Der Morgen beginnt für mich mit einem Sandwich, während Chrissi Ananas auf der Karte gefunden hat. Sehr leckere, pappsüße Ananas. Vielleicht nehm ich die morgen! Gunther und Varinia waren schon wieder noch vor dem Frühstück überall an den Bungalows unterwegs und haben nach Fotomotiven gesucht – mit einer gruseligen, riesigen Spinne und deren Heuschreckenbeute sind sie auch fündig geworden. Ich beschäftige mich lieber mit dem Frühstück. Wenn man sich mit dem Rücken zum Restaurant setzt, kann man bei der Gelegenheit auch wunderbar die Straße beobachten. Da gibt es eigentlich immer irgendwas Lustiges zu beobachten.
So auch heute: Vor dem Hotel hält ein Roller an, ein junger Mann springt ab und spurtet ins Hotel. Am Lenker hängt kopfüber ein lebendes Huhn. Als es gerade sieben ist, rollt auch das tägliche halbe Schwein in Richtung Dorf. Chrissi hat es mir nicht geglaubt, aber hier fährt jeden Morgen zwischen Sieben und halb Acht ein aus Brettern zusammengebasteltes Gefährt auf Rollen vorbei, auf dem eine frisch geschlachtete Schweinehälfte liegt. Zwei oder drei Jungs sitzen meist hintendrauf und lassen das ulkige Gefährt den Hügel herunterrollen, bis sie kurz vor dem Dorf wieder schieben müssen. An Feier- oder Sonntagen können es auch mal zwei Schweinehälften sein.
Der Tag im Nationalpark beginnt vielversprechend. Es geht wie immer die vielen Stufen nach unten, über die große Brücke – die übrigens neu gestrichen wurde – und dann ab in den Regenwald. Heute wollen wir zum Wasserfall, und mich beschleicht eine dustere Erinnerung, dass das im letzten Jahr recht anstrengend war. Nach ein paar Metern finde ich einen winzigen Frosch in einem Bambusstumpf, und Diamondra entdeckt kurz danach das erste Erdchamäleon. Dann geht es weiter. Der Weg ist nur ein bisschen matschig, eigentlich läuft es sich heute recht gut. Anstrengend wird es aber doch, und der Schweißt läuft schnell in Strömen.
Wir überqueren den kleinen Fluss und wieder beeindruckt mich der Regenwald. Jedes kleinste Stück Ast ist hier am Wasser mit Moosen bedeckt. Unmengen Luftwurzeln ranken sich von den Urwaldriesen nach unten. Farne wachsen auf den nassen Steinen Mit Fotos kann ich gar nicht festhalten, wie gigantisch das alles ist. Direkt auf dem lehmigen Boden neben dem Wasser kriecht eine kleine, schmale Schlange über den Waldboden.
Irgendwo im Wald auf dem Weg nach oben finden wir schon wieder ein Brookesia superciliaris, diesmal auf einer Pflanze mit ovalen, knallblauen Früchten. Angeblich ist das wilder Kaffee. Mit ernster Miene erkläre ich, dass die Tiere deshalb die dreieckigen Fortsätze über den Augen haben, damit sie die Kaffeebohnen besser transportieren können. In ihr Nest, wie Tanala hinzufügt. Sie betreiben nämlich Brutpflege, weiß Markus dazu noch, und füttern die Jungtiere mit blauen Kaffeebohnen. Das Kaffeebohnen-Brookesia wird zu einer sehr eindrücklichen Erinnerung. Chrissi und Ines scheinen sich nicht ganz sicher zu sein, ob nicht doch was dran ist. Vielleicht kann man das einfach genug Leuten erzählen, und in fünf Jahren erzählen es hier auch die Guides? Das wäre zumindest einen sehr amüsanten Versuch wert…
Schnaufend wandern wir immer weiter nach oben durch den dichten Regenwald. Nach einer kleinen Ebene geht der Wald ebenso steil wieder nach unten, und dann stehen wir direkt vor dem großen Wasserfall, der laut rauschend vor unseren Füßen ankommt. Das Wasser spritzt bis zu den Steinen, über die man zur Brücke auf die andere Seite klettern muss. Angeblich wimmelt es hier vor Blutegeln heute, ich kriege aber zum Glück keinen ab. Jemand anders hat dafür reichlich eingesammelt, einer klebt sogar im Bauchnabel und diverse drumherum. Das freut, wenn man mitten im Regenwald mal unfreiwillig das T-Shirt lüften muss und dann im BH da steht (ich bin’s nicht).
