Südwesten 2017

Der späte Vogel fängt den Wurm

Bee eater
Bienenfresser

Heute startet der Tag noch früher als sonst. Um 05:30 Uhr, die Sonne ist nicht mal aufgegangen, stehe ich auf. Zum Birdwatchig. Vogelfotografie finde ich etwa so spannend wie Dung rollende Mistkäfer. Aber das Arboretum Antsokay ist berühmt für seine vielen gefiederten Bewohner und soll ganz tolle Möglichkeiten zum Fotografieren bieten. Als unsere kleine Gruppe um sechs Uhr früh, mit Fotorucksäcken bewaffnet, im Dornwald des Arboretums steht, schläft alles noch. Auch die Vögel. Ein einsamer Spornkuckuck hüpft durch ein paar Äste auf der Suche nach früher Beute, macht das aber immer so geschickt verdeckt, dass man ihn auf keinen Fall fotografieren kann. Irgendwo in weiter Ferne läuft angeblich ein Seidenkuckuck durchs Gebüsch. Jeanto, unser Guide mit dem lachsfarbenem T-Shirt und den strahlend weißen Zähnen, erklärt uns mit Begeisterung die Vegetation und wie viele Vögel man hier sehen kann. Eigentlich. Uneigentlich fliegt etwa in fünf Metern Höhe ein Bienenfresser vorbei, und auch der sitzt eher unfotogen. Viele fleischblättrige Pflanzen gibt es hier, darunter auch die berühmten „Krakenkakteen“ (Alluaudia procera), die gar keine Kakteen sind. Es zeigt, wie trocken die Gegend die meiste Zeit des Jahres über ist. Ein wenig fasziniert bin ich von den stacheligen Früchten einer Uncarina stellulifera. Die Früchte werden getrocknet auf Madagaskar gerne zum Mäusefang verwendet.

Paradise flycatcher

Ein paar Nektarvögel huschen blitzschnell vorbei. Wir schlendern einmal den gesamten Weg des Arboretums ab. Der ist nicht sehr lang, das Arboretum ist ein künstlich angelegter Dornwald, kein natürlicher. Ursprünglich war es mehr ein botanischer Garten, die Pflanzen sind auch hervorragend ausgeschildert. Nur eben mit den Vögeln ist es heute früh eher spärlich. Die Begeisterung mag auch damit sinken, dass wir alle keine Frühaufsteher sind. Zwischendurch entdeckt José noch ein Pärchen Furcifer verrucosus in verschiedenen Büschen. Als ich zum Weg zurück zum Restaurant einbiege, läuft plötzlich ein Weißkehl-Seidenkuckuck vor mir her. Er versteckt sich nicht wie der vor einer Stunde, dem wir ewig hinterher gedackelt sind, ohne ein Foto zu bekommen. Nein, stattdessen stolziert das Vögelchen direkt vor mir auf dem Weg, und stört sich nicht an Fotos. Wenigstens ein Vogel, der fotografierbar ist. Auch wenn ich mir ein bisschen veräppelt vorkomme.

Weißkehl-Seidenkuckuck
Der zeigetaugliche Weißkehl-Seidenkuckuck

Alessandre hat heute früh übrigens einen Skorpion in seinem Bett gefunden. Um ihn später zu fotografieren, bevor er ihn wieder – außerhalb des Bungalows – in die Freiheit entlässt, hat er den kleinen Skorpion in ein Glas gesetzt. Und das Glas hat er natürlich mit zum Frühstück gebracht, um allen seinen Fund zu zeigen. Neugieriges „Aaahhh“ und „Oooh“. Gut, dass außer uns keine anderen Gäste in der Auberge de la Table residieren. Ein grumpeliger Skorpion im Glas direkt neben dem Vanillejoghurt könnte am Frühstückstisch sonst für Irritationen sorgen. Das Frühstück ist, wie alles hier bisher (außer der Vögel), wirklich gut.

