Die Nacht war heiß. Die Klimaanlage war zwischen drei und sechs Uhr aus. Sie springt wieder an, als ich gerade aufstehe. Schon jetzt, gerade Mal sechs Uhr in der Frühe, herrscht eine Bullenhitze in Ambilobe. In der Nacht hat es nur wenige Grad abgekühlt. In der Spitze eines großen Baumes auf dem Nachbargrundstück sitzt ein Falke. Ich warte zusammen mit Tanala in weißen Plastikstühlen sitzend draußen auf die anderen. Auf der Straße herrscht bereits geschäftiges Treiben. Tuktuks ziehen vorüber, ein LKW auf dem Gelände des Hotels wird gerade repariert.
Zum Frühstück fahren wir mit den Landcruisern rüber zum Markt von Ambilobe. Das Wasser des Mahavavy, dem großen Fluss am Rande der Stadt, steht ganz schön hoch. Geparkt wird vor dem örtlichen Schubkarrenverleih – oder zumindest rund zehn Schubkarren, die vor einem blickdichten Bauzaun ordentlich aufgereiht nebeneinander stehen. Scheinbar kann man hier Schubkarre und Schubkarrenfahrer als Gesamtpaket mieten. Gegenüber liegt eine ganze Reihe von Aluhütten, in denen kleine Geschäfte Alltagsgegenstände verkaufen. Fahrradreifen zum Beispiel, aber auch Seife, Nudeln, Kerzen, Plastikwannen und alles mögliche andere.
Wir landen schließlich an einem kleinen Stand vor der Markthalle, der schon hier ist, seit ich das erste Mal in Ambilobe war. Es sind noch die gleichen Leute, die hier Essen und Getränke verkaufen und es gibt immer noch die gleichen Gerichte: Frisch frittierte, heiße Bananen im Teig, kleine süße Teigbällchen ähnlich arme Ritter, Brioche und Mofo sauce, Baguette mit Hackfleischsauce. Die frittierten Sachen liegen auf großen Blechtellern aus. Mit einem Spieß wählt man aus, was man kaufen möchte. Man kann aber auch warten, bis frisch frittierte Bananen direkt aus der Pfanne mit heißem Öl direkt hinter der Theke auf die Belchteller gelegt werden. Die frittierten Bananen sind süß und saftig – und kochend heiß, als ich sie in ein Stück Zeitung gewickelt in die Hand bekomme. Dazu gibt es nach Wahl gekühlte Cola, eine dunkle Kaffeebrühe oder heißen Tee. Jedes Mal, wenn der Deckel des Tee-Topfes gelüftet wird, schwebt der intensive, schwere Geruch von Zimt über den Platz.
Die Markthalle, an deren Rand wir uns befinden, hat inzwischen wieder geöffnet. Die Stände innen sind im Prinzip betonierte Theken, auf denen alle möglichen Waren – vom getrockneten Fisch bis zum Gemüse, mehrheitlich aber Kräutermischungen – ausliegen. Im Gegenzug für die erneuerte Halle wurden die Bretterbuden auf dem Platz rechts der Halle abgerissen. Ein paar der Buden haben sich direkt vor die Markthalle gerettet. Geschäftiges Treiben herrscht auf dem Platz und in der Markthalle. Waren werden angeliefert, Schüler sind auf dem Weg in die Schule und an unserem Frühstücksstand nehmen viele auf dem Weg zur Arbeit noch einen schnellen Kaffee.
Als alle satt sind, fahren wir wieder zurück zum Ortsrand von Ambilobe. Das Noor-Hotel hat inzwischen ein neues Logo am Haus hängen. Eine gelbe Sonne stellt das zweite O im Namen dar. Der Rest des Hauses sieht aus wie immer und auch der Blick von der Straße aus in den Innenhof lässt keinerlei Renovierung erahnen. Über den Fluss und auf der anderen Seite geradeaus geht es in Richtung Sirama auf eine rote Lateritpiste. An einer verfallenen Brücke biegen wir ab, in Richtung des alten Flughafen von Ambilobe. Die Landcruiser rumpeln durch eine Savanne mit rotem Boden und kleinen, grünen Grasinseln. Große Pfützen stehen mitten auf dem Weg und spritzen beim Durchfahren in alle Richtungen. Vereinzelt stehen knorrige Bäumchen in der Landschaft. Dann erreichen wir die ehemalige Landebahn. Sie hat längst so viele Risse und Buckel, dass wohl kein Flieger mehr hier landen könnte. Das Häuschen für Check-In und Wartehalle ist nur noch eine Ruine; das Dach fehlt, die noch stehenden Wände sind von mannshohem Grün eingeschlossen. Christian und Dimby wollen hinter der Landebahn eine Abkürzung nehmen und folgen einem Trampelpfad in eine Rechtskurve. Gris fährt links herum über einen kleinen Hügel – und lacht laut, als er Christian mit seinem Landcruiser direkt vor einem großen Wasserloch entdeckt, das zu tief und schlammig zum Durchfahren ist.
