Da ich heute Nacht erst gegen halb Drei ins Bett gegangen wird, stehe ich heute Morgen etwas später auf. Gegen halb Zehn schaffe ich es unter die Dusche, und freue mich direkt über die klempnerischen Höchstleistungen, die hier vollbracht wurden. Die Dusche funktioniert heute nur, wenn man den undichten Schlauch vorne zusammenkringelt und gleichzeitig hinten an die Wand drückt. Im Klo läuft das Wasser dafür quasi ohne Unterbrechung, und im Waschbecken läuft das Wasser nicht ab, wenn es erstmal drin ist, weil der Siphon höher liegt als das Waschbecken. Hier wäre dann doch mal ein guter Klempner gefragt. Als ich mein Handtuch auf den Handtuchhalter legen will, fällt der Halter einfach komplett aus der Wand. Die Schraube links war irgendwie ohne Dübel einfach nur in die Wand gesteckt, und die rechte ist bereits durch einen zehn Zentimeter langen Nagel ersetzt. Konnte ja gar nicht halten.
Als ich die Treppe runter zum Restaurant gehe, stelle ich fest, dass Martin und Markus längst wach sind und auch schon lange gefrühstückt haben. Mmh. Ich kriege trotzdem noch Omelette und Baguette. Ich hab echt Brand. Es war doch vielleicht eine mäßige Idee, auf eh schon ausgetrocknetem Mund nach dem Flug noch drei 0,65 l-Flaschen Bier zu kippen. Naja.
Irgendwann trudelt Dimby samt Landcruiser ein. Wir sitzen noch eine ganze Weile herum und plaudern, bevor wir los fahren. Im Garten haben Martin und Markus schon ein hübsches Weibchen von Furcifer oustaleti in einem Bäumchen entdeckt. Es ist grün mit einem netten roten Muster. Als wir gerade ein zweites Weibchen suchen, das angeblich vor einer Viertelstunde am Zaun herunter geklettert sei, stolpern Markus und ich beinahe über ein großes, graues Männchen der gleichen Art. Es ist von Fotos allerdings ganz und gar nicht zu begeistern.
Wir fahren am Deich zwischen den Reisfeldern entlang und vorbei an der neu gebauten Querverbindungsstraße, um kurz hinter dem Handwerkermarkt zu drehen und die Querverbindung doch hoch zu fahren. Dimby kommt schnell voran, es ist – sehr ungewöhnlich für Tana – kaum Verkehr. Wir haben eine gute Uhrzeit erwischt. Ewig gurken wir Straßen rauf und herunter. Eigentlich wollen wir zur Altstadt von Antananarivo, aber die scheint unsagbar weit weg, obwohl wir während der ganzen Fahrt gute Sicht darauf haben. Wie Dimby sich hier zu recht findet, weiß der Himmel. Ausgeschildert ist nichts, Straßennamen gibt es nicht und wir biegen gefühlte hundert Mal ab. Endlich passieren wir das Stadion von Mahamasina, und dann den Lac Anosy. Der Rova, der Königspalast, ist immerhin schon sehr viel näher gerückt. Bevor wir den besuchen, fahren wir aber noch nach Analakely rein. Der Verkehr in Analakely ist chaotisch und dicht. Überall laufen Unmengen Menschen auf der Straße herum, streifen das Auto, wollen Krimskrams verkaufen oder sitzen einfach wenige Zentimeter vom Verkehr auf dem Boden. Zwischendurch ist die Gegenfahrbahn blockiert, weil gerade ein Taxifahrer sein Auto säubert und irgendwas repariert. Vor einem kleinen Geschäft parken wir, die Nase des Landcruisers quer über dem Bürgersteig und das Hinterteil auf der Straße.
Zu Fuß laufen wir rüber zur Straße der Unabhängigkeit, französisch Rue de l‘indépendance. Das ist übrigens wohl eine der kriminellsten Ecken Antananarivos. Entsprechend hat Dimby seine Augen auch ständig überall. Die Rue de l’indépendance selbst ist eher unspektakulär. In der Mitte ist ein eingezäunter Bereich mit Palmen und einem Brunnen; und zu beiden Seiten verlaufen zwei Fahrstreifen für Autos und Taxis, jeweils flankiert von parkenden Autos. Am einen Ende der Straße liegt der Bahnhof von Tana, der kürzlich renoviert wurde. Wir schlendern gemütlich die Straße hinauf, durch die Andenkenläden des Bahnhofs und treten gerade wieder auf die Straße, als es zu nieseln beginnt. Wir retten uns unter diverse Arkaden, direkt vor das Büro von Air Madagascar und einem Haufen Reiseagenturen, von denen ich noch nie gehört habe. Es schüttet kurz und kräftig, dann hört der Regen schon wieder auf.
