Ich habe perfekt geschlafen. Nachts habe ich mehrfach schnüffelnde Geräusche um das Zelt gehört, mir aber dabei nichts gedacht. Vielleicht hat der Wächter einen Hund, den ich nur noch nicht gesehen habe. Tatsächlich ist es kein Hund gewesen. Morgens erfahre ich, dass eine Fossa im Camp unterwegs war und die Küche besucht hat. Es gab aber wohl nichts Fleischiges abzustauben. Stinkige Schuhe, die Fossas dem Hörengesagen nach sehr gerne mögen, stehen auch nicht draußen herum. Nicht, dass es keine stinkigen Schuhe gäbe. Aber die wurden in weiser Voraussicht über Nacht in die Zelte gestellt – zumindest bei mir. Gerüchteweise hat heute morgen jemand seine Schuhe woanders wiedergefunden.
Schon der Morgen geht weiter, wie der Vortag aufgehört hat: Mit sehr vielen Chamäleons. Der Nebel, der in der Frühe noch über dem Regenwald liegt, verzieht sich schnell. Die Sonne scheint warm vom wolkenlosen blauen Himmel und lockt die Tiere zum Aufwärmen an exponierte Plätze. Christian findet direkt auf dem Campground neben zwei steinernen Bänken und einem Tisch ein Calumma amber-Weibchen, das über die Störung nicht sehr erfreut ist. Wenig davon entfernt sitzt noch ein Jungtier der gleichen Art, das jedoch knallgrün statt weiß-grau-grün marmoriert ist.
Heute Nacht hat es scheinbar gestürmt und gewittert. Angeluc und Angelin sind besorgt wegen des rutschigen Weges zur Grande Cascade und raten davon ab, diese heute zu besichtigen. Es sind wohl einzelne Bäume umgefallen, die den Weg versperren. Mir macht das gar nichts aus – zum einen habe ich den großen Wasserfall schon gesehen, zum anderen gibt es bereits rund um den großen Campground genug Chamäleons zu sehen. So wird der Tag ein Fotografie- und Entspannungstag mitten im Regenwald. Ich setze mich auf die grüne Wiese inmitten des Regenwaldes, und genieße die frische Luft und die Natur. Einige der Urwaldriesen um mich herum ächzen unter der Last der riesigen Nestfarne, die sie tragen. Kein Wunder, dass bei Sturm da ab und zu mal einer umfällt.
Angelin und Angeluc haben noch so einige Asse im Ärmel, auch wenn wir uns nur in einem relativ kleinen Umkreis um den Campground auf dem Hauptweg und ein gutes Stück in Richtung Ambohitra bewegen. Zwei Furcifer petteri nahe des Parkeingangs gehören zu diesen Highlights, ein Weibchen und ein Männchen. Das Männchen ist grün und hat zwei große Nasenfortsätze. Das Weibchen fasziniert mich ganz besonders: Es ist zitronengelb mit leichter grüner Streifung, hat ein rotes Helmchen und hellblaue Augen. Es sieht aus, als hätte die Natur bei ihr besonders tief in den Farbeimer gegriffen. Und die kleine, runde Zitrone ist sehr aufgeregt – eilig rennt sie den ihr angebotenen Ast hoch und runter. An einer anderen Stelle gibt es ein männliches Calumma ambreense zu bewundern. Die sanften Riesen des Montagne d’Ambre ähneln den Parsons Chamäleons, sind aber etwas kleiner und haben kürzere Nasenfortsätze. Das junge Männchen, was Angelin uns zeigt, scheint ein Problem mit seiner Zunge zu haben: Er kann nur relativ kurz schießen. Eigentlich ein Wunder, dass er überhaupt so groß geworden ist. Scheinbar weiß er mit seiner kleinen „Behinderung“ gut umzugehen.
Auch was die Blattschwanzgeckos angeht, habe ich hier noch lange nicht alles gesehen. Angeluc zeigt mir einen kleinen Uroplatus alluaudi, der erst vor zwei Jahren neu beschrieben wurde. Während wir fotografieren, kümmert sich der Wächter des Campgrounds gerade um die Mülleimer und mäht mit der Sense den Rasen am Rand zum Wald. Sein kleiner Sohn, ein kleiner Junge mit blauer Basecap und schief sitzendem, schmutzigen Achselshirt, läuft auf dem Campground herum und beobachtet uns schüchtern. Ich zeige ihm vorsichtig das hübsche Furcifer petteri-Weibchen, und seine großen Augen staunen nicht schlecht. Tanala beugt sich zu ihm runter und sagt irgendetwas auf Madagassisch. Der kleine Junge lächelt schüchtern.
Mittags liege ich lang auf einer der Holzbänke und mache einfach gar nichts. Ich schaue einfach nur in den blauen Himmel, während die Vögel zwitschern und der Wind leise durch die Blätter des Regenwalds rauscht. Als ich am Nachmittag wieder aufstehe, bereiten Naina und Eric bereits dass Abendessen vor. Naina wäscht gerade die Kochutensilien im kristallklaren Wasser des Berges aus. Ein Ringelschwanzmungo hat sich angeschlichen, und schaut, ob irgendwo ein bisschen Huhn abfällt. Der kleine Herr steckt seine Nase sogar in die am Baum hängenden Mülleimer und ist überhaupt nicht scheu. Ich taufe ihn „Gustl“. Schließlich taucht er sogar in einen Abfluss ab, weil es dort so gut nach den ausgewaschenen Hühnchen-Kochtöpfen riecht. Naina wirft ihm irgendwann doch aus Mitleid einen Fleischfitzel zu. Mit dem macht Gustl sich schneller als man schauen kann aus dem Staub.
In der Hecke zum Parkplatz gibt es übrigens auch Tiere: Ich wäre fast daran vorbeigelaufen, aber da sitzt tatsächlich ein Uroplatus henkeli mitten in den Sträuchern.
Als es dunkel wird, wird die Tiersuche auch für mich leichter. Chamäleons färben sich im Schlaf sehr hell, und leuchten dann als helle Punkte aus Bäumen und Büschen heraus, wenn man mit der Stirnlampe darüber leuchtet. So kann ich zumindest noch das ein oder andere „Blaunasentier“, Calumma linotum, entdecken. Mit einem grandiosen Abendessen geht der Tag zu Ende. Lange noch starre ich in den wunderschönen Sternenhimmel des Montagne d’Ambre, bevor es mich zum Zelt zieht. Hier möchte ich unbedingt wieder herkommen.