Heute geht es weiter nach Ankarana. Kurz nach Sonnenaufgang steht alles Gepäck schon auf der Lichtung. Ich steige nochmal auf den Laterithügel – diesmal nicht fürs Freilichtklo, sondern um ein paar Aufnahmen im Sonnenaufgang zu machen. Und die Ruhe zu genießen. Die Sonnenstrahlen werfen tolle Farben auf ein paar wenige Wölkchen. In der Ferne liegt eine rotschwarz schimmernde Gebirgskette in der Sonne, davor liegt alles noch im Schatten. Eine kleine Phisalixella variabilis, eine wunderschöne kleine Schlange mit gelb-orangenen Farben, schlängelt sich über die weiß-grauen Äste eines Baumes am Waldrand. Sie ist zierlich, aber auch sehr flink und wendig. Den vorderen Teil ihres Körpers kann sie erstaunlich weit strecken, um den nächsten Ast zu erreichen.
Zum Frühstück gibt es Crêpes, Maka soaka (eine Art madagassische arme Ritter) und Rührei. Die Sonne brennt schon ganz ordentlich vom strahlend blauen Himmel. Mitten in der Sonne stehen die vier Landcruiser und warten darauf, gepackt zu werden. Gris und Mika breiten die Planen aus, in die das Gepäck auf dem Dach eingeschlagen wird. Andry, Christian, Mamy, Nany, Fitah und José packen Zelte zusammen, verladen Küchtenutensilien und Krimskrams. Und dann dauert es. Allein der Abbau der Küche nimmt fast zwei Stunden in Anspruch. Hier passt eine Tasche nicht, dort muss ein Reissack doch wieder vom einen herunter und aufs andere Auto herauf, da sollen lieber die Zelte aufgeladen werden… Mika lädt Reissäcke auf sein Auto. Erst sieht das ziemlich gut aus, bis der letzte Reissack hinten aufgeladen wird. Im gleichen Moment purzelt vorne eine Tasche über die Windschutzscheibe nach unten. War er eben noch sehr stolz auf seine Packkünste, ist er danach etwas kleinlauter. Mamy reicht ihm das herunter gefallene Gepäck grinsend wieder nach oben.
Letztlich sind gegen Neun dann doch alle Landcruiser fertig gepackt. Es kann losgehen! Eher kurz fällt der Abschied von den beiden local guides aus. Sie haben sich eher so lala bemüht und das ist am Trinkgeld deutlich zu merken. Im Kofferraum sitzen diesmal drei Leute, die wir mit zurück ins Dorf an der Straße nehmen. Die Familie des Campwächters sind übrigens die einzigen Menschen, die momentan in Camp Tattersalli wohnen. Ringsherum wohnt sonst niemand.
Mika fährt wieder vor. Er folgt dem Gras bewachsenen Pfad aus dem Wald heraus auf eine Ebene aus Laterit, die volle riesiger, runder Steine ist. Tatsächlich ist der Weg tagsüber sogar fast zu erkennen: Man fährt da, wo am wenigsten Steine liegen. Es ist trotzdem eine ziemliche Rumpelpartie. Von hier aus kann man weit in die Ferne blicken, genau wie im Camp Tattersalli. In dunkelblauem Dunst liegen weit entfernt einige Berge, davor liegt eine weite, hügelige, grüne Landschaft, von roten Lateritsäumen durchzogen. Bienenfresser fliegen zwischen den Bäumen umher. Kleine, rote Fodys begleiten den Landcruiser immer wieder ein Stück. Schließlich erreichen wir einige Bäume, dahinter gut kopfhohes Gras, das lediglich in einer schmalen Fahrspur von unseren eigenen Autos schon plattgedrückt wurde, als wir herkamen. Äste schlagen gegen die Autotüren.
Der steile Abhang in das Sandbett des niedrigen Flusses hinein ist tagsüber übrigens weniger schlimm als nachts im Dunkeln. Steil ist er allerdings trotzdem und ich überlege ernsthaft, dass es vielleicht gar nicht die klügste Idee ist, diese Strecke überhaupt im Dunkeln zu fahren… Als wir das Dorf erreichen, müssen wir auf Nany, Gris und Mamy warten. Die drei fahren deutlich langsamer als Mika, er hat sie also wie gewohnt abgehängt. Unsere drei Mitfahrer verabschieden sich und wünschen für die weitere Reise alles Gute.
Wir sind zurück auf der RN5a. Die ehemals schlammige, kaum durchdringbare Piste ist auch im weiteren Verlauf bis Ambilobe gerade im Bau. Der befestigte Schotter ist staubig und teils sehr rumpelig, aber insgesamt erstaunlich gut und schnell befahrbar. Von der ehemaligen Schlammpiste ist nichts mehr zu erahnen. Nur ein paar wenige Abschnitte zwischen Daraina und Ambilobe sind bereits asphaltiert. Irgendwo stoppen wir, um eine wehende Plane wieder auf dem Autodach zu befestigen.