Überall zu beiden Seiten der Straße der Unabhängigkeit sind kleine Grills und Geschäfte auf der Straße. Schals, Schuhe und Sonnenbrillen in allen erdenklichen Farben und Ausführungen liegen auf Tüchern ausgebreitet auf dem Boden zwischen Taxiständen und Getränkeverkäufern. Hier gibt es kleine, fettige Teigkringel zu kaufen und da Frühlingsrollen. Immer wieder begegnen uns Frauen mit Blechschalen, auf die eine Art hohe Plastikumrandung gebastelt ist. Darin befinden sich geschnittene Ananas- und Orangenscheiben, die die Frauen verkaufen. Sieht lecker aus. Aber da ich mir nicht sicher bin, wie lange das Obst schon durch den warmen Tag schaukelt, esse ich lieber nichts davon.
In einer Ecke stehen jede Menge Autos und Busse mit geöffnetem Kofferraum, aus denen Handys und Elektrokrempel verkauft werden. Und reparieren lassen kann man seine Elektrogeräte hier auch gleich, wie eine kleine, dicke Frau beweist, die bei einem rostig-blauen VW-Bus gerade einen Föhn zur Reparatur abgibt. Außerdem soll ein paar Autos weiter ein Schwarzmarkt für jegliche Elektrogeräte, Autos und andere Fahrzeuge blühen. Für mich lässt sich keinerlei optischer Unterschied zwischen den beiden Verkaufsecken ausmachen. Sonnenbrillenverkäufer versuchen alle paar Minuten, jemandem etwas anzudrehen. „Original, original!“, versuchen uns die jungen Männer zu überzeugen. Leider möchte niemand von uns eine original kopierte Oakley.
Am Ende der Rue de l’indépendance führt eine Straße zu den tausend Treppen von Tana. Man läuft hier überall einfach mitten durch den Verkehr. Zwei Zentimeter am fahrenden Taxibrousse vorbei, ein Rollerfahrer streift mich. Am Straßenrand verkaufen zwei Frauen Schuhe, und sie haben sich dazu ein geniales System erdacht: Je ein Schuh hängt an einem Strick von einem provisorisch aus Holzleisten gezimmerten Dach herunter. So kann man die Schuhe anprobieren, aber keinen klauen – wobei ein einzelner Schuh auch eher sinnbefreit wäre. Durch die Stricke entsteht ein bunter Stand mit unzähligen, herunter baumelnden Schuhen.
Kurz bevor wir die Treppen erreichen, entdeckt Tanala zwei Stempelmacher am Straßenrand. Sie haben auf alten Tischen, die mitten auf dem kleinen Bürgersteig stehen, einen Haufen Holzgriffe und Gummi-Kreise liegen. Dahinter stehen Vorlagen mit Motiven, die man sich schnitzen lassen kann. Auch bekanntere Motive wie der Panda des WWF und diverse Filmemacher sind darunter. Man munkelt, dass der ein oder andere Stempelmacher hier in Analakely auch Behördenstempel täuschend echt kopieren kann…
Ich zeige auf einen Stempel mit einem Chamäleon. „Kann ich so einen bekommen?“ „Ja, natürlich! Welchen Namen möchtest du darauf haben?“, fragt ein kleiner Mann mit Basecap im grauen Hemd eifrig. Ich schreibe ihm meinen Namen auf einen abgerissen Zettel und er legt sofort los. Mit einem winzigen Teil einer Rasierklinge schnitzt er in wenigen Minuten meinen Namen in Spiegelschrift auf den bereits vorgeschnitzten Chamäleonstempel. Das Gummiteil stammt von Autoreifen. Dann nimmt er aus einer kleinen Braunglasflasche einen Tropfen zähen Kleber, streicht ihn mit der Rückseite eines alten Kulis auf das Gummi und presst einen Stempelgriff daran. Anschließend wird noch ein Probedruck mittels eines blauen Stempelkissen, das unter dem Tisch auf dem Boden liegt, gemacht; und fertig ist das kleine Ding. Ich bedanke mich, stecke meinen neuen Stempel ein und wir laufen weiter.
