Das letzte Frühstück im Hafen von Ankify bricht an. Bei Mama Be versammelt sich das übliche Grüppchen, um frittierte Bananen, scharf gewürzte, frisch gegrillte Fische und Reissuppe zu essen und auf wackeligen Hockern und Bänkchen im Schatten zu sitzen. Gut, Reissuppe essen nur die Madagassen. Die Bananen kosten heute ganze 200 Ariary das Stück. Es schmeckt wie immer grandios, und wer hier nicht für unter einen Euro satt wird, hat irgendwas falsch gemacht. Wir verabschieden uns herzlich von Mama Be, und laufen die Straße nach oben zu unseren Autos. Ein paar Gäste warten noch im Hotel und müssen abgeholt werden, dann geht es los.
Die kleine Auto-Karawane setzt sich in Richtung Ambanja in Bewegung. Bereits kurz hinter Ankify halten wir an einem Bambuswäldchen. Stefan und Steffi wollen hier nach Phelsuma klemmeri suchen, und ich bin sehr gespannt, ob wir die farbenfrohen Geckos entdecken werden. Ich schlendere gemütlich in Flip-Flops die Straße entlang und dann einen kiesigen, mit Gras bewachsenen Weg nach oben. In den Bambushain hinein gehe ich nicht, das ist mir mit den vielen abgebrochenen, messerscharfen Bambusstümpfen zu gefährlich. Der Bambushain ist klein, aber sehr hoch und dicht – wie soll man hier einen winzigen Gecko finden? Aber die beiden Phelsumenfreaks haben Glück: Steffi entdeckt tatsächlich Phelsuma klemmeri, allerdings wie schon auf dem Hinweg nicht auf einem Bambus, sondern auf einem stinknormalen Baum. Wenige Meter davon klettert gerade ein ausgewachsenes Pantherchamäleon-Männchen im niedrigen Gebüsch. Er versucht gerade, auf den Boden zu kommen, und läuft dann flugs über den Weg auf die andere Seite, um dort in einen Baum zu klettern. In den Bäumen lassen sich noch andere Taggeckos finden, darunter die hübschen Phelsuma seippi und ebenso hübsche Phelsuma grandis. So richtig viel los ist aber geckotechnisch nicht, das Wetter ist auch ungünstig. Dicke, graue Wolken bedecken den Himmel, es ist drückend schwül.
Gegenüber des Bambushains steht José im Gebüsch, als ich zurück in Richtung der Autos laufe. Er hat ein wunderhübsches weibliches Furcifer oustaleti entdeckt. Obwohl inzwischen alle regelrecht gesättigt von dieser häufigen Art sind, und ein Furcifer oustaleti sicher keinen mehr aus dem Auto lockt, bildet dieses Weibchen eine Ausnahme: Sie hat blau leuchtende Augenlider, und ist richtig hübsch. Direkt über den Autos haben sich derweil Bambuslemuren eingefunden, mit denen ich hier gar nicht gerechnet hätte. Nur ein paar Minuten huschen sie durch die hohen Bambussprossen, dann verschwinden sie genauso schnell, wie sie gekommen sind.
Schließlich eisen sich alle von dem kleinen Bambushain los. Wir fahren entlang grüner Landschaften Richtung Ambanja, die Kaffeplantagen rufen. Wir wollen zwar nicht die Plantagen selbst besichtigen, aber hier leben viele Pantherchamäleons mit toller, farbgewaltiger Färbung. Wir halten am Straßenrand zwischen riesigen Tamarinden und vielen kleineren, zum Ernten niedrig gestutzten Kaffeebäumen. Fahrradfahrer passieren uns, die ein oder andere Zebu-Charette rumpelt vorbei. Schon nach kurzer Suche werden wir fündig: Mika hat ein tolles Männchen entdeckt, Dimby ein weiteres, und José ein drittes. Ich finde immerhin ein winziges, rosa gefärbtes Jungtier.
Die Fahrt geht weiter. Vorbei an Reisfeldern, Ylang-Ylang-Plantagen mit den typischen knorrigen, fast „falschrum“ wachsenden niedrigen Bäumchen geht es bis zu einer Abzweigung, die uns Richtung Ambilobe führt. Zwei Ferkel überqueren irgendwo im Nirgendwo plötzlich die Straße. Die Landschaft ist grün, doch auf den Hügeln sieht man immer wieder kahle Stellen, wo die rote Erde Madagaskars hervorlugt. Alles hier ist Sekundärvegetation, wenn sie auch gerade sehr üppig aussieht. Unmengen Ravenalas säumen die Straße. Hier und da kommt uns ein klappriger Renault R4 entgegen. Hoch beladene Taxibrousse weichen den immer mehr werdenden Schlaglöchern aus. Auf einem türmen sich zehn Schaumstoffmatratzen hinter einem Haufen Fahrräder und Autoreifen. Wie der Fahrer den altersschwachen Bus überhaupt gelenkt bekommt, ist mir ein Rätsel. Aber auch Privatautos stehen der Beladung von Taxibrousses hier in Nichts nach: Ein Ford kommt uns mit einem ganzen Hausstand beladen entgegen. Als wir Beramanja passieren, klart der Himmel langsam auf. Die Wolken verziehen sich, die Sonne kommt hervor. Die Landschaft wird wieder etwas mehr savannenartig.