Um neun schon sind wir alle – diesmal auch psychisch und nicht nur physisch anwesend – für eine zweite  Tour durch das Arboretum bereit. Jeanto erzählt fröhlich über die diversen Pflanzen des Südens, darunter gefühlt Hunderte Pachypodien. Seine begeisternden Vorträge zu den diversen Euphorbia-Arten, extrem seltenen Aloen und nicht-den-normalen-Vanille-Orchideen beginnen, mich ein bisschen mit den Pflanzen anzufreunden. Und davon hat Antsokay wirklich eine beeindruckende Vielfalt. Cyphostemma montagnacii, ein Weinrebengewächs in der Form eines Minibaobabs mit unterirdischem Wasserspeicher, hat es mir besonders angetan. So wandern wir von Pflanze zu Pflanze, verfolgt von Jeantos unbeirrbarem Redefluss. Hier und da sitzen kleine Schildechsen auf abgebrochenen Ästen – sie sind nicht ganz so gechillt wie ihre größeren Verwandten von der Ostküste. Ein alter Citroen 2CV, von Pflanzen fast überwuchert, steht irgendwo mitten im Arboretum. Es war das Auto, mit dem der Gründer des Arboretums, ein Schweizer, seine Pflanzensammlungen im Süden Madagaskars unternommen hatte. Vor vielen, vielen Jahren…

Jeanto entdeckt zwischendurch einen ganz besonderen Vogel, der auf dem Boden im Laub schläft, fast unsichtbar durch sein braunes Gefieder. Es ist eine Madagaskar-Nachtschwalbe (Caprimulgus madagascariensis) und angeblich selten. Mich beeindruckt das braune Federvieh im Laub eher wenig. Ich hake gedanklich einen weiteren Vogel auf meiner imaginären Liste ab. Für den kleinen Madagaskarleguan, der reglos auf einem Aststumpf verharrt, kann ich mich mehr begeistern. 

Auf dem Rückweg passieren wir ein großes Schildkrötengehege. Es wird angeblich als eine Art Auffangstation für konfiszierte oder anderweitig gefundene Schildkröten genutzt. In dem enorm kargen Rondell sitzen ein ganzer Haufen Strahlenschildkröten und etwas weniger, zu dünne und dehydrierte Pyxis arachnoides. Ein Teil der armen Dinger sieht aus, als würden sie demnächst das Zeitliche segnen. Unterschlupfe hat die Anlage viel zu wenig, auch an Wassertränken mangelt es. Ich spreche alles an, aber es verhallt offenbar ungehört.

Die Hitze des Mittags verbringen wir am Pool. Es ist auch nur dort mit der leichten Brise einigermaßen aushaltbar. Ich lasse mich im Wasser treiben und starre dabei in den azurblauen Himmel. Irgendwann bemerke ich eine riesenhafte Spinne im Abfluss des Pools. Ein Hotelangestellter will die Huntsman entfernen, aber das Tierchen sitzt offenbar auf einem ungünstig angebrachtem Kokon, und möchte keinesfalls aus seiner Behausung raus. Also verlasse lieber ich den Pool, oder zumindest benutze ich die andere Seite. Zum Mittagessen bewege ich mich bis zum Sandboden des Restaurants, und danach döse ich weiter auf den Matratzen am Pool. Sanfte Stille legt sich über das Hotel, nur ein paar Blätter rascheln ab und zu im Wind.

Arboretum Antsokay

Gegen halb Vier tut sich auf einmal etwas am Pool. Innerhalb weniger Minuten versammeln sich Bienenfresser auf einem eher kahlen, dünn beblättertem Baum nur zwei Meter vom Pool entfernt. Lautes Gezwitscher weckt auch den letzten Schlafenden. Die Bienenfresser fliegen durchs Wasser, drehen Runden über dem Gebüsch und den Häusern, um dann wieder zu den kahlen Ästen zurückzukehren. Und es bleibt nicht bei den Bienenfressern. Ein Trauerdrongo gesellt sich zu den zwölf Vögeln, dann ein Madagaskardajal. Hinter der Dusche trällert ein Paradiesschnäpper vor sich hin, während ein Sakalavaweber kopfüber im Baum direkt darüber hängt. Zur Krönung kommt sogar ein Weißkehl-Seidenkuckuck in den Poolbereich, tippelt völlig ungehemmt durch die Dusche und trinkt aus der dort stehenden Wasserpfütze. Soviel dann auch zum frühen Aufstehen für Vögel. Das hätte man sich gar nicht antun müssen, denn die Vögel kommen in Antsokay wohl einfach zum Pool. Bis zum Sonnenuntergang fotografiere ich im Bikini Vögel, und gewinne tatsächlich ein bisschen Spaß daran. Wenn sie zuverlässig zu bestimmten Ästen zurückkehren, ist es auch gar nicht so schwierig wie im Flug…