Links der tausend Treppen von Tana liegt der alte Zoma mit seinen dreieckigen Dächern. Der alte Markt ist völlig überlaufen, schon von Weitem sehen wir die Menschenmassen sich dicht gedrängt hin- und her schieben. Wir gehen nicht in den Markt, sondern steigen die Treppen zur anderen Seite der Straße nach oben. Rechts und links, oben und unten, überall sind kleine Stände mit Stempeln, Schuh- und CD-Verkäufer, Souvenirs und aller möglicher Kleinkram auf den Treppen. Bunte Sonnenschirme schützen Waren und Verkäufer. Es wuselt nur so vor Menschen. Durch die vielen kleinen Stände sind die Treppen nur halb so breit, wie sie eigentlich wären. Auf einem Treppenabsatz sitzt ein barfüßiger Mann und spielt auf einer Flöte. Nicht besonders melodisch, aber sehr ausdauernd. Inzwischen klart der Himmel ein wenig auf, blaue Stellen werden zwischen den Wolken sichtbar.
Am Ende der Treppen oben angekommen, finde ich mich auf einem kleinen Platz wieder. Große, niedrige Bäume beschatten den gesamten Platz und eine kleine Rasenfläche, und ein paar Blumenrabatten versuchen, den Platz weniger trostlos aussehen zu lassen. Eine Zeitung hängt in einzelne Seiten zerteilt an einer Wand zum Lesen aus. Maler verkaufen Karikaturen. Vor der Büste irgendeines wichtigen Menschs auf einer Marmorsäule hat sich eine Schaustellergruppe eingefunden. Es ist eine Familie, Eltern und zwei Kinder. Alle vier haben verschlissene, bunte Kostüme an und singen lautstark. Um ehrlich zu sein, es ist mehr ein lautes, schrecklich schiefes Gröhlen. Dazu schlagen Vater und Sohn auf zwei Trommeln ein. In der Mitte steht eine Basttasche, in die man Geld werfen kann.
Die Aussicht von hier oben ist beeindruckend. Langsam beginnt die Sonne zu brennen, obwohl sie gerade erst aufgetaucht ist. Auf dem Weg die Treppen wieder hinunter entdeckt Martin ein grandioses stilisiertes Aye-Aye in Stempelform an einem der unzähligen Stände. Ich kaufe eines mit Namenszug, Martin möchte sich eines ohne herstellen lassen. „Dauert so 30 Minuten“, sagt der Verkäufer. Dimby führt uns einige Stufen nach unten „unter“ die Treppen, wo sich ein kleines Restaurant versteckt. Etliche Tische sind besetzt, die Leute essen gerade zu Mittag. Wir trinken eine Cola zusammen, es ist echt warm geworden.
Mit dem Auto fahren wir bis zum Rova. Die Sonne brennt ganz gewaltig. Der traditionelle Sonnenbrand einen Tag nach Ankunft in Tana lässt nicht lange auf sich warten. Als wir auf das Tor vor dem Gelände des Rovas zuschlendern, brennen meine Arme bereits. Und da die Reste des Rova in der prallen Mittagssonne liegen, sammle ich noch ein wenig mehr Rot auf der Haut ein. Markus war heute Morgen schlau genug, trotz bedecktem Himmel Sonnencreme zu benutzen. Ich war nicht so schlau – naja, irgendeiner muss die Tradition erhalten.
Ein junger, schlanker Mann mit schwarzer Mütze auf dem Kopf stellt sich als zweiter Martin vor und ehe wir uns versehen, haben wir ihn mehr oder minder freiwillig als Guide engagiert. Er zeigt uns das gesamte Gelände des Rova, vom Manjamiakadama, das 1995 einem Feuer zum Opfer fiel und bis 2009 leider nur in kleinen Teilen renoviert wurde, bis zum Fiangonana, der kleinen Kirche. Ich schaue nach oben und halte die Hand vor die Augen, damit die Sonne mich nicht blendet. Ein Falke sitzt in einem der offenen Fenster des Manjamiakadama. Sanft hebt er ab und fliegt hoch in die Luft, wo er über uns langsam seine Kreise zieht.
