Der Tag beginnt mit einem kleinen Frühstück. Im offenen Restaurant gibt es Baguette, Honig und Rührei. Dazu bekommt man ein Glas voll dicklicher, weiß-grünlicher Flüssigkeit. Soll Curasol sein oder sowas. Schmecken tut es, als habe man irgendeine Pflanze mit Wasser verrührt, nicht so mein Ding. Ich trinke es mal mutig trotzdem aus, irgendwer behauptet, es würde vor Krebs schützen. Jedem Krebs. Na, wenn das mal die böse Pharmaindustrie erfährt! 😉
Etwas später starten wir mit den Geländewagen ins nahe gelegene Dorf. Einfach die Straße runter und dann links, dann stehen wir auf einem staubigen Platz, umgeben von Holzhütten und einer Menge Müll auf dem Boden. Wir sind direkt am Hafen von Ankify. Unsere beiden Motorboote – mit Sonnendach übrigens – liegen schon am Ufer. Über eine kleine Geröll- und Müllhalde klettern wir an Bord. Intelligenterweise such ich mir den Platz ganz vorne aus – und schon nach wenigen Minuten Bootsfahrt merke ich, dass das die dümmste Idee der ganzen Reise war. Die Wellen sind zwar nicht sonderlich hoch, aber dank des Tempos fliegt das Boot alle paar Meter regelrecht aus dem Wasser (zumindest mit dem Bug), um dann krachend wieder auf das betonharte Meer aufzuprallen. Nichts für Leute, die Bandscheibenprobleme haben. Manche Menschen auf der anderen Seite der vordersten Bank haben auch… sehr männliche Probleme, denn da schlagen ja noch andere Körperteile auf bei der Hüpferei. Das Ganze geht fast eine Stunde so und mir tut jeder Knochen weh. Wenn man sich mit aller Kraft auf die Bank drückt und beim Hochfliegen des Bootes hochstemmt, kann man zumindest den Aufprall etwas dämpfen. Verursacht dafür grandios Muskelkater. Irgendwann sehen wir Nosy Faly direkt vor uns liegen. Wir fahren einen Bogen auf ein kleines Dorf zu, Mahabo. Da gerade die Ebbe kommt, ist das sandige Ufer recht steil. Kaum vom Boot ins knöcheltiefe Wasser gesprungen, fällt bereits der viele Müll rund ums Dorf auf. Und Hühner gibt es viele. Und Kinder. Außerdem stinkt es bestialisch nach gammeligem Fisch, der auf meterlangen Holzbänken Stück an Stück zum Trocknen ausgebreitet ist. Wir laufen quer durch die Hütten auf dem Weg zu Robbys Hütte. Ein paar Mal nachfragen bei einem kleinen Jungen und den Nachbarn bestätigen uns, dass Robby sogar da sein soll.
Dann stehen wir vor der Hütte. Eine Holzhütte mit Blätterdach, die Tür fest verschlossen, Fenster gibt es keines. Etwa zwanzig Meter dahinter beginnt der steile Strand. Tanala klopft und ruft nach Robby. Keine Reaktion. Gerade, als wir überlegen, ob wir die Nachbarn wohl falsch verstanden habe und Robby doch zum Fischen rausgefahren ist, öffnet sich die Tür und ein verschlafener, braun gebrannter Robby steht darin. Er fährt sich mit der Hand durchs Gesicht, blinzelt in die Sonne – und entdeckt die ganze Gruppe, die vor seiner Hütte steht. „Ach du Scheiße…“ Dann folgt erstmal eine sicher zehnminütige Umarmung mit Tanala. Martin begrüßt Robby mit Handschlag, von irgendeiner Börse kennen sie sich wohl noch. Auch an mich erinnert sich Robby noch duster. Ob er Zeit hat, uns zu begleiten? Klar hat er die.
Wir gehen geradeaus an seiner Hütte, vorbei an den trocknenden Fischen in Richtung andere Seite der Insel. Ein schmaler Fußpfad verläuft an Wiesen und Gebüschen vorbei zwischen einige Bäume, wo wir anhalten und zum Chamäleon suchen ausschwärmen. Leider erfahren wir von Robby, dass es in den letzten Monaten so gut wie nicht geregnet hat auf Nosy Faly. Der Boden ist so steinhart, dass kein Chamäleon-Weibchen hier in der Lage sein dürfte, Eier zu vergraben. Ich bekomme ihn selbst mit Mühe mit meinen Fingern allein kaum gelockert. Robby wiegt mindestens 20 kg weniger als damals, als ich ihn in Deutschland das letzte Mal gesehen habe. Seine Schlüsselbeine stechen hervor, die Beine haben jede Menge Narben von schlecht verheilenden Wunden, die Füße sind ziemlich gelöchert. Robby erzählt, dass vor knapp einer Woche noch Thomas und Yvonne bei ihm waren. Sie hatten ihm einen Laptop, Kamera, Handy und andere Kleinigkeiten da gelassen und sogar ein Boot gekauft. Leider hielt der kurze „Reichtum“ gerade mal zwei Tage, dann nahm Robbys madagassische Ex-Freundin alles mit und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Da hat er sich wohl die Falsche ausgesucht. Übrig geblieben ist Robbys Kamera und ein Feuerzeug, alles Übrige hat die nette Dame mit zu ihren Kindern genommen. Vermutlich war die Versuchung einfach zu groß.
