Ich bin mal wieder sehr früh wach. Nach einer kurzen Dusche und Zähneputzen schlendere ich zum Niedrigdachrestaurant rüber. Weit und breit ist niemand zu sehen. Ich setze mich auf den Betonboden direkt vor der Hütte und schreibe an meinem Tagebuch. Ein paar Bienenfresser fiepen in den Bäumen kein zehn Meter von mir. Etliche Segler sind unterwegs, aber ich kenne die Art nicht. Es sind graue Vögel mit auffällig roten Schwingen. Vom Sturm in der Nacht ist nur ein laues Lüftchen geblieben. Dimby und José stehen gerade auf, etwas später setzen sie sich auf die alte Schaukeln gegenüber des Restaurants. Und warten ebenfalls.
Erst eine gute Stunde später regt sich überhaupt etwas in der großen Hütte. Wir stellen einen der Holztische quer, damit alle an der langen Tafel Platz finden. Das Frühstück ist, nunja, interessant. Man merkt, dass hier nicht oft Touristen vorbeikommen. Das mofo, übersetzt Brot, stellt sich als Makasaoka, eine Art arme Ritter, heraus. Es ist heiß, fettig und süß – für hier genau richtig. Dafür sind die Croissants ziemlich verkohlt, quasi ein Stück Kohle mit etwas hellerer Kruste obendrauf. Offenbar hat jemand versucht, ältere Croissants aufzuwärmen und dabei das Feuer nicht so gut im Blick gehabt. Die Omelettes sind gut. Zuletzt landet eine riesige Schüssel Reis auf dem Tisch. Nach dem sehr zeitraubenden Frühstück wollen wir an die Chamäleon-Wieder-Suche und ans Fotografieren gehen.
Lars, Katie und Philipp wollen stattdessen gerne den Leuchtturm am Rand der Halbinsel Katsepy besuchen. „Ouuuh“, macht Frank. „Das ist echt weit bis dahin! Und da ist kein Schatten auf dem Weg, wollt ihr das wirklich machen?“ Sie wollen und sind auch nicht davon abzuhalten. Also marschieren die drei samt Fitah – der sich wohl nur so mittelprächtig darüber freut – los in Richtung Leuchtturm. Ich bleibe lieber hier, mir erscheint der nahe Trockenwald ein lohnenderes Ziel zu sein. Außerdem ist es schon im Schatten brütend heiß, eine ganze Flasche Cola habe ich schon getrunken. Drei Stunden in der Sonne und drei zurück erscheinen mir da sehr Sonnenstich-gefährlich.
Der nahe Trockenwald von Antrema bietet Gelegenheit für weitere Wiederentdeckungen – die bei der Hitze anstrengend genug sind. Man gart selbst beim Fotografieren im eigenen Saft. Mein Ziel ist – wie schon gestern Abend – Furcifer voeltzkowi, eine wunderschöne mittelgroße Chamäleonart. Sie ähneln farblich Furcifer labordi: Die Männchen sind grün-weiß, die Weibchen bei Trächtigkeit schwarz mit viel lila und rot-grünen Punkten. Wir werden zum Glück mehr als fündig. Im Schatten einer Ruine, vermutlich ein ehemals hübsches, kleines Steinhaus aus Kolonialzeiten, ist Platz und Möglichkeit zum Fotografieren. Die Männchen von Furcifer voeltzkowi zeigen ein recht eigenartiges Verhalten, wenn sie ein anderes Männchen erblicken. Sie flachen sich nicht nur ab und machen sich größer, wie das andere Chamäleons tun. Sie strecken außerdem die Beine gerade durch und tänzeln wie Ponys staksig auf und ab. Offenbar ist die hohe innerartliche Aggressivität, die für den frühen Tod vieler Männchen bei Furcifer labordi mitverantwortlich ist, auch hier vorhanden. Viel länger als das kurzlebigste Chamäleon der Welt wird wohl auch Voeltzkows Chamäleon nicht leben. Farblich sind die Tiere trotzdem wunderschön. Und auch das Verhalten der Tiere zu beobachten ist unheimlich spannend.