Die Kanzel für die Königin innen in der Kirche ist übrigens toll geschnitzt, muss man mal gesehen haben. Das halb renovierte Manjamiakadama ist eher traurig. Die riesigen Innenräume könnten Platz für ein tolles Museum bieten, aber offenbar ist niemand daran interessiert, das Wahrzeichen Antananarivos sinnvoll zu renovieren. Also bleiben die Eingänge mit Metalltoren verschlossen, und von außen sieht man Elektrokabel aus den Decken baumeln.
Guide-Martin erzählt allerlei zur Geschichte des Rova – das meiste weiß ich schon, den mein Artikel zum Thema ist längst fertig, mir fehlen nur die Fotos – und wir laufen eine Runde um die Kirche bis zum alten Königshaus, das exakt gleich aussieht wie das in Ambohimanga. Entsprechend tritt man auch rückwärts mit dem rechten Fuß zuerst ein, und geht rückwärts mit dem linken Fuß zuerst wieder heraus. Oder andersherum. Innen gibt es genauso wie in Ambohimanga ein Hochbett, eine versteckte Holzplanke für den König ganz oben im Dach und eine Feuerstelle mit fünf runden Steinen als Sitzplätzen. Die Sage behauptet, der König habe sich oben auf der Holzbohle versteckt, wenn seine zahlreichen Frauen Besucher empfingen. Ließ er ein Steinchen von oben herunterfallen, bedeutete das, dass der Besuch verschwinden sollte. Fiel kein Steinchen, wollte er der Unterhaltung weiter lauschen. Angeblich kam er zu den Besuchern aber nie herunter.
Die Aussicht gegenüber der Kirche ist gigantisch. Man schaut auf Lac Anosy und die gesamte Stadt Antananarivo. Ambohimahasoa liegt linker Hand, und irgendein heiliger Hügel rechtsseitig. Direkt geradeaus in einer Tamarinde sitzt ein riesiges Furcifer oustaleti-Männchen. Als wir die Stufen hinter der Kirche nach oben steigen und um das Gebäude herum auf die Rückseite des Manjakamiakadama und zum rituellen Waschbad kommen, fallen als erstes Unmengen riesige Trichonephilas in den Bäumen auf. Alles ist voll mit den großen Spinnen und ihren goldenen Fäden. Wir schauen noch die sieben Gräber an, dann laufen wir zurück zum Tor. Guide-Martin schlägt vor, noch das Museum des Ministerpalasts zu besuchen, wo man diverse Talismane, eine alte Krone und andere königliche Devotionalien besichtigen kann.
Auf dem Weg den steilen Berg herunter erklärt er uns auch noch ein Terrakottarelief, das die Geschichte Madagaskars erzählt. Der Palast des Premierministers ist dann eher enttäuschend. Ein riesiger Saal ist komplett leer bis auf diverse hölzerne Modelle des Rova, deren Beschreibungsschildchen man aber offenbar selbst anbringen muss, sie liegen bunt auf den Modellen verteilt. Dahinter und davor befinden sich noch insgesamt drei kleine Räume, und alle gleichen eher Rumpelkammern. Völlig verstaubte Vitrinen, vergilbte Hinweisschildchen und alles steht kreuz und quer in den dusteren Kammern. Zwischen Schmuck der Königinnen sammeln sich Talismane, ein alter Thron, ein Jahrhunderte alter Sattel und riesige Gewehre.
Wir laufen wieder zurück zum Auto, entlohnen Guide-Martin für die Führung und treffen auf dem Weg noch den einzigen deutschsprachigen Guide des Rova, der gleich mal seine Sprachkünste an uns testet.
Der Weg zurück zum Hotel ist lang. Der Verkehr ist wieder so dicht wie gewohnt, die Straßen sind völlig verstopft und es geht nur schrittweise voran. An der Tankstelle vor der amerikanischen Botschaft entdeckt Dimby ein gelb-schwarzes Taxi, in dem Mapy und die Kinder sitzen. Wir hupen und winken. Später treffen wir uns im Raphia, um gemeinsam zu Abend zu essen. Mr. Big ist vorher zum Geld wechseln da, und der Abend bietet noch viele nette Gespräche.