Die Nacht war eher so lala. Das Bett hat zwar eine Matratze, aber gefühlt habe ich die Nacht mit Rückenschmerzen auf blankem Holz verbracht. Um kurz vor Sieben klingelt der Wecker. Ich tappe ins Bad – falle dabei fast über meine überall im Zimmer verstreuten Sachen – und stelle mich erstmal unter die Dusche. Dann sortiere ich die 61 kg Gepäck neu, oder zumindest alles, was nicht zu den 15 kg Fotorucksack zählt. Meine eigene Tasche wiegt am Schluss keine zehn Kilo und ist fein säuberlich sortiert. Für sechs Wochen sind die Klamotten etwas sparsam eingepackt, aber die Entscheidung zur Verlängerung des Urlaubs fiel ja etwas kurzfristig. Und irgendwo wird sich sicher jemand finden, der ab und zu die Socken wäscht.
Fast pünktlich trudeln alle – also wir vier, Tanala, Markus, Martin und ich – zum Frühstück ein. Es gibt Omelette auf Luftbaguette. Dimby und der rote Bus mit Christian und Rapha sind überpünktlich schon um Viertel vor Acht im Hof. Christian hat heute Geburtstag, und bekommt seine neue LED Lenser überreicht – die hatte er sich gewünscht, zum Chamäleon suchen nachts. Fitah ist auch dabei, er soll als Junior Guide noch einiges lernen. Erstmal darf er Taschen schleppen. Macht er schon mal gut.
Als der Bus sich aus dem Tor schiebt und sich in den dichten Verkehr Tanas einfädelt, dringt ein beißend-rauchiger Geruch durch die Fenster. Der Geruch Madagaskars! Smells like barbecue on open fire. Wir umkurven Antananarivo in Richtung südliches Hochland. Wie immer um diese Uhrzeit ist der Verkehr dicht. Taxibrousse, Taxi Be und Fußgänger mit abenteuerlich überladenen, selbst gebauten Handkarren drängeln sich neben Fußgängern, Ziegen und Mopedfahrern am Deich entlang, durch Kreisel und entlang der unzähligen kleinen Straßenstände. Am Ikopa liegt Wäsche zum Trocknen aus. Kinder laufen barfuß mit dreckigen Füßen dazwischen herum, Zebus trotten vorbei. Ich bin mir nicht sicher, ob die Wäsche hier vor oder nach dem Waschen sauberer ist.
Der Weg nach Antsirabe führt in das charakteristische Hochland Madagaskars, das voller Reisfelder und kleiner, roter, zweistöckiger Lehmhäuser ist. Der Himmel ist tief wolkenverhangen, ab und zu nieselt es kurz. Die ein oder andere Zebu-Charette kreuzt unseren Weg, viele davon sind mit geschlagenem Holz beladen. Die meisten Reisfelder sind leuchtend grün, die Gelbreife ist noch nicht erreicht. Hier und da arbeiten Frauen auf den Feldern. Der Fluss, der sich neben der Straße entlang schlängelt, ist niedrig, sogar Sandbänke schauen aus dem Wasser.
In Ambohimandroso ist Markttag. Im Zeitlupentempo bugsiert Christian den Bus durch bunte Menschenmengen. Links stehen auf einem staubigen Platz Unmengen kleiner improvisierter Holzstände. Von Alutöpfen aus Ambatolampy über Gemüse, Fisch, halbe Schweine, Rinderzungen auf Haken und Plastikwannen kann man hier quasi alles kaufen. Auch Unterwäsche, Second-Hand-Shirts, Nähzeug, Schuhe, Plüschdecken, gepanschten Rum…
Irgendwann vor Mittag beschließen wir, vielleicht doch mal nach Chamäleons suchen zu gehen. Das ein oder andere Furcifer lateralis könnte schließlich schon drin sein. Der Eukalyptuswald, den wir dafür aussuchen, ist aber denkbar ungeeignet für die kleinen Echsen. Und entsprechend finden wir gar nichts außer ein paar Heuschrecken, und fahren schnell weiter. Christian schmunzelt vor sich hin – er hatte schon gesagt, dass es genau an dieser Stelle nichts zu sehen geben würde. Wie immer hat er Recht behalten.
