Kurz nach sechs Uhr stehe ich auf. Die Nacht war bescheiden. Eine Unmenge Stechmücken war unterwegs, und gefühlt sind alle abwechselnd mit fiesem Summen um meinen Kopf geflogen. Nachts fing dann auch noch der Hund des Nachbarn an zu bellen, ungefähr alle fünf Minuten. Und als der still war, fing es an zu regnen, und die Tropfen prasselten laut auf das Blechdach.
Das Frühstück bei Mirana sorgt aber direkt wieder für gute Laune. Die kleine Bäckerei und Konditorei riecht schon beim Betreten nach frischen Croissants. Wir setzen uns im Erdgeschoss an eine lange Tafel. Die Wandfliesen sind handbemalt mit Palmen, Sonnenuntergang und Walen – erinnert mich ein bisschen an meinen Kindergarten früher, da hatten wir auch so Wandmalereien. Der ältere Herr, der uns bedient, versichert mir erst, sie hätten bestimmt keine Zitronentörtchen hier. Aber da ich sie schon in der Auslage erspäht habe, kann ich ihn doch davon überzeugen, dass es die bei Mirana auch heute gibt. Megalecker… und weil es so lecker riecht und frisch aus dem Backofen kommt, folgt der Tarte au citron direkt noch ein duftendes, warmes Pain au chocolat.
Danach geht’s los ins Hochland, diesmal ins westliche. Auf den ersten Blick unterscheidet es sich aber wenig vom übrigen Hochland: Reisfelder, soweit das Auge blickt. Der Himmel ist heute wolkenverhangen und grau. Irgendwo im Nirgendwo halten wir an, damit Marco seine Drohne mal testen kann. Im Nieselregen. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite steht eine kleine Holzhütte, die kleine Snacks und allerlei Krimskrams verkauft. Zwei niedliche Kinder stehen davor und sind super neugierig, was der große Mann da mit seinem Fluggerät macht. Wir fragen, ob wir Fotos machen dürfen? Natürlich dürfen wir, antworten die stolzen Eltern. Der kleine Junge guckt allerdings ganz bemüht, als wolle er gar nicht süß und niedlich sein.
Die Fahrt geht lange, lange weiter. Reisfelder wechseln sich mit Mais-, Zuckerrohr- und noch mehr Reisfeldern ab. Bei Mahabo wird die Landschaft hügeliger und bergiger. Die Vegetation ist eher savannenartig, nur noch vereinzelte Reisfelder liegen hier und da nahe einer Hütte. Die Temperaturen steigen. Dann wechselt die Landschaft noch einmal, es wird gebirgig, die Straße geht steil nach oben. Die Savannen sind kahlen Ebenen gewichen, die nicht einmal einzelne Bäume mehr aufweisen. Nur Zebugras und Berge, und ab und zu ein paar Ravenalas. Unheimlich viele Erosionen fallen mir auf. Wo die Bäume fehlen, rutscht die Erde in der Regenzeit einfach den Berg herunter und hinterlässt rote Lehmwände. Mitten im Nirgendwo treffen wir Gunther, Varinia und Tinah, die gerade aus Kirindy kommen – da wollen wir soeben hin. Als ich aussteige, ist es brechend heiß. Waren es heute Morgen vielleicht noch 15 oder 16°C in Anstirabe, hat es jetzt locker über 30°C bei sehr wenig Wind. Wir quatschen kurz mit den dreien, dann setzt jeder seinen Weg fort.
Am Mittag erreichen wir ein paar kleinere Wälder in der gebirgigen Gegend, und es geht dahinter wieder nach unten. Ganz am Horizont entdecke ich einen Streifen Silber… der Tsiribinha! Irgendwann erreichen wir doch noch Miandrivazo, die Stadt am Fluss. Die Straße schlängelt sich einen Hügel hinunter. Von oben kann man über die ganze Stadt blicken. Hunderte in der Sonne glänzende Wellblechdächer stehen nebeneinander entlang des breiten Flusses. Die Luft flirrt vor Hitze. Wir fahren in die Stadt. Trotz der Hitze sind erstaunlich viele Leute unterwegs. Hinter einer Tankstelle fahren wir einen extrem steilen Weg auf zwei Betonstreifen nach oben und halten vor einem kleinen Restaurant. Am Metallgeländer vor der Tür ist ein Metall-Chamäleon angebracht, das ist mir gleich sympathisch. Durch eine kleine Halle trete ich auf eine Betonterrasse. Von hier hat man einen tollen Ausblick über die ganze Stadt.