Schließlich geht es die vielen, vielen Treppen wieder nach unten, bis wir wieder die große Brücke erreichen. Direkt dahinter bleibt Diamondra stehen und deutet mit vielsagendem Grinsen ins Gebüsch. Auf Kopfhöhe. Ich sehe gar nichts. Auch nach zweitem Hingucken nicht. Nur tote Blätter und kleine Äste. Dann endlich kann ich die Silhouette eines Geckos erahnen, als der den Kopf leicht bewegt. Ein Uroplatus phantasticus! Der krönende Abschluss eines tollen Tags im Regenwald. Der kleine Gecko ist perfekt getarnt, und sieht auf den ersten Blick genauso aus wie die Blätter um ihn herum. Sogar kleine, grüne Flecken imitiert er auf seiner braunen Haut. Der Regenwald von Ranomafana beherbergt schon sehr viele kleine Naturwunder.
Zum Mittag sind wir wieder im Hotel, denn nach dem Essen wollen wir heute noch eine zweite Expedition unternehmen. Wir folgen der Straße, die am Hotel vorbeiführt und aus Ranomafana heraus. Der Regenwald verschwindet schnell, und zu beiden Seiten der Straße finden sich Reisfelder, Bananenplantagen und Ravenalas. Ab und zu ein kleiner Obststand. Alles drumherum ist Sekundärvegetation, hier ist nichts vom ursprünglichen Regenwald übrig geblieben. Ganze Hügel sind kahl, nur von Gras bedeckt. Wir fahren bis zu dem kleinen Dorf mit der Familie, die sich um den Schutz des anliegenden, winzigen Waldes kümmert. Als der Wald auftaucht, bin ich erleichtert. Hier hat sich nichts verändert zu letztem Jahr. Der Hügel ist immer noch mit dem kleinen Regenwald bedeckt, und ich bin mir sicher, dass auch die Chamäleons noch da sind. Vor dem kleinen Haus am Zaun des Dorfes liegt jede Menge bunte Wäsche auf der Wiese zum Trocknen aus. Auf einer kleinen Betonmauer hat jemand aus alten, abgeschnittenen Plastikkanistern Blumentöpfe gebastelt und bepflanzt.
Wir klopfen wieder am Zaun, und wieder lässt uns der kleine, alte Mann mit den wenigen Zähnen herein. Er trägt jetzt eine Basecap, und präsentiert stolz wie ein König seine neueste Errungenschaft: Auf zwei in den Boden gerammten Pfählen liegt ein dicker Ast quer, und er platziert wenig später ein Calumma parsonii parsonii-Weibchen darauf. Ein Laufsteg für Chamäleons. Gut, das brauch ich jetzt eher nicht. Eine Menge Kinder springt um uns herum. Ines freundet sich gleich mit ihnen an, und kann jede Menge Fotos von den begeisterten Kindern machen, die sich strahlend und lachend auf dem kleinen Display selbst bestaunen.
Einer der Jungs hat außer einem männlichen und einem weiblichen Parsons Chamäleon auch noch ein Furcifer balteatus gefunden, ein junges Männchen in wunderhübschem Grün. Zwei der Tiere sind die gleichen wie im letzten Jahr, sie scheinen also hier in Dorfesnähe ganz gut auszukommen. Nach einer Weile verabschieden wir uns, verteilen ein paar Trinkgelder und der Chef des Dorfes öffnet uns salutierend die Tür. Direkt gegenüber steht ein riesiger Jackfruit-Baum, an dem mehrere Kilo schwere Früchte hängen. Wie die sich am Ast halten, ist mir ein Rätsel.
