Diesmal funktioniert die Kamera! Schon um fünf Uhr bin ich zum Wasserfall geschlichen. Mehr gestolpert, weil der Boden so rutschig ist, wenn man nur Flip-Flops statt dicker Wanderschuhe trägt. Endlich kann ich meine Sonnenuntergang-Timelapse machen. Und sitze dabei gemütlich auf dem Felsen, etwas weiter hinten, um alles im Blick zu haben und den Sonnenaufgang zu genießen. Im Finsteren huschen Fledermäuse durch die Luft. Als die ersten Sonnenstrahlen sich heraustrauen, verschwinden sie in den Regenwald. Eine Seidenspinne baut ein riesiges Netz zwischen mehreren langen Ästen, die über den Wasserfall ragen. Der Himmel am Horizont wird heller. Die ersten Vögel erwachen. Eine Ringelschwanzmanguste flitzt am Wasser entlang. Sie hat wohl nicht mit Menschen gerechnet – erschrocken wechselt sie die Richtung und springt davon.
Tanala kommt dazu, pünktlich zum Sonnenaufgang über dem Regenwald. Die Sonnenstrahlen beginnen gerade, langsam den Rand des Regenwaldes zu beleuchten. Und dann sitzen wir da, einfach so. Gemeinsam. Mit der besten Aussicht, die man im Regenwald haben kann. Am besten Ort, den man auf Madagaskar finden kann. Über der Schlucht kreisen Falken, elf an der Zahl.
Beim Frühstück driften die Themen mal wieder ab. Das Klo läuft über. Es hat geregnet, was wohl den Abfluss stört, und dazu hat jemand zu viel Klopapier benutzt. Eigentlich benutzt man hier nur ein absolutes Minimum an Klopapier, denn die Rohre sind einfach sehr klein. Naja. Also benutzen wir wohl gezwungenermaßen für den letzten Tag in Marojejy die alte Klohütte. Die mit den Pflanzen im Dach und dem Moos an der Kloschüssel. Ich darf gleich als eine der ersten testen. Wunderbar. Die Wurzeln, die durch das kaputte Dach hängen, geben gleich ein sehr heimeliges Gefühl. Außerdem tropft es durch die Löcher im Wellblechdach herein. Auf den etwas löchrigen, modrigen Bretterboden. Und die Kloschüssel wackelt ziemlich.
Heute geht es nochmal in den Regenwald, allerdings nicht ganz so weit in Richtung weg von Camp Marojejyia, ein Stück nach oben und nach unten entlang des Pfades durch den Regenwald. Wir schauen einfach in sehr gemütlichem Schlendergang, was wir finden können. Coco und Desirée waren wieder in der Nacht unterwegs und haben einiges zu zeigen. Coco hat gleich zu Beginn ein kleines Highlight: Ein Calumma marojezense-Männchen. Die sind eigentlich nur „langweilig grün“. Komplett grün. Dieses jedoch hat faszinierende gelbe Flecken und Akzente am ganzen Körper, wodurch es ganz fantastisch aussieht. Dazu ist es sehr freundlich und bleibt recht ruhig in seinem Farn sitzen.
Desirée trumpft mit einem noch schöneren Tier auf: Ein Calumma cf. malthe-Männchen. Die Art ist noch unbeschrieben und bereits rein optisch leicht als eigene Art zu erkennen. Sie ähnelt Calumma malthe eigentlich nur wenig. Das Männchen ist wesentlich größer und robuster im Körperbau – nur die Occipitallappen trägt es genauso. Farblich ist es auch völlig anders als Calumma malthe, mit wunderschönen Türkistönen und gelb. Desirée hat die Tiere schon häufig gefunden und zeigt uns auch zwei Jungtiere der Art. Nur ein Weibchen fehlt noch, das lässt sich heute nicht blicken.
Stattdessen gibt es noch ein weiteres, gerade erst 2018 beschriebenes Chamäleon: Calumma uetzi. Die Tiere sind genauso klein wie die Calumma cf. radamanus, die direkt im Camp Marojejya vorkommen, leben aber deutlich weiter oben im Regenwald. Frank war an der Beschreibung beteiligt. Er nannte sie damals Regenbogenchamäleons wegen der beeindruckenden Färbung. Die Calumma uetzi aus Marojejy sind allerdings nicht so richtig Regenbogen. Sie zeigen blaue und weiße Farben, aber von bunt sind sie sehr weit entfernt. Das war wohl bisher nicht bekannt – genetisch sind die Tiere die gleichen wie die Calumma uetzi im Sorata-Massif mit den markanten Farben. Immerhin eine sehr interessante Beobachtung! Wenn ich auch ein klitzekleines bisschen enttäuscht bin, dass wir eher Himmel-und-Wolken-Chamäleons sehen anstatt Regenbogen.
Das darf Frank sich dann beim Mittagessen auch noch mehr als einmal anhören. Die Spaghetti mit Fleisch, die Dolphe und Primo heute zubereitet haben, lenken jedoch gut ab. Die riesigen Schüsseln sind diesmal fast leer, als sie zurück in die Küchenhütte gehen. Später macht sich Martin auf den Weg zu Camp Mantella, um den schlechtesten Teil des Weges nicht erst morgen zusammen mit der längeren Wanderung zurück nach Manantenina absolvieren zu müssen. Primo, der kleine Koch mit dem schiefen, aber sehr herzlichen Grinsen, und Coco als local guide kommen mit ihm.
Am Nachmittag nehmen Markus und ich uns noch das ein oder andere Tier vor – hier ein Uroplatus fivehy, da noch eine Schlange, hier ein Käfer, da ein Tausendfüßler. Ein dickes Pantherchamäleon-Weibchen gräbt mitten im Camp ein Loch in den Boden, um ihre Eier abzulegen. Marojejy hat einfach so viele Tiere, dass man kaum dazu kommt, auch alle wirklich abzulichten. Wir lassen es etwas langsamer angehen – zum einen, weil heute der letzte Tag ist und wir fast schon etwas fotomüde sind, zum anderen, weil das Wetter nichts anderes mehr zulässt.
Der Himmel ist wolkenverhangen. Den ganzen Tag hat es immer wieder genieselt, mal ein paar dickere Tropfen geregnet, dann war es wieder trocken. Die Fotoausrüstung wandert raus aus dem Fotorucksack, wieder hinein, wieder heraus, wieder hinein… nachdem ich die Softboxen zum gefühlt fünfzigsten Mal zusammengefaltet habe, reicht es mir. Ich stapfe zurück zur Gemeinschaftshütte, öffne ein THB und sitze mit hervorragendem Ausblick auf der Bank. Einfach so. Und mache nichts. Der Ausblick ist kurz getrübt, als es in der Küche raucht, als wäre ein Feuer ausgebrochen. Eine Rauchwand zieht einige Minuten von der Küchenhütte herüber, dass man kaum etwas anderes sieht. Aber das Problem ist offenbar schnell behoben und die Rauchschwaden verziehen sich.
Am Abend verteilen wir das übrige THB unter allen, gemeinsam wird angestoßen. Die Tage hier oben waren mehr als erfolgreich. Wir haben viel mehr gesehen, als wir uns erhofft hatten, und das Wetter hat bis auf das große Gewitter zu Anfang gut mitgespielt. Kekse und Chips machen die Runde. Eine tiefe Zufriedenheit macht sich breit.