Jemand hat heute Nacht sehr laut geschnarcht. SEHR. LAUT. Ich tapere in Flip-Flops über den rutschigen Boden zum Klohäuschen. Duschen wäre angesagt. Die Dusche besteht aus einem grünen Plastik-Wäschebottich, der mit semisauberem Wasser gefüllt ist. Darin schwimmt der abgeschnittene Boden einer Eau Vive-Flasche. Damit schöpft man sich Wasser über den Kopf. An der Wand ist ein kleines Brett angebracht, in das Nägel geschlagen wurden – eine rustikale Garderobe sozusagen, genial! Ein kleiner Spiegel und ein Waschbecken vervollständigen die Dusche. Fühlt sich auf jeden Fall besser an danach. Das Klopapier ist allerdings sehr feucht. Regenwaldfeucht.
Die neue Treppe zur neuen Gemeinschaftshütte ist auch am Morgen ein Traum. Man kann sogar mit Flip-Flops hochsteigen. Fast ganz ohne Rutschgefahr. Primo und Dolphe sind schon lange auf und haben ein hervorragendes Frühstück gezaubert. Es gibt Rührei, passend zur Größe der Baguettestücke gefaltet, diverse Mango-, Litschi- und Erdbeermarmeladen, einen Nutellaverschnitt (aus Winsen in Niedersachsen) und leckeren madagassischen Honig. Frank und Chrissi sauen mit Milchpulver, Wasser und Backkakao auf dem Tisch herum. José kippt das Milchpulver einfach in den heißen Tee.
Das Frühstück endet damit, dass ich mit Frank und José an der Felswand hinter der Gemeinschaftshütte herum krieche und kleine Orchideen bewundere. Die sind übrigens noch nicht beschrieben. Außerdem hüpfen mehrere Mantella nigricans und Mantella laevigata zwischen den Rankpflanzen und den kleinen Bachläufen auf dem Felsen herum. Ein blauer Coua springt auch durch die Äste. Die Sonne scheint von einem wolkenlosen, blauen Himmel.
Den Vormittag verbringen wir erstmal mit dem, was wir an Tieren im Camp und in der Umgebung finden. Zu meiner Freude findet sich der Uroplatus lineatus nach etwas Suche unweit des gestrigen Standortes unten am Wasserfall wieder – ziemlich genau da, im Bereich des wilden Ingwers, wo wir auch vor vielen Jahren fündig geworden waren. Leider zeigt er tagsüber nicht die tolle, kontrastreiche Färbung, die er nachts hat. Tagsüber wirkt der eigentlich wunderschöne Gecko pastellig-beige und fast schon langweilig. Ein gutes Fotomotiv gibt er natürlich trotzdem ab.
Coco und Desirée starten einen Wettbewerb, wer die meisten Reptilien und Amphibien findet. Diverse Brookesia griveaudi landen vor meiner Kamera. Und auch die Buntfröschchen hinter der Gemeinschaftshütte wollen nicht nur beobachtet, sondern auch fotografiert werden. Ein Brookesia karchei findet sich auf der anderen Seite des Wasserfalls bei den Zelten der anderen. Es hat irgendwie eine Größe zwischen den Brookesia der minima-Gruppe und den größeren Brookesia. Ich habe mir gestern wohl doch den Fuß vertreten, der pocht nämlich ganz schön. Macht aber nix.
Weiter unten im Camp Marojejya schlängelt sich eine Compsophis laphystius an einem morschen Baumstamm entlang – auch sie muss direkt als Fotomotiv herhalten. Frank hat derweil eine ganze Reihe Madagassen zum Schuppen zählen an einer Schlange auf den Felsen am Wasserfall angesammelt. Sie sitzen da und malen Eddingpunkte auf die Schlange, die das offenbar nicht mal stört. Nach sehr intensiver Zählerei stellt sich dann heraus: Es ist keine Ithycyphus blancii. Es ist nur eine etwas außergewöhnliche Ithycyphus miniatus. Hoch in den Bäumen streiten sich schwarze Vasapapageien darüber, wer die besten Früchte abbekommt.
Das Mittagessen geht ein wenig unter bei so vielen tollen Tieren. Es gibt Hackbällchen, selbst geschnitzte Pommes, eine Gemüseplatte mit Avocado, Karotten, Bohnen, Ei und natürlich Unmengen Reis. Das Gemüse ist liebevoll auf einer Platte angerichtet und sortiert, Dolphe und Primo geben sich wirklich große Mühe. Die Teller sind aus Plastik, das ist leichter zu transportieren, das Besteck aber ist aus Metall. Servietten werden aus Küchenrolle gefaltet, das geht prima.
Später geht es weiter mit dem Tiere suchen und der Fotografie. Die Motivation unter den Jungs ist enorm. Hier zeigt ein Träger noch eine Mantide, dort findet ein anderer noch einen winzigen, schwarzen Frosch. Ein riesiger Platypelis sitzt an einem Bambusrohr und lässt sich geduldig filmen – mit meiner DJI Pocket kann ich noch nicht so gut umgehen. Zwischendurch hänge ich die Füße in die Wasserpools des kleinen Wasserfalls direkt unter dem Camp. Sie haben vom gestrigen Laufen und Schwitzen etwas rote Flecken. Über dem Wasser webt gerade eine große, bizarr geformte Spinne ein Netz. Sie hat blaue Beine und ist viel zu schnell zum Fotografieren. In den Wasserlöchern in den Spalten zwischen den Felsen entdecke ich Kaulquappen. Zu welchem Frosch sie wohl gehören?