Schon sind wir zurück auf der „normalen“ Straße nach Sirama – eine staubige Piste voller Schlaglöcher und ohne jeglichen Rest von Asphalt. Es ist unheimlich viel los. Etliche Tuktuks düsen vorbei und jede Menge Radfahrer sind unterwegs. Eine völlig verrostete Schrottkarre, an der man nicht einmal mehr den Autohersteller erkennen kann, rattert vorbei. Schwarzer Rauch kommt aus dem Auspuff. Wir umkurven einige Schlammlöcher und halten erst nach einer ganzen Weile im Schatten eines großen Mangobaumes an. Die größere Betonbrücke war heute mehr Pfütze als Brücke, der Regen gestern kam wohl auch hier an. Gefunden haben wir unterwegs tiertechnisch noch nichts. Also heißt es jetzt Ausschwärmen: Fünfzehn Augenpaare sehen mehr als zwei!
Erstmal tut sich aber gar nichts. Es ist brütend heiß, die Sonne knallt vom blauen Himmel. Ein alter Traktor tuckert langsam die Straße entlang. Im Schlepptau hat er einen Anhänger, der wohl so etwa wie der madagassische Abschleppdienst sein könnte. Ich wandere langsam entlang der Straße – immer schön im Schatten, so weit es möglich ist – weiter nach vorne. Ein paar Zebus laufen vorbei. Philipp scheint etwas gefunden zu haben. Es sind aber „nur“ ein paar Vögel im Reisfeld, Nacht- und Madagaskarreiher. Mir tropft der Schweiß den Rücken herunter. Etwas niedriger abgesetzt von der Straße liegen ein paar einfache Hütten unter Bäumen, aus Blättern und Ästen erbaut. Eine Wäscheleine spannt sich zwischen einer der Hütten und einer Palme am Straßenrand. Bis auf ein paar Kinder sehe ich niemanden.
Dimby und ich holen Malbücher und Stifte aus dem Auto und verteilen sie an die Kinder, die schon da sind. Wie immer spricht sich schnell herum, dass es Geschenke gibt – schwuppdiwupp flitzen noch mehr Kinder in unsere Richtung. Viele sind wohl aber auch in der Schule. Auch einige Frauen und Männer tauchen hinter den Hütten nun auf. Sie rufen die Kinder zu sich, kontrollieren die Malbücher, befinden sie offenbar für ordentlich und reichen sie an die Kinder wieder zurück. Freudestrahlend verschwinden die mit ihren neuen Besitztümern im hohen Gras. Zwei Männer auf Fahrrädern passieren die Hütten, beide Gepäckträger beladen mit zu beiden Seiten herausstehenden Bananenstauden.
Endlich sind auch zwei sehr hübsche Pantherchamäleon-Männchen entdeckt worden. Ihre Farben leuchten unglaublich intensiv. Wir fotografieren eine Weile, während noch mehr Zebus und Radfahrer an uns vorbeiziehen. Schließlich fahren wir mit den Landcruisern noch ein paar Kilometer weiter – vielleicht finden wir noch mehr? Tatsächlich entdeckt das erste Auto im Vorbeifahren ein weiteres männliches Pantherchamäleon. Es trägt erstaunlich viel Grün und hat nur eine rote Bänderung dazu. Mit der Farbgewalt der leuchtend gelb-blauen und rot-grünen Chamäleons kann dieses Tier nicht mithalten, aber fotogen ist es natürlich auch. Und schon ein bisschen besonders hier unter den Farbexplosionen von Ambilobe. Ein noch kleines, junges Männchen entdeckt José noch in einem großen Busch direkt über einem Reisfeld.