Irgendwann erspähe ich am Straßenrand ein verrostetes Schild, das nach Ambilobe weist. Was mich dieses Jahr hier wohl erwarten wird? Wenig dahinter begrüßt uns bereits das große, weiß-grüne Schild der Bank of Africa. Das betonierte Ortsschild der Stadt ist gar nicht mehr lesbar. Nicht weit hinter dem offiziellen Ortseingang von Ambilobe liegt unser Hotel, und schräg gegenüber das dazugehörige Restaurant Diana. In die Kernstadt Ambilobes müssen wir daher nicht. Es ist gerade erst früher Nachmittag, als die Landcruiser links auf den betonierten Hof des Restaurants einbiegen. Auf der Veranda werden bereits Tische zusammengeschoben, damit wir überdacht im Schatten, aber draußen sitzen können. Es ist inzwischen ordentlich heiß geworden. Eine Reihe Lkws steht gegenüber am Straßenrand.
Wir bestellen ein wenig Essen, das erstaunlich schnell da ist, und laufen dann rüber zum Hotel, während die Jungs das Gepäck mit den Autos hinfahren. Das Hotel liegt schräg gegenüber, ein Stück die Straße rauf und dann rechts zwischen weißen Betonmauern einen sandigen Weg entlang. Umgeben von weißen Steinmauern befinden sich kleine Bungalows rund um einen großen Hof. Links liegt allerlei Bauschutt und Gerümpel. Dazwischen befindet sich zu meinem Erstaunen bereits ein Stromgenerator – Ambilobe hat leider sehr oft Stromausfälle. Bevorzugt nachts, wenn Jirama einfach den Strom abschaltet. Der Stromgenerator ist wundersam mit einem Stück Blech vor Regen geschützt. Ich bin entzückt.
Tanala und ich bekommen das erste Zimmer links im Haus gegenüber der „Rezeption“ – einem schmalen, länglichen Raum, in dem sich eine Hotelangestellte aufhält. Wir haben eine Klimaanlage, juhu! Das Zimmer ist schlicht, aber in Ordnung. Ein hölzernes Bett steht an einer Wand, das Moskitonetz reicht immerhin bis kurz über die sehr dünne Matratze. Rechts führt eine offene Tür in ein längliches Bad mit einigermaßen funktionierender Dusche und Toilette. Wohlwissend steht aber auch schon ein Wassereimer mit Schöpfkelle herum, den wir direkt mal auffüllen. Man weiß nie in Ambilobe.
Wenig später tigern bereits alle zurück zum Restaurant. Man munkelt, bei mehr als zehn Leuten insgesamt kann es etwas dauern mit dem Essen. Und ja, es dauert. Geschlagene drei Stunden, während der ich mit THB und Cola am Tisch sitze, im Fieldguide blättere, Tagebuch schreibe und die Straße beobachte. Immerhin sind wir nicht im Noor-Hotel.
Am Abend haben wir dann noch eine Weile Spaß mit den Stromausfällen. Licht ist nämlich schon ganz nett, wenn man im Stockdusteren um 19 Uhr zu seinem Zimmer kommt. Tanala geht raus und spricht mit dem – inzwischen männlichen – Hotelangestellten, der gegenüber mit Zahnstocher im Mund und Kat in der Hand auf einem Holzstuhl lümmelt. „Strom ist da“, sagt der Typ mit schwarzen Kräusellocken und zu großem Hemd auf Malagasy. Tanala verneint. Doch, insistiert der Angestellte, Strom sei ganz bestimmt da. Also geht Tanala zurück zum Zimmer, und – oh Wunder – natürlich ist der Strom nicht von Zauberhand in den letzten fünf Minuten zurück gekommen. Tanala holt den Hotelangestellten, zeigt ihm den Lichtschalter, drückt erfolglos darauf herum. „Oh“, kommt von diesem, aber mehr resigniert als überrascht. „Es gibt keinen Strom.“ Nee, echt jetzt? Gut. Immerhin ist die Erkenntnis „kein Strom“ schon angekommen. Tanala fragt nach dem Stromgenerator. „Ja, gibt’s“, ist die trockene Antwort, während diverse Blätter Kat im Mund des Angestellten verschwinden. Dann starrt er erstmal in die Luft. Nach vielem Hin und Her stellt sich heraus, dass der Stromgenerator zwar direkt neben dem Haus steht, aber nicht angeschlossen ist. Irgendwoher organisiert der junge Mann schließlich ein langes Kabel, und bastelt es mit Hilfe zweier weiterer Personen, die einfach durch das offene Tor hereinspaziert kamen, an den Generator. Der Generator läuft trotzdem nicht. Der junge Herr, obwohl nicht die hellste Kerze auf der Torte, weiß auch relativ zügig, woran das liegt. „Kein Benzin!“, meint er schulterzuckend, und schickt sich an, wieder zu seinem Holzstuhl zurückzuschlurfen. Kein Benzin ist wohl Schicksal. Ist es nicht, beschließt Tanala. Nach einer nicht mehr ganz so freundlichen Diskussion auf Malagasy wandert der Hotelangestellte irgendwohin und der sehr bemühte, junge Besitzer des Hotels taucht auf. Er entschuldigt sich gefühlte hundert Mal und bringt einen Benzinkanister. Der ist zu meiner Freude sogar voll. Wuhu!
Wenige Minuten später – vielleicht waren es auch Stunden, ich bin mir nicht sicher – haben wir Strom. Das Zimmer ist hell erleuchtet. Die Klimaanlage läuft trotzdem nicht. Es ist brütend heiß, auf den weißen Steinwänden könnte man Spiegeleier braten. Draußen geht kein Lüftchen. Ich brate im eigenen Saft. Dazu kommt die Erkenntnis, dass die Idee mit dem Stromgenerator nur bedingt gut war: Der steht jetzt direkt an der Hauswand, also etwa 50 cm vom Kopfende des Bettes entfernt. Und er dröhnt noch lange. Es ist halt Ambilobe.
Ein Gedanke zu „Von Kakaoplantagen und Stromausfällen“