Es ist wie immer früh am Morgen, als ich den Reißverschluss meines Zeltes öffne. Draußen sind schon einige unterwegs, denn die Coquerel-Sifakas sind wieder in den Bäumen über dem Campground. Die weiß-braunen Lemuren springen hierhin und dorthin. Scheinbar suchen sie gerade nach einer guten Futterstelle. Ich tue es ihnen gleich und begebe mich zum Frühstück. Eric und Andry haben wieder Crêpes gezaubert und dazu gibt es sogar heiße Schokolade. Heute geht es zur berüchtigten Ambalabongo-Schlucht, da muss man sich vorher gut stärken.
Irgendwann laufen wir los. Die Gruppen haben sich ein wenig geändert, weil nicht alle mit zur Schlucht wollten. Ndrema führt uns hinter dem Toilettenhaus einen breiten Weg in den Trockenwald hinein. Der Weg ist relativ flach, und es läuft sich ziemlich einfach. Heute ist etwas weniger Zeit zum Tiere suchen, da wir eine längere Strecke zurücklegen müssen – und es günstig wäre, nicht Punkt Zwölf in der Schlucht zu sein. Also marschieren wir in Ruhe vor uns hin. Unterwegs begegnen uns in drei verschiedenen Baumhöhlen kleine Edwards-Wieselmakis. Sie schlafen tagsüber mehrheitlich, weshalb sie nur aus ihren Höhlen herauslugen. Auf der leichten Ansteigung Richtung der Savanne vor der Schucht finden wir riesige Oplurus cuvieri in den Bäumen. Sie lassen uns recht nahe heran, und nicken sogar mit dem Kopf, als könnten sie die viel größeren Zweibeiner einschüchtern.
Steffie und Stefan halten Ausschau nach Taggeckos. Und plötzlich ruft Stefan laut „Da! Da ist doch einer!“. Tatsächlich hat er in mehreren Metern Höhe Phelsuma mutabilis erspäht. Der kleine Gecko ist jedoch sehr flink, und schneller verschwunden, als ich ein Foto machen kann. Später stellt sich heraus, dass es auch Phelsuma borai sein könnte – eine sehr selten fotografierte Art. Leider lässt sich das aber nicht mehr genau nachvollziehen.
Gegen elf Uhr erreichen wir die Savanne, und treffen auf Corinne und die zweite Gruppe. Ein paar Wölkchen sind am Himmel und es weht ein leichter Wind. Das Laufen wird nicht so anstrengend wie erwartet. Ich schwitze zwar – natürlich, aber insgesamt läuft es sich ganz angenehm. Wir folgen dem roten Lehmweg, bis wir die Schlucht von oben sehen können. Am Rand bröselt das Gestein bereits, man darf nicht zu nahe herangehen. Die Aussicht ist beeindruckend. Man kann über die tiefe Schlucht über den Trockenwald dahinter bis zu den kahlen Flächen am Rande des Nationalparks schauen. Das ist das, was die meisten Reisenden hier zu sehen bekommen. So gut wie niemand traut sich nach unten in die Schlucht hinein – wir schon. Dazu laufen wir zu einem kleinen Wäldchen, wo eine Hütte steht. Direkt daneben führt ein sehr schmaler Pfad steil in die Tiefe. Früher gab es hier mal eine aus Ästen und kleinen Pfählen angelegte Treppe. Der Zahn der Zeit hat jedoch die Äste morsch gemacht. Sie sind weggebrochen und nur ein paar fiese aus dem Sand hervor ragende Stumpen erinnern noch daran, dass hier überhaupt mal eine Treppe war. Vielleicht neun oder zehn Stufen existieren noch auf dem gesamten Weg von etwa zweihundert Meter. Eigentlich ist es nur noch eine Sandpiste, und an einigen Stellen ziemlich steil. Ich halte mich an Wurzeln und dünnen Bäumchen fest, und rutsche einen Teil des Sandes einfach auf dem Hintern herunter.