Es ist un-glaub-lich heiß. RICHTIG heiß. Brütend heiß. Kein Lüftchen geht, die Hitze steht über Miandrivazo und rührt sich nicht. Hitze kenne ich ja von Madagaskar, aber das hier toppt einiges. Mir läuft der Schweiß permanent den Rücken herunter. Schweiß tropft mir sogar von der Nase, obwohl ich einfach nur auf einem Metallstuhl sitze und nichts tue. Gut, gar nichts stimmt nicht. Mit Alexandre, unserem Gecko-Freak, schaue ich an den Steinpfählen der Terrasse und an den paar Bäumen zwischen Terrasse und Parkplatz nach Geckos. Tatsächlich sind einige rosa Hemidactylus und graue Phelsuma mutabilis unterwegs. Neben der Terrasse sitzen eine Hündin, ein Rüde und ein winziger Welpe. Er scheint der letzte Überlebende zu sein in dieser Hitze, denn mehr Welpen entdecke ich nicht. Die drei sind enorm anhänglich und freuen sich über jede Streicheleinheit, und sei sie noch so kurz. Als ich zurück auf die Terrasse klettere, deutet Alexandre belustigt auf ein dunkles Seil, was in einer Ecke aus der Holzdecke des Restaurants herab hängt. Ich schaue genauer hin – ist gar kein Seil, sondern ein Rattenschwanz. Tippt man ihn an, verschwindet die Ratte kurz in die Holzdecke. Ein paar Minuten später sitzt sie wieder da, und wieder hängt nur der Schwanz aus der Holzdecke heraus.
Irgendwann trudelt das bestellte Essen ein. Ich kippe derweil mein zweites kaltes 0,65 l –THB herunter. Und schwitze es in Sekunden wieder aus. Es ist WIRKLICH, wirklich heiß.
Nach dem Essen geht es zügig weiter. Andry brettert den steilen Weg nach unten, und dann geht es am Tsiribinha entlang, und zwar ganz schön schnell. Ein paar Bodenwellen lassen den kleinen Kombi beinahe abheben, und irgendwo hinter Mahambo nimmt Andry mit einem lauten Kaaarraaaaach eine größere mit. Die hinten sitzenden haben sich gewaltig den Kopf gestoßen. Bei Sonnenuntergang biegen wir auf die rote Lateritpiste ein, die zur Baobab-Allee führt – oder mehr dazu wird, denn die Baobabs stehen einfach entlang des Weges. Die Fahrt wird enorm rumpelig, da Andry es echt eilig hat und unbedingt ankommen will, bevor die Sonne untergegangen ist. Das schaffen wir dank seines schnellen Fahrstils auch. Rechts halten wir auf einem kleinen, niedrig eingezäuntem Parkplatz. Dahinter liegt sie, die Baobab-Allee. Die Silhouette, die fast jeder Madagaskarreisende kennt. Riesige Adansonia grandidieri stehen fototrächtig nebeneinander, und sie sind wirklich gigantisch groß. Und ja, der Sonnenuntergang hinter den Silhouetten dieser mächtigen, uralten Bäume ist schon schön.
Weniger schön finde einen ganzen Bus chinesischer Touristen und unzählige extrem nervige madagassische Kinder. Erste sind wohl noch wenige, und letztere haben scheinbar gelernt, dass dumme Touristen sich leicht ausnehmen lassen. Ein kleines Mädchen mit geflochtenen Zöpfen kommt angerannt, in der Hand einen Stock mit einem übel aussehenden, vor Stress dunkelschwarz verfärbtem Furcifer oustaleti darauf. Das arme Männchen hängt wie ein nasser Sack auf dem hin- und herschwingenden, wackelnden Ast. Wie ein Lasso schwingt das kleine Mädchen das arme Chamäleon durch die Luft, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich lehne ein Foto mit dem Tier freundlich ab, und sage ihr, dass das Tier, was sie da herumträgt, krank aussieht. Als das Mädchen erkennt, dass es bei mir nichts zu holen gibt, rennt sie flugs mit zwei kleinen Jungs in Richtung der Chinesen davon. Nach wenigen Schritten verliert sie das große Chamäleon, was mit einem dumpfen Plumpf auf den Lehmboden knallt. Grob sammeln die Kinder das arme Ding wieder auf, stopfen es wieder auf den Ast und rennen weiter. Das ist nichts, was ich unterstützen möchte.