An einer anderen Stelle hält Mika an, steigt aus und begutachtet den sehr frisch aussehenden Asphalt, ob er wirklich schon befahrbar ist. Denn auf Schilder kann man hier eher nicht vertrauen – es gibt einfach keine. Wir passieren unzählige Baustellen mit noch mehr LKWs, Walzen und schwerem Gerät. Um nicht zu sagen, wir fahren einfach mitten hindurch. An zwei Stellen wird von Hand Beton angemischt, um die Gräben zu befestigen. Woanders kehren Frauen in Warnwesten die staubige Straße, eine fegt mit zusammengebundenen Ästen als eine Art Besen. Es ist nicht viel los am Straßenrand, wir begegnen kaum einer Menschenseele. Ein paar wild gewordene Geländewagen überholen uns, wir dafür diverse LKW. Merke: Immer schön das Fenster schließen, wenn ein anderes Auto in der Nähe ist, sonst legt sich der feine, rote Staub sofort auf Kameras, Hände und Klamotten.
Inzwischen nimmt die Hitze enorm zu. Mika hat die Klimaanlage angeschaltet. Es hat 29,1°C im Auto und ist fast kühl im Vergleich zu draußen. Trotzdem läuft der Schweiß schon wieder. Wir erreichen Betsiaka, eine Kleinstadt mitten im Nirgendwo. Plötzlich herrscht reges Treiben auf der Straße. Unendlich viele Menschen in bunter Kleidung sind unterwegs, zu Fuß, auf Fahrrädern oder in gelben Tuktuks. Offenbar ist heute Markttag. Menschen tragen Tüten und Reissäcke in Händen oder auf dem Kopf, Wannen voller Obst und Gemüse wandern am Straßenrand entlang. Die Landcruiser schieben sich im Schritttempo durch die Menschenmengen.
Eine Eisenbrücke überspannt ein breites Flussbett, das jedoch weitestgehend ausgetrocknet scheint. Nur in der Mitte fließt noch Wasser. Ein erster Vorbote der Trockenzeit. An einer Kreuzung biegen wir nach rechts ab – und stehen plötzlich an einer Tankstelle nördlich von Ambilobe. Huch, das ging aber schnell! Gegenüber liegen kleine Wellblechhütten, die vorbeifahrenden Taxibrousse Getränke, Mittagessen und verschiedenste Snacks anbieten. Mehrere voll beladene Taxibrousse parken davor, einem davon fehlt die halbe Front.
Die Landschaft hinter Ambilobe ist weit weniger buschig und grün. Eher karge, flache Savannenlandschaft breitet sich zu beiden Seiten der Straße aus. Die Straße nach Ankarana ist ebenfalls schon geschottert, aber nicht asphaltiert. Besser als 2020 ist sie aber allemal. Vor dem Anstieg der Straße, der nach Mahamasina führt, liegt ein weiterer, riesiger, neuer Steinbruch. Wir folgen den Kurven nach oben und der Straße weiter bis ins Dorf. Gerade einmal vier Stunden haben wir einschließlich Baustellen- und Tank-Pausen von Loky Manambato bis nach Ankarana benötigt. Vor ein paar Jahren wären diese 140 km mindestens eine Tagesreise gewesen. Ich bin froh, dass die Straße gerade dieses Jahr erneuert wird.
Laurent begrüßt uns, als wir gerade unter dem großen Mangobaum ankommen. Jocelyn ist ebenfalls schon da. Wir beziehen die größeren Bungalows in der zweiten Reihe. Dicke Geckos sitzen an der Wand, als Tanala die Tür aufschließt. Tanala und ich haben ein wirklich großes Bungalow, es stehen zwei Einzel- und ein Doppelbett darin. Toilette und Dusche sind sauber und in abgetrennten Räumchen an der Rückseite des Bungalows. Meine allererste Tat ist es, duschen zu gehen. Denn duschen war in Camp Tattersalli eher… nicht. In frischen Klamotten fühlt man sich direkt besser!
Eine recht faszinierende Entdeckung gibt es dann noch bei der Besichtigung der Toilette. Irgendjemand kam auf die Idee, dass die Klobrille zu klein ist für die Kloschüssel. Und deshalb wurde mit einer Säge einfach ein größerer Ausschnitt hineingesägt. Die scharf ausgesägten Kanten hat aber niemand entgratet oder geschliffen. Madagassisches Handwerk, wie es leibt und lebt. Vielleicht war es auch gar keine Klobrile, sondern etwas ganz anderes. Jedenfalls ist die „Klobrille“ jetzt so scharfkantig, dass man sie vor Nutzung der Toilette besser entfernen sollte. Ansonsten gesellen sich zu den Mückenstichen unangenehme Schnittspuren an noch unangenehmeren Stellen.