Drongo

Am Abend lassen wir uns eine Nachtwanderung nicht nehmen. Wir bestellen das Abendessen vor – das sollte man sogar hier, wo Bedienung und Köche weitaus besser sind als drumherum – und schultern die Fotorucksäcke. Jeanto führt uns zum dritten Mal durch das Arboretum, diesmal allerdings eher kreuz und quer. Alessandre fragt gerade, ob es hier auch Paroedura picta gebe, da dreht er sich um und pflückt einen kleinen, orange-weiß gestreiften Gecko vom Boden. „Aaaah there he is!“, kommentiert er trocken, und strahlt. Wir finden im Laufe des Abends noch drei weitere Paroedura picta auf dem staubigen Boden, auf dem irgendwann alle mal bäuchlings zum Fotografieren gelegen haben. Meine Klamotten sind so voller rotem Staub, dass ich im Laufen trotz Ausklopfen kleine, rote Staubwolken hinter mir herziehe.

Paroedura picta
Paroedura picta

Plötzlich ruft José „Mouse lemur! Here!“. Ich sehe noch einen kleinen, geisterhaften Schatten vor dem Licht meiner Stirnlampe verschwinden. Da das Tier echt schnell davon gelaufen ist, wende ich mich wieder den Geckos zu. Als ich mich ein paar Minuten später wieder umdrehe, sitzt keine Armlänge vor mir der kleine Mausmaki und beobachtet das merkwürdige Treiben vor seinem Baum. Offenbar war er doch zu neugierig und hat sich in der Sicherheit der Dunkelheit wieder näher getraut. Nur wenige Sekunden dauert der magische Augenblick, dann springt der kleine Mausmaki wieder zurück ins dichte Gebüsch. Leider habe ich natürlich das falsche Objektiv auf der Kamera, und der kleine Kobold ist schneller in der Dunkelheit verschwunden, als ich das Objektiv gewechselt habe. Es bleibt zum Glück nicht der einzige Mausmaki des Abends.

Ich schlendere weiter durch die Dunkelheit und suche mit der Kopflampe das Gebüsch ab. Der Sternenhimmel über mir blinkt und glitzert – mangels Licht in der Umgebung kann man hier wirklich extrem viele Sterne sehen. Wie in Kirindy gibt es in Antsokay leider viele Spinnen, die ich geflissentlich ignoriere. Dafür entdecke ich auf halber Höhe im Baum ein schlafendes Furcifer verrucosus, und Dimby entdeckt ein weiteres Weibchen zwanzig Meter weiter. Als der kleine Rundweg zu Ende ist und wir bereits wieder auf dem Steinweg zum Restaurant sind, findet Alessandre noch einen weiteren Großkopfgecko mitten auf dem Weg.

Der Abend klingt bei tollem Essen langsam aus. Die Petroleumlampen, die zur Dekoration am Rande der Überdachung des Restaurantsbereich hängen, wiegen sich im Wind, und die Bäume rascheln leise vor sich hin. Sonst herrscht, abgesehen von unseren Gesprächen, absolute Ruhe. Als ich gerade ins Bett gehen will, huscht gerade ein Mausmaki am Restaurant vorbei. Für ein letztes Foto heute muss die Zeit noch reichen. Und so erwische ich zumindest diesen einen Mausmaki mit der Kamera, bevor ich doch zu meinem Bungalow gehe, müde vom langen Tag und gesättigt von doch unerwartet vielen Vögeln.

Mausmaki
Mausmaki, bereit zum Sprung

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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