Auf dem Rückweg halten wir rechts am Wegrand an einem der kleinen Ananasstände. Ordentlich nebeneinander aufgereiht stehen strahlend gelbe, dicke Ananas nebeneinander, bestimmt zwanzig Stück. Das Dach des winzigen Standes besteht ebenfalls aus Ananas, die jeweils zu zweit aneinander gebunden über Holzstangen gehängt sind. Dimby, Chrissi und ich wollen gerne probieren, und mit einer riesigen Machete schneidet die Frau in wenigen Sekunden geschickt sowohl die Schale weg als auch die Ananas in kleine Stücke. Sogar den Strunk kann man mitessen, so saftig und weich ist das Obst. Schmeckt grandios! Also bestellen wir noch eine Ananas, und noch eine. Und noch eine. Die anderen wollen schließlich auch mitessen, weshalb die Ananasstücke auf einem Blechtablett landen und herumgereicht werden. Nach einer regelrechten Ananasschlacht ist die Frau samt ihren Töchtern einige tausend Ariary reicher, und wir sind alle pappsatt. Nebenbei hat Dimby noch – woher auch immer er wusste, dass es den hier gibt – zwei Liter Honig organisiert, der in alten Colaflaschen steckt. Obenauf schwimmt eine Masse aus Dreck und Bienenwabenresten. Der Honig kommt hier nicht vom Imker, sondern von wilden Bienen. Tanala schüttelt nur den Kopf, als wir mit unserer „Beute“ in den Bus steigen. Dazu noch eine kleine Staude Bananen….
Der Bus fährt weiter gen Ranomafana. Irgendwo auf dem Weg scheint heute Markttag zu sein. Unmengen Menschen sind auf der Straße unterwegs. Die Frauen tragen bunte, aus Tüchern geschlungene Röcke und T-Shirts, und dazu die viereckigen, flachen Basthüte der Tanala. Die Tanala (die Betonung des Wortes ist anderes als bei dem Wort Chamäleon) sind ein kleines Volk, das nur hier in der Gegend wohnt und ursprünglich im Regenwald lebte. Voll beladene Taxibrousse drängeln sich durch die Menschenmengen.
Am Abend gehen wir noch Brochettes essen. In einem blauen Steinhaus in Ranomafana, oder vielmehr direkt davor, sind verschieden große Tische zusammengeschoben. Drumherum stehen wackelige Hocker, ich setze mich auf einen direkt vor der Hauswand. Da hat man die Lehne direkt dabei. Dimby schnappt sich eine Bierkiste, das geht genauso als Sitzgelegenheit. Gegenüber des kleinen Restaurants haben noch zwei, drei Geschäfte geöffnet. Nur kleine Glühbirnen leuchten darin und beleuchten kaum die ausgelegte Ware. Ein Hund streunert herum und hofft auf ein paar Brocken Essen.
Als alle sitzen, und jeder ein THB – oder ein Wasser, oder Fresh- bestellt hat, warten wir auf die kleinen Fleischspieße, die direkt nebenan auf einem winzigen Grill über dem Feuer zubereitet werden. Sie kommen immer portionsweise auf den Tisch, so dass eigentlich nie alle gleichzeitig essen. Rapha und Christian fröhnen derweil dem Bier, und werden von Minute zu Minute lustiger. Auf den grau karierten Tischdecken landen nach kurzer Zeit eine Art Karottensalat und frittierter Maniok, die Beilagen zu den Spießen. Außerdem gibt es eine dunkelbraune, etwas fies aussehende Erdnusssauce, die aber fantastisch schmeckt. Später fährt Dimby den Bus selbst zurück vor’s Hotel. Es ist spät, und alle schleppen sich satt und zufrieden die vielen Stufen zu den Bungalows nach oben. Der letzte Abend in Ranomafana war wirklich schön.
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