und werden mehr als fündig. Man sieht die kleinen Skorpione fast nie, doch nachts, wenn sie im UV-Licht hellblau leuchten, sind einige von ihnen im Laub leicht zu finden. Als ich mich müde und zufrieden ins Zelt begebe, finde ich beim Öffnen des Reißverschluss Mausköttel auf meiner Decke. Und jemand hat leider auch darauf gepinkelt. Die Decke fliegt also leider raus. Bei der Suche nach dem Übeltäter finde ich ein kleines, ins Lüftungsnetz genagtes Loch. Komisch, wir hatten nicht einmal Essbares im Zelt? Die Mäuse müssen hier echt Hunger haben. Oder jemand ist beim Aufbau reingehuscht. Meinem Schlaf tut das keinen Abbruch.