Zwischendurch schleicht sich zwischen den Bäumen des Trockenwaldes ein riesiges Furcifer oustaleti ins Bild. Als es gegen Mittag geht, brauche ich auch eine Pause. Vor allem von der Hitze. Meine Klamotten sind klatschnass geschwitzt und trotzdem perlen mir immer noch Schweißtropfen von meiner Nase. Ich suche einen Schattenplatz zum Dösen, aber eigentlich ist es überall zu warm dazu. Dafür kann ich von einer jungen Frau einen hervorragenden, eisgekühlten Maracuja-Saft erwerben. Frisch gepresst. Der tut einfach unglaublich gut bei der Hitze.
Irgendwann ruft Philipp an. Es ist doch ziemlich heiß und trocken auf dem Weg zu Fuß zum Leuchtturm. Ob wir vielleicht irgendwo ein Auto auftreiben können…? Dimby macht sich auf die Suche im nahe gelegenen Dorf von Katsepy. Besonders viele Autos gibt es hier nicht, aber er findet nach einer Weile zwei Männer mit einem passablen Geländewagen. Sie sind bereit, gegen einen Obolus unsere Leute aufzusammeln und auch wieder zurückzubringen. Das Mad-Max-Auto, das es hier geben soll, findet Dimby leider nicht.
Am späten Nachmittag sind alle zurück im Hotel. Auch unser Leuchtturm-Grüppchen taucht wieder auf, allerdings völlig erschlagen. Sie haben dafür in einem kleinen Wäldchen am Leuchtturm Mongozmakis gesehen, eine eher schwierig zu findende und nicht besonders häufige Lemurenart. Ich schwitze zwar auch ununterbrochen, aber mir geht es relativ gut. Ziegen und Hühner wandern durch den „Garten“ unsere Hotels, in dem wir uns inzwischen alle wieder eingefunden haben. Wem sie gehören, weiß man nicht so genau.
Vor dem Abendessen gilt es erneut, sich in Geduld zu üben. Mora, mora… viel mora, mora. Man ist hier mit einer Feuerstelle in der Küche einfach nicht auf so viele Leute eingerichtet. Die Karte bietet übrigens der Einfachheit halber die gleichen Gerichte wie gestern. Außer, dass das Huhn durch Sardellen ersetzt wurde und Kartoffeln aus sind. Und Getränke sind wieder aus. Wer hätte ahnen können, dass die komischen Vazaha auch abends noch was trinken wollen? Seufz. Wäre hier jemand findig und geschickt, er könnte richtig Geld verdienen mit einem provisorischen Getränkelieferservice. Und bei den sehr vielen Menschen ohne Arbeit im Dorf würde Geld sicher auch gebraucht. Aber dank einer merkwürdigen Alles-egal-Einstellung, vielleicht auch verursacht durch übermäßigen Haschischkonsum, rafft sich dazu keiner auf. Und ich warte wieder. In der Hitze – und nach dem sehr erfolgreichen Tag – ist es einem irgendwann erstaunlich egal.
Kurz vor Sonnenuntergang springen nochmal die Sifakas durch die Palmen im Garten, dann sind sie schon wieder verschwunden. Als es dunkel ist, gehe ich mit einer von Tanala geliehenen Stirnlampe nochmal im Garten nach Tieren suchen. Es ist nicht so erfolgreich wie gestern und ich verabschiede mich bald in Richtung Bett. Kein Hauch von Luft geht, nicht einmal ein einziges Palmblatt bewegt sich. In Katsepy gibt es heute Abend offenbar eine Dorfdisko. Laute, schnelle Bässe und Gejohle schallen aus dem Dorf herüber. Ich verschwinde in mein JVA-Bettgestell und ziehe das Moskitonetz herunter. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Es ist saumäßig heiß.