Wir gelangen irgendwann zu einem Platz mit einem tiefen Brunnen, aus dem eine jüngere Frau mit einem alten Eimer Wasser raufzieht. In den Bäumen und Büschen um den kleinen Waschplatz finden wir einige Pantherchamäleon-Männchen, prächtige blau-weiß-türkis gefärbte Tiere. Wunderschön! Ich komme nur wenig zum Fotografieren, aber diese kleinen Farbwunder sind in echt sowieso nicht zu übertreffen. Heidi findet am hinteren Ende des Platzes eine kleine Schlange, die sie Dimby – der natürlich auch längst seine Kamera ausgepackt hat – geduldig zum Fotografieren in Position hält. Nach dieser Pause führt der Weg hinaus aus den Bäumen auf einen sandigen, nassen Pfad, ein Mangrovengebiet, von Palmen gesäumt. Wir sind wieder nah am Meer.
Kurz vor Abschluss unseres Ausflugs erreichen wir ein kleines Dorf aus wenigen Hütten. Vor einigen Eingängen weht bunte Wäsche auf Leinen sanft im Wind. Vor dem Dorf in einem kleinen Baumbestand zeigt Robby uns Kinixys zombensis, Schildkröten. Relativ viele Tiere befinden sich in wenigen Quadratmetern Umkreis und tatsächlich wurden sie wohl nicht von Einheimischen zusammengetragen, sondern sind immer hier zu finden. Wir machen Fotos und Dimby zeigt uns eine Brotfrucht, ein stacheliges, großes, neongrünes Ding. Wie sie schmeckt, erfahre ich leider heute nicht mehr. Am Strand warten schon die Boote auf uns. Auf dieser Seite der Insel ist der Strand fast weiß, fein und kaum verschmutzt. Je näher man den Hütten kommt, desto dreckiger wird es auch. Robby verdrückt ein zweites Zebu-Sandwich und fragt, ob wir ihn bis zu seinem Dorf mitnehmen können. Klar können wir. Langsam fährt das Boot um die Insel herum. Schließlich gelangen wir wieder an den Ausgangspunkt unserer kleinen Wanderung auf Nosy Faly. Zwei lange Umarmungen, dann springt Robby vom Boot und landet mit einem lauten Jubelschrei wieder auf dem Sand von Nosy Faly. Er winkt, wir winken. Das Boot dreht ab und fährt wieder Richtung Meer, zurück nach Ankify. Es war eine sehr beeindruckende und tief gehende Begegnung auf Nosy Faly, die mir den ganzen übrigen Tag nachhängt. Ich bin sehr nachdenklich. Das Leben dort, die Armut, der Zustand der Insel an vielen Stellen, die fehlende Generation Chamäleons dieses Jahr, Robbys Situation… alles schwirrt mit durch den Kopf. Das Boot setzt uns direkt am Strand der Lodge ab. Ich hole THB und sitze einige Zeit Gedanken versunken am Strand – mit von Armin und Heidi selbst mühevoll geknackten Kokosnüssen.
Robby hat viel erzählt. Im Sommer hat er beim Fischen schon Wale gesehen, auch Delfine halten sich oft vor der Küste auf. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit der Fischerei. 400 Ariary benötigt er am Tag für seine tägliche Portion Reis. Das mag für uns sehr wenig erscheinen, doch auf Nosy Faly muss es erst einmal verdient werden – und viele Möglichkeiten dazu gibt es nicht. Wir sind zu einer günstigen Jahreszeit hier. Im Winter hat es nur (!) 20 bis 25°C. Während der Regenzeit ist es wohl mit über 35°C und 100% Luftfeuchtigkeit teilweise unaushaltbar auf der Insel. Robby musste sich auch erst daran gewöhnen, jetzt aber sagt er, er sei sehr glücklich hier. Kein Stress, keine Malaria (das halte ich für ein Gerücht). Bisher ist er relativ gesund, nur Zahnschmerzen hat er ab und zu – und sich auch schon einen schmerzenden Zahn selbst gezogen. Medikamente jedoch sind Mangelware auf Nosy Faly – und rezeptpflichtige, starke Schmerzmittel natürlich sowieso. So hat das Leben im „Paradies“ doch seine Schattenseiten.