Was mich weitaus mehr interessiert, sind die vielen, fast unzähligen Schieferfalken, die die Baobabs umschwärmen. Etliche sitzen in den Kronen der Bäume, einige fliegen über sie hinweg. Die Schieferfalken überwintern auf Madagaskar. Marco versucht sich erneut daran, mit der Drohne zu fliegen. Er kommt rund drei Meter weit, oder vielmehr hoch, denn dann geht es rund. Die Schieferfalken scheinen die Drohne als Bedrohung wahr zu nehmen. Wie die Geier stürzen sie sich auf das Fluggerät. Gleich zwölf Falken umfliegen die Drohne, bis Marco sie lieber wieder einsammelt. Schade, ich wollte gerade Fotos von Falken im Sturzflug machen.
Als die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, fahren wir – diesmal bedeutend langsamer – die rote, staubige Piste zurück und bis nach Morondava. Als wir die Stadt erreichen, ist es zappenduster. Ein paar Bars, Hotels und Restaurants sind erleuchtet, sonst ist alles dunkel. Wir sind im Hotel Maewa untergebracht. Der Besitzer, ein Franzose, kommt persönlich zu unserer Begrüßung und zeigt uns die Zimmer. Tanala und ich folgen ihm durch eine Holztür und eine weiße Treppe nach oben bis auf eine kleine Galerie aus dunklem Holz, an deren Ende eine dunkle Tür in ein riesiges Zimmer geht. Wir haben zwei kleine Bäder, ein Hochbett und ein großes Doppelbett. Sogar funktionierende Ventilatoren gibt es, und einen kleinen Balkon. Wir öffnen gleich die Fenster, damit das bisschen Wind vom Meer hereinwehen kann. Einziges Manko: Der Meerblick wurde mit einem riesigen Betongebäude verbaut. Aber immerhin hört man das Meeresrauschen, das Meer liegt Luftlinie keine zehn Meter entfernt.
Es ist abends acht Uhr, und immernoch hat es 30,5°C. Da wir am Meer sind, geht ein ganz leichter Wind. Tanala, Dimby und ich begrüßen auf der Straße vor dem Hotel Christian, einen untersetzten, freundlichen Mann, der unser Guide in Kirindy sein wird. Er kümmert sich heute Abend noch darum, dass wir ausreichend Getränke mit nach Kirindy nehmen.
Nachdem alle ihre Zimmer angeschaut und das Gepäck abgeladen haben, laufen wir die Straße entlang bis zu einem kleinen, weißen Gebäude. Es ist eine Bar mit bunt beleuchteten Flaschen hinter der Theke. Auf einer kleinen Terrasse im Freien, die mit Sonnensegeln überdacht ist, setzen wir uns auf sehr hohe Hocker an einen Tisch. Die Karte verspricht leckeres Essen, ich begnüge mich mit etwas Gemüse und einer Cola. Mehr geht bei der Hitze einfach nicht rein.
Müde falle ich ins Bett. Dann klopft es an der Tür. Es sind Dimby und José. Das Zimmer, was sie eigentlich bekommen sollten, ist bis unter die Decke mit dem Gepäck irgendeiner anderen Reisegruppe zugestellt. Ob sie vielleicht hier…? Ja logo, wir haben ja eh ein Doppel-Hochbett zu viel. Ist ja quasi alles Familie.
Achja, und noch etwas habe ich heute gelernt: Wenn man sich AntiBrumm auf die Haut sprüht, sollte man dabei möglichst nicht direkt vor dem Ventilator stehen. Denn möglicherweise treibt einem der Luftzug dann das AntiBrumm in die Augen, und es braucht einiges an Wasser, um das brennende Zeug wieder herauszukriegen. Den Geruch habe ich noch morgen in der Nase.