Weiter geht die Fahrt bis hinter eine große Kreuzung. Wir erreichen eine riesige Schlammpiste mit schmierig-rutschigen Fahrspuren und teichähnlichen Pfützen. Die Chancen stehen gut, in dem Matsch stecken zu bleiben. Also parken wir direkt davor und wandern zu Fuß ein Stück weiter. Am Rande des Schlamms zieht sich eine nur handbreite, halb getrocknete Spur entlang, auf der Fahrradfahrer das Schlammloch passieren. Der Himmel zieht sich langsam etwas zu, heiß und feucht ist es trotzdem. Die Klamotten sind längst durchgeschwitzt. An einem Gartenzaun aus Ästen, die senkrecht in den Boden gesteckt sind, entdeckt irgendjemand ein winziges, toll gefärbtes Jungtier von Phelsuma grandis. Es hat noch eine hellgrüne Bänderung und viele kleine Flecken, die seine Haut wie marmoriert erscheinen lassen. Als ich von dem „Zaun“ nach oben blicke, entdecke ich direkt im Baum schräg dahinter ein kleines Pantherchamäleon. Es schaut neugierig zu, wie wir den Gecko fotografieren.
Ich verlasse den Gartenzaun bald, weil wir offensichtlich mitten auf dem schmalen „Fahrradweg“ stehen und Leute am Vorbeifahren behindern. Beim Zurücklaufen zu den Autos entdecke ich ein Zebu auf der anderen Straßenseite. Es ist eine schwarze Kuh. Sie muht laut und kommt auf mich und die anderen zugelaufen. Ihre Leine reicht aber nur bis etwa zur Mitte der Straße, woraufhin sie einfach dort stehenbleibt und uns hinterher schaut. Nicht nur die Schlammpiste ist die Folge des gestrigen Starkregens. Auch neben der Straße steht – ganz der Regenzeit entsprechend – unheimlich viel Wasser. Ganz so viel See hat’s sonst hier nicht!
Nach vielen Stunden der Tiersuche und des Fotografierens kehren wir zurück nach Ambilobe. Die Farbexplosionen der Pantherchamäleons von Ambilobe sind immer wieder schön. Nur die Hitze ist wirklich anstrengend. Ein kurzer Regenschutt erhöht die Luftfeuchtigkeit, lässt aber die Temperatur nicht um ein Grad sinken. Es hat längst wieder über 35 Grad im Schatten. Die Klimaanlage in Tanalas und meinem Zimmer pustet nur lau vor sich hin, obwohl sie auf 16 Grad eingestellt ist. Das wird sie wohl nie erreichen. Wir nehmen ein spätes Mittagessen ein, während dem Philipp für Struppi Fleisch von seiner Pizza sammelt – und bei der Rückkehr zu seinem Zimmer in Struppis Augen zu einem potenziellen Traumherrchen mutiert.
Die Nachmittagshitze verschlafe ich einfach. Dimby und Gris fahren rund 15 Kilometer aus Ambilobe raus und folgen der Route Nationale bis zu einer eingestürzten Brücke. Beim Frühstück haben sie erfahren, dass es dort ein Problem mit der Flussüberquerung geben könnte. Als sie zurück kommen und Fotos auf ihren Smartphones herumzeigen, ist die Lage ernüchternd: Von der Brücke ist tatsächlich gar nichts mehr übrig. Der aus Matsch gebaute Weg durch den Fluss hat den Regen leider nur zum Teil überlebt, so dass man jetzt gute 20 Meter des Flusses im Wasser durchqueren muss. Das geht wohl nur, wenn es heute nicht mehr regnet und damit der Flusspegel nicht weiter steigt. Kurzum beschließen Tanala und Dimby, dass wir schon heute unsere Koffer packen. Falls wir morgen über den Fluss kommen, können wir in Ankarana übernachten. Falls nicht, probieren wir es einen Tag später erneut.
Als es dunkel wird, schlappe ich in Flip-Flops rüber zum Restaurant. Kleine Fledermäuse flattern durch die Dunkelheit. Der Abend fällt kurz aus, alle wollen noch ihre Sachen packen. Ein kleiner Gecko an der Decke trägt noch zur Unterhaltung bei. Er schleicht minutenlang um einen kleinen, grauen Falter herum. Nach langem Hin und Her schnappt er zu, hat den Falter kurz im Maul und lässt ihn beim ersten Flattern wieder los. Philipp versucht daraufhin, den zu Boden gefallenen Falter per Hand an den Gecko zu verfüttern.
Als wir zu den Zimmern zurück laufen, springt Struppi schon freudig neben uns her. Er hat vor dem Restaurant schon gewartet. Heute gibt es Ei und Fleischstückchen von Min Sao und Pizza. Schmeckt alles. Ich bin gespannt, was uns morgen erwartet.