Irgendwann war der Stromgenerator gestern Abend endlich aus, und damit leider auch der Strom. Es wurde wieder heimelig warm – um nicht zu sagen kochend heiß – im Raum und der Schlaf hielt sich bei 32° eher in Grenzen. Als die Sonne aufgeht, stehe ich auf. Es ist unerträglich warm im Zimmer, und draußen zumindest zwei oder drei Grad kühler.
Gegen Sieben holen die Jungs uns mit den Landcruisern ab. Wir fahren auf der Hauptstraße und über eine Metallbrücke nach Ambilobe rein. In Ambilobe selbst parken alle Geländewägen gegenüber der Markthalle. Kleine Läden mit allem möglichen Krempel, von Seife über Alutöpfe und Schöpfkellen bis zu Schuhen, reihen sich eng an eng entlang der gegenüber liegenden Straßenseite.
Ich laufe zur Ecke der großen Markthalle, die gesperrt zu sein scheint. Der Stand direkt davor ist aber noch da, und er hat sich nicht verändert. Immer noch ist die steinerne Rückwand bemalt, und immer noch sitzen Madagassen auf der schmalen Bank direkt vor dem breiten „Tresen“ und frühstücken. Ich bestelle bei einem großen Mann mit Hakennase ein Baguette sauce, ein langes, dünnes Baguette mit Hackfleischsauce. Die Sauce wird aus einem riesigen Alutopf an der Rückwand geschöpft, und die Baguettes stapeln sich neben Brioches und anderen leckeren Sachen direkt vor mir. Ein kleiner Junge kommt mit seiner Mama neben mir an den Stand. Sie kauft ebenfalls ein Saucenbaguette. Mangels Tüten klappt sie das Brot einfach einmal um und steckt es dann – samt herunter laufender Sauce – einfach in den kleinen Rucksack ihres Sohns. Das wird bestimmt noch eine hübsche Überraschung in der Schule geben. Neben dem großen Baguette-Stapel direkt vor mir gibt es übrigens auch frittierte Bananen. Die frittierten Bananen. Sie sind göttlich. Eine junge Frau schöpft gerade neue, noch etwas Fett triefende Bananen im Teigmantel aus einem Topf mit Öl direkt auf das vor mir stehende Blechtablett. 100 Ariary kostet so eine Banane. Und von sieben Stück werde ich mehr als satt. Dazu gibt es eine Coka kely aus der blauen Isolierbox, in der statt Eiswürfeln schon jetzt nur noch kaltes Wasser steht.
Das geschäftige Treiben hier ist faszinierend. Eine Gruppe in Reih und Glied laufender Leute joggt im Laufschritt an mir vorbei, lauthals singend. Es ist wohl die Polizeistation von Ambilobe, die sich da gerade zu ihrer Morgenertüchtigung eingefunden hat. Ein Junge trägt Süßigkeiten auf einem Blech herum und bietet mir für 100 Ariary ein Stück an. Es sind Erdnüsse, mit Karamell zu klebrigen, süßen Riegeln geschmolzen. So eine Art madagassische Mr. Tom’s.
Nach dem ausgiebigen Frühstück auf den Straßen von Ambilobe laufe ich in Flip-Flops zu Dimbys Landcruiser zurück. Wir fahren raus aus Ambilobe, und biegen auf eine rötliche Lehm- und Sandpiste ein. Riesige Schlaglöcher zieren die Piste, Ziegen laufen am Wegesrand. Tiefe Pfützen haben sich in den Schlaglöchern gesammelt. Was mir schon auf den ersten Metern auffällt: Die Mangobäume sind weg. Soviele große Mangobäume haben hier 2013 zwischen den Reisfeldern gestanden. Aber es sind nur noch Stümpfe übrig. Neben den Stümpfen liegen Planen ausgebreitet, auf denen Reis getrocknet wird. Nur noch Reis. Überall Reis…
Das erste Pantherchamäleon, was wir hier finden, ist älter und hat eine etwas ramponierte Nase. Aber er wartet schon mit den für Ambilobe typischen bunten Farben auf, und leuchtet richtig in der Sonne. Überhaupt ist chamäleontechnisch heute wieder viel zu sehen. Und was für tolle Männchen! Sie wetteifern um die knalligsten Farben. Mir gefällt ein rot-orange gebändertes Männchen besonders gut, das wohl schon älter ist. Leider hat es Maulfäule, seine halbe Nase ist schon weggegammelt, und alte Verletzungen an Schwanz und Händen.
Nach und nach bewegen sich die Landcruiser immer einige hundert Meter weiter. Ich laufe inzwischen einen Teil zu Fuß, weil es sich so einfach leichter nach Chamäleons sucht. Wobei, so richtig suchen muss man gar nicht. Schließlich gibt es doch noch Mangobäume. Nur ein paar, aber es gibt sie noch. Auf den Reisfeldern neben der Straße arbeiten viele Menschen. In einem schlammig-braunem Feld werden gerade Setzlinge gepflanzt, und etwas weiter sortieren Frauen so etwas wie Unkraut aus einem anderem Reisfeld. Ein Mann treibt seine zwei Zebus über ein weiteres, um den Boden für eine neue Saison Reis vorzubereiten. Wo das Wasser hoch in den Reisfeldern steht, blühen Seerosen. Und wo die nicht blühen, stehen im Wasser andere kleine Blumen, deren Blüten ebenfalls lila sind. Ein kleines lila Blütenmeer. Der Kontrast der Farben zum knallblauen Himmel ist beeindruckend.