Nahe dem Wasserfall finden sich dann auch noch mehrere Calumma cf. radamanus. Eigentlich sind das eher unscheinbare kleine Chamäleons. So richtig beeindruckend sind sie nicht. Doch das Männchen beeindruckt Markus und mich dann enorm: Kaum entdeckt es ein Weibchen direkt vor seiner Nase, fängt es Stakkato-artig an zu nicken wie wild und zeigt knallige Farben. Die Nase leuchtet knallblau, der Körper gelb und blau gestreift. Wow! Das hätte ich den kleinen Chamäleons gar nicht zugetraut.
Plötzlich wird es innerhalb weniger Minuten sehr düster. Der Himmel zieht sich in rasender Geschwindigkeit zu. War eben noch strahlend blauer Himmel, ziehen nun pechschwarze Wolken über die Baumkronen des Regenwaldes. Hastig packe ich den Fotorucksack zusammen, nehme die Softboxen von den Blitzen und verstaue alles. Keine Minute zu früh erreiche ich das Dach der Gemeinschaftshütte. Es tröpfelt. Wenig später geht es los: Ein krachendes, riesiges Gewitter zieht auf. Oder nein, eigentlich mehrere. Im Sekundenabstand kracht, grollt und donnert es, mit unzähligen riesigen Blitzen dazwischen. Es schüttet ohne Ende, ganze Bäche fließen durch das steile Camp nach unten. Ein recht ansehnlicher Bach läuft unter meinem und Tanalas Zelt durch. Das macht mir etwas Sorgen. Aber Tanala versichert, dass meine Reisetasche ja wasserdicht sei – die steht nämlich im Vorzelt, direkt auf dem Boden, über den gerade der besagte Bach fließt. Kurz legt das Gewitter eine Pause ein, dann kommt es zurück und legt noch mal mit aller Kraft los. Man versteht kaum sein eigenes Wort unter dem Blechdach, auf das der Regen mit ohrenbetäubender Laustärke prasselt. Coco kommt mitten im Regen klatschnass nach oben in die Gemeinschaftshütte. Sofort bildet sich eine ganze Traube von Menschen um ihn. Frank geht neugierig nachfragen: Coco hat einen Blutegel im Auge! Leider verpasse ich dieses parasitäre Highlight, denn der Egel wurde bereits abgepflückt, als ich Cocos Auge zu sehen bekomme.
Inzwischen ist es dunkel im Regenwald. Und dunkel meint hier stockfinster. Es ist schon wieder Zeit fürs Essen. Dimby hat eine Lampe an der Decke der Hütte befestigt, so dass wir sogar Licht haben und nicht jeder mit seiner Kopflampe auf den eigenen Teller leuchten muss. Ein paar Insekten schwirren ums Licht. Die großen Nephilingis-Spinnen, die in den Winkeln des Dachs wohnen, seilen sich hier und da ab, um dann geschäftig wieder nach oben zu klettern. Es gibt Hühnerteilchen, Reis und Gemüse auf dem großen Holztisch mit der weiß-blauen Tischdecke. Eine kleine, grüne Mantide landet auf dem Geländer der Hütte. Ich versuche sie noch zu fangen, aber sie ist schneller und entwischt in die dunkle Nacht. Einer der Kochhelfer hat einen großen Blaesodactylus antongilensis an einem der Betonpfeiler unter der Küchenhütte entdeckt.
Nach dem Abendessen steige ich runter in Richtung Toilette. Der Kochhelfer winkt und zeigt auf dem Weg noch weitere Frösche. Man muss sich in Marojejy schon überlegen, wie oft man so aufs Klo möchte. Nicht nur wegen der achtbeinigen Bewohnerin, die bevorzugt auf der Klobrille campiert, sondern auch wegen des langen und steilen Weges. Tanala erledigt das handtellergroße achtbeinige Problem, nachdem es partout weder von Klobrille noch Kloschüssel weichen will. Übrigens kleiner Pro-Tipp aus dem Regenwald: Wenn man madagassisches Zewa viermal faltet, ist es fast wie dreilagiges Klopapier in Deutschland, nur ein bisschen rauer. Elioda schleppt noch ein weiteres, männliches Calumma cf. radamanus an, das er direkt hinter meinem Zelt entdeckt hat. Ich setze es vorsichtig wieder zurück ins Gebüsch, es ist schließlich Schlafenszeit.
Als ich in mein Zelt steigen will, entdecke ich das ein oder andere ungünstige Vorkommnis. Am Zelt war offenbar einer der Lüftungs-Flaps offen, was den Bach unter dem Zelt auch hinein geleitet hat. Meine Luftmatratze hat ganze Arbeit geleistet und literweise Wasser aufgesaugt. Leider ist sie dadurch klatschnass. So nass, dass ein Wassersee entsteht, wenn man eine Hand darauf legt. Nur eine kleine, schmale Stelle an den Füßen ist obendrauf noch trocken. Auch meine „wasserdichte“ Reisetasche ist leider weniger wasserdicht als gedacht. Ein Großteil meiner Klamotten – und das sind schon nicht viele – ist durchnässt. Die deutsche Rolle Klopapier, die ich aus Gründen des Komforts immer dabei habe, hat aber immerhin das meiste aufgesaugt. Jetzt geht sie ziemlich gut als Rolle Feuchttücher durch. Nunja. Jetzt lohnt sich wenigstens die einvakuumierte Unterwäsche. Es wird eine sehr feuchte Nacht. Meine Kamera-Akkus wandern stapelweise auf die einzige trockene Stelle meiner Luftmatratze, weshalb ich schon mal nicht mehr ausgestreckt schlafen kann. Ich lege meine beiden Handtücher über den Rest der Matratze und lasse die Klamotten an. Und schlafe trotzdem auf der nassen Matratze.