Danach tapere ich über den Trampelpfad in der Wiese in Richtung Straße, zum überdachten Restaurant, das wie die Bungalows ebenfalls Laurent gehört. Die anderen haben bereits Tische und Stühle zu einer langen Tafel zusammengeschoben. Noch genau ein kaltes THB gibt es, was mittels Gläsern – auch eher selten – geteilt wird. Die Luft steht, es ist unglaublich warm. Der Schweiß läuft auch vom Nichtstun. Prinzessin Valium arbeitet immer noch hier, ist aber erstaunlich fix zugange. Sie kann allerdings auch nichts dafür, dass die Getränkevorräte schnell weggetrunken sind. Und dass das Essen hier immer lange dauert.
Ich schaue in der Umgebung ein wenig herum. Am Zaun gegenüber, am Park Office, sitzen große, knallgrüne Phelsuma grandis. In einem Baum gegenüber des Restaurants sitzt ein Pantherchamäleon. Der beige-weiße Hund, den ich vor ein paar Jahren wegen einer riesigen, eiternden Wunde am Kopf behandelt hatte, ist wieder da, was mich sehr freut. Den Hund offenbar auch, denn Vazaha bedeuten meist, dass etwas Essen abfällt. Nach einer längeren Wartezeit gibt es Huhn mit Kokos und Reis. Der Preis ist stattlich, ganze 30.000 Ariary verlangt Laurent inzwischen. Das wird noch ein Gespräch wert sein.
Am Nachmittag brechen wir zu einem Kurzbesuch in der Ankarana Lodge auf. Sie liegt nur wenige Kilometer von hier. Zuerst biegen wir allerdings erstmal falsch ab, zwischen zwei Betonschildern auf einen überwucherten Trampelpfad statt am Wegweiser fünfzig Meter weiter vorne. Der eigentliche Weg zur Lodge ist gut ausgebaut. Wir parken am Rande eines gepflasterten Weges. Rechts des Weges liegen an einem Hang große, steinerne Bungalows. Links führt ein anderer gepflasterter Weg an einer Ravenala vorbei zu einer großen Terrasse mit Pool und einer Bar. Schick ist es hier.
Jorg, der Besitzer der Lodge, ist Deutscher und kommt, von einer Angestellten gerufen, kurz dazu. Frank kennt ihn schon länger. Jorg spricht, als würde er schon sehr, sehr lange mehrheitlich auf Französisch kommunizieren. An fast jeden Satz hängt er das typisch französische „hein?“ Jorg hat leider gerade keinen Guide frei, um uns einen kurzen Ausflug zu den Phelsuma roesleri zu ermöglichen. Zur Lodge gehören Tsingys, die nicht Teil des Nationalparks, sondern Privatgelände sind. Rundwege führen hindurch. Die Tierwelt ist allerdings die gleiche wie in Ankarana. Und Frank sagt, dass man hier besonders gut Roeslers Taggecko finden kann, der noch auf Markus Liste steht. Schon länger übrigens.
Anscheinend sind die Wege post Corona wohl teils zugewuchert, was die Orientierung hindert. Und ohne Guide kommt man dann womöglich nicht zurück. Und die Filmcrew einer Straßenbaufirma ist gerade unangemeldet aufgetaucht – die Drohnen wollen auch nicht gestört werden. Schade. So trinken wir ein kühles THB oder eine kühle Cola und verabschieden uns dann wieder.
Als die Sonne untergeht, finden sich alle wieder im Restaurant ein. Es wird gequatscht, getrunken, dazu gibt es leckere Brochettes und Reis. Beim Zahlen des Abendessen erzählt Laurent, dass er momentan Lebensmittel mit dem R4-Taxi aus Ambilobe holen muss. Aha. Interesant. Jocelyn kommt kurz vorbei und fragt, ob noch jemand zur Nachtwanderung mitkommen will. So sechs bis zehn Kilometer plant er. Hui, bei der Hitze und den Millionen Stechmücken? Och… vielleicht morgen was kürzeres. Ich gehe früh schlafen. Die Luft steht noch immer. Im Bungalow reißen Tanala und ich alle Fenster auf, aber mangels Wind bringt das wenig Erleichterung. Wohl aber neue Stechmücken, denn die Moskitonetze an den Fenstern sind mehr Loch als Netz. Die über den Betten sind aber in Ordnung und intakt. Ich verteile Fenistil auf Armen und Bäumen – und allen anderen zerstochenen Körperteilen.