Ich suche Schatten unter einem knorrigen, dicken Baum. Der Schweiß läuft mal wieder in Strömen. Als ich mich zu einem Astloch drehe, entdecke ich zwei kugelrunde, weiße Eier darin. Nur wenig höher sitzen ein Taggecko und ein Blaesodactylus. Von der Eigröße tippe ich eher auf letzteren als Verursacher der Eier. Oder war es eher einer der vielen Schildechsen? Ich kann nicht wirklich darüber nachdenken. Inzwischen zeigt das Thermometer 34,3°C im Schatten und 46,2°C in der Sonne an.
Ziemlich in der Mitte zwischen Ambilobe und dem kleinen Dorf Sirama, das übrigens wegen einer Zuckerfabrik so heißt (Siramamy bedeutet Zucker), finde ich das schönste Pantherchamäleon. Oder jedenfalls finde ich es am schönsten: Es ist orangerot mit blau-weißen Bändern. Wo wir anhalten, finden sich relativ bald Kinder und Erwachsene ein, die einfach nur schauen wollen, was wir da so machen. Zeit haben die Menschen hier immer. Keiner hat es eilig, dahin zu kommen, wohin er eigentlich unterwegs ist.
Ich erinnere mich, dass wir noch einen Fußball im Auto haben. Hinter einer Reihe Bananenpalmen entdeckt Dimby zwei Fußballtore auf einer buckeligen Wiese. Die Tore sind aus je zwei Bambusstangen, die von einer Schnur überspannt werden, zusammen gebastelt. Wir halten an. Kinder sind nicht zu sehen. Aber das ist auf Madagaskar nur eine Frage der Zeit, Kinder gibt es hier ohne Ende. Ich packe den Fußball aus, und Gris, José, Dimby und Mika kicken den Ball ein bisschen durch’s Gras. Ein paar Jugendliche bleiben zaghaft am Rande des Spielfeldes stehen. Schließlich fällt der Ball, wie zufällig, einem der Jungen vor die Füße. Und dann geht es plötzlich los. Traut sich einer, trauen sich alle! Mehr und mehr Kinder kommen dazu. Auch Mädels sind dabei, und die spielen teils weitaus besser als die Jungs. Es wird gebolzt und gekickt, und die Kinder tauen auf. Am Ende überreicht Tanala den Ball als Geschenk an eines der älteren Mädchen.
Wir winken zum Abschied, und steigen wieder in die Landcruiser. Viel weiter kommen wir allerdings nicht. Neben einem großen Baum stecken zwei Lkws mitten auf der Lehmpiste fest. Sie bewegen sich keinen Zentimeter vor und zurück, und es ist weit und breit weder ein Fahrer noch sonst irgendjemand zu sehen, der sich um die Lkws kümmert. Hier ist kein Durchkommen. Die Jungs wenden die Autos, und gemütlich treten wir den Rückweg nach Ambilobe an.
Am Abend fahren wir nochmal nach Ambilobe. Die Autos halten vor einer Art Bretterwand, die sich als die Frontwand einer größeren Kneipe herausstellt. Tische werden zusammengerückt, kleine Hocker und Bierkisten dienen als Stühle. Ein paar Glühbirnen und merkwürdig blinkende LED-Beleuchtung erhellen den schummrigen, hallenartigen Raum. Um die Glühbirnen schwirren Hunderte von Mücken. Erstmal gibt es THB, das haben sich heute in der Hitze alle redlich verdient. Und dann trudeln nach und nach vom Grill auf der Rückseite der Halle Brochettes ein, um deren Durchgaren sich dankenswerterweise Eric und Andry kümmern. Zu den 30 Spießen, die ich mit großem Hunger verschlinge, gibt es eine Art wässrigen Krautsalat. Der ist bestimmt nicht lebensmittelsicher, aber er schmeckt lecker und mein Magen ist ja relativ robust. Zwischendurch findet sich noch eine Mantide, der ein Arm fehlt, auf einem Holzbalken direkt über dem Tisch. Wir haben jedenfalls eine Menge Spaß beim Brochettes essen, und mit THB und Cola wird ein sehr gelungener Chamäleontag begossen.
Nachts gibt es übrigens eine weitere Episode von „Das Stromaggregat und Ambilobes Stromausfälle“. Gegen 24 Uhr schaltet Jirama den Strom ab. Und damit unsere erst seit einer Stunde arbeitende Klimaanlage. Wir hatten sie doch gerade erst zum Laufen bekommen… Und der Strom kommt auch bis morgens nicht wieder. Das Stromaggregat ist zwar inzwischen angeschlossen, aber wieder ereilt uns das Problem mit dem fehlenden Benzin. Und diesmal ist wirklich nichts mehr aufzutreiben. Kein Tropfen. Vielleicht ist das mit dem Benzin doch Schicksal, beschließe ich gegen halb Zwei, und gehe wieder in meinen Brutofen zurück. Gute Nacht.