Dann stehe ich endlich unten. Wow. Was beeindruckende Farben! Aber es kommt noch besser. Wir laufen in die Schlucht hinein. Die Luft hier unten ist drückend, es ist unglaublich heiß und die Sonne brennt mir auf den Kopf. Die ersten hundert Meter gibt es keinen Milimeter Schatten in der brennend heißen Schlucht. Die letzten Meter bis zu einer knallgelb-orangefarbenen Felswand laufe ich nicht mehr so ganz anwesend. Puh, geschafft. Die Schlucht ist wirklich Wahnsinn. Die grellen Farben unter dem strahlend blauen Himmel sind wirklich ein Naturwunder. Aber die kleinen Kalkgebilde und Platten sind sehr fragil – tritt man zu feste auf oder tippt sie mit dem Finger gar an, brechen sie sofort ab. Wir sitzen gemeinsam im Schatten im Sand, und verschnaufen eine Weile. Wer möchte, macht Fotos. Ich bin sehr schnell nach einem Schluck Wasser wieder fit, und erkunde ein wenig die Schlucht. Sie ist wirklich unglaublich farbgewaltig. Hier sprechen die Fotos, denke ich, für sich.
Punkt 12 Uhr treten wir den Rückweg an. Die Sonne brennt jetzt gewaltig, und es ist in gerade Mal einer Stunde noch deutlich wärmer geworden. Nicht mehr lange, und es wird unaushaltbar in der Schlucht. Der Weg zu der kleinen Hütte wieder nach oben ist super anstrengend. Mir läuft schon auf den ersten zehn Metern der Schweiß in Strömen. Der Sand lässt einen immer wieder zurück rutschen. Man geht zwei Schritte nach oben, und rutscht mit dem Sand einen wieder zurück. Halt gibt es auch kaum und die Stellen, die ich auf dem Hinweg einfach runter gerutscht bin, krabbele ich jetzt auf allen Vieren nach oben. Die zweihundert Meter ziehen sich schier endlos. Endlich erreiche ich die Hütte, und muss erstmal eine Pause einlegen. Ich schütte mir einen Teil des Wassers einfach über den Kopf, den Rest trinke ich noch leer.
Dann geht es wieder durch die Savanne zurück zum Wald. Die Hitze steht über dem Boden, die Luft flirrt. Der leichte Wind hat abgenommen. Ich unterhalte mich während des Laufens mit Ndrema, was mich wunderbar vom Weg ablenkt. So kommen wir zügig und ohne Ausfälle zurück zum Wald. Rund 50 Meter davor überholt uns ein Gast und rennt zum Waldrand. Ihr war es schlecht geworden in der Hitze. Auf der Bank direkt am Waldrand machen wir alle eine Pause. Mir geht es eigentlich sehr gut, nur der Weg von der Schlucht nach oben war schlimm. Alles übrige fand ich gut machbar. Der breite Weg Richtung Campground ist eben und einfach zu laufen. Wir laufen zurück über einen kleinen Aussichtspunkt, von dem wir toll über den Nationalpark schauen können. Noch ist der Wald grün und lebendig. In wenigen Monaten werden die Blätter von den Bäumen gefallen sein, und der Trockenwald wird wieder gelb und licht werden.
Als wir wieder ins Camp zurückkehren, werden wir auch direkt von Eric und Andry zu den Tischen geleitet. Unsere Zauberköche haben natürlich alles vorbereitet, damit sie uns nach dem langen Ausflug gut versorgt wissen. Als ich in der Küche neugierig in die Töpfe luge, entdecke ich an der Decke einen riesigen Falter. Mika meint „Der ist tot.“ Ich hole den Falter vorsichtig mit einer Besenstange von der Decke. Er ist schmutzig, aber lebt noch. Seine Flügel sind zum Teil etwas ausgefranst. Vorsichtig säubere ich das schöne, große Tiere und setze es wieder ins Grüne. Unser letzter Abend in Ankarafantsika geht etwas früher zu Ende. Morgen brechen wir wieder auf. Ndrema und seine Kollegin Corinne haben gute Trinkgelder erhalten, und wir haben uns in einer kleinen Kabary bereits für die schönen Stunden in Ankarafantsika bedankt. Er bedankt sich ebenfalls und hofft, dass wir nächstes Jahr wiederkommen. Das werden wir!