Gegen Mittag erreichen wir Antsirabe, die Stadt des Salzes (und der Edelsteine und der Thermalquellen, aber die haben es nicht in den Namen geschafft). Wir halten wie immer bei Zandina, die gerade den Bürgersteig zu einem kleinen Außenbereich umgebaut haben. Das hält immerhin mit dem dazugehörigen Wächter sowohl Bettler als auch zu aufdringliche Straßenverkäufer ab. Innen ist es jetzt deutlich größer geworden. Das kleine Restaurant ist fast voll. Wir bestellen allesamt Pizza und das ein oder andere THB. Léon kommt auf einen kurzen Plausch vorbei, er wohnt in der Stadt. Nach nicht einmal 60 Minuten – das Restaurant ist nicht nur dafür bekannt, sehr fix zu sein, es schmeckt hier auch gut – steigen alle wieder in den Bus. Die Preise sind übrigens samt dem Wechselkurs zum letzten Jahr ordentlich gestiegen. Ein THB mit 0,65 l bekommt man nirgends mehr für unter 5000 Ariary.
Am Nachmittag reißt die Wolkendecke hier und da auf, kleine blaue Fetzen Himmel kommen zum Vorschein. Als es später wird, beginnt es zu regnen. Die Straße hat immer wieder große Schlaglöcher. Einmal rammt uns beinahe ein wild gewordener LKW-Fahrer, der einfach in unsere Richtung ausschwenkt. Christian fährt jedoch souverän weiter, überholt mal hier, hupt mal da… er kennt die Strecke wahrscheinlich auch blind auswendig.
Übrigens haben wir natürlich doch Chamäleons gefunden – nicht im Eukalyptuswald, aber wo genau, verrate ich lieber nicht. Irgendwo auf der Strecke halten wir auf einem Schotterstück neben der kurvigen Straße. Kleine, knorrige Bäume und jede Menge Gebüsch drängen sich am Hang. Ein Bach schlängelt sich durch das Gebüsch, aber letztere ist so dicht, dass ich ihn nur höre und nicht sehe. Hier soll es Furcifer minor geben, die sonst eigentlich eher von Itremo viele Kilometer weiter westlich bekannt sind. Rapha findet erstmal ein junges Furcifer lateralis, das fast weiß mit nur wenigen schwarzen Ringen ist. Irgendwie scheint es aber ein Problem mit seiner Zunge zu haben, deshalb setzen wir es ohne Fotos wieder zurück in seinen Busch.
Viel besser ist, was Christian ein paar Hundert Meter weiter entdeckt: Tatsächlich zeigt er uns ein prächtiges Männchen von Furcifer minor. Es hat einen orangefarbenen Akzent an beiden Seiten, und hellblaue Schuppen an Beinen und auf den Augenlidern. Zur Glückssträhne dazu kommt eine halbe Stunde später auch noch das Weibchen. Eine echte Farbexplosion: Es leuchtet in grün mit gelben Streifen und rotem Kopf, und bei Ärger wird es schwarz mit gelben Bändern. Zwar ist das Tierchen wirklich winzig – gerade mal 8,5 Gramm schwer, aber ein Wahnsinnsmotiv und überaus fotogen am Posieren. Die Art hier zu finden hatte ich zwar gehofft, aber eigentlich nicht wirklich erwartet. Zu unseren Wahnsinnsfunden gesellt sich später noch ein Furcifer lateralis Weibchen mit leuchtend orangefarbenen Farbakzenten. Martin begeistert sich derweil für einen dicken Käfer mit leuchtend blauen Füßen und kleinen Stacheln auf dem Rücken.
Glück haben übrigens heute nur wir gehabt, die schon unterwegs sind. Die drei Nachzügler unserer Reisegruppe sind zwar inzwischen nach gecancelten Flügen doch noch in Tana eingetroffen, aber Annas Gepäck fehlt. Und es taucht auch nicht wieder auf. Also fahren die drei ohne Annas Sachen los, und im Supermarkt wird noch schnell das Allernötigste eingesammelt. Wenn man schon Pech mit den Langstreckenflügen hat, dann wohl so richtig.
Am Abend erreichen wir in der Dämmerung Ambositra. Die ersten Grills am Straßenrand öffnen gerade, Feuer glimmen in den dunklen Straßen. Wir biegen auf eine holprige Straße ab, und fahren auf die steile Einfahrt des Hotels L’Artisan. Wie Christian hier mit dem großen Bus einparkt ohne Schramme, ist mir immer noch nicht ganz klar. Diesmal bekommen Tanala und ich Zimmer 3, auch ein hübscher Raum. Markus und Martin haben die kleinen, handgeschnitzten Bungalows ergattert. Zimmer 3 ist in Rosa gehalten, mit knallpinken Gardinen und einer rosa Schildkröte aus geflochtenem Bast über dem Bett (ich dachte immer, das seien Topfuntersetzer). Tisch, Stühle und selbst die Gardinenstangen sind allesamt geschnitzt. Kleine Lemuren sitzen auf den Enden der letzteren, ein Zafimaniry-Hocker steht neben dem Tisch. Schön ist es hier, nur regnet es mal wieder. War ich schon jemals ohne Regen in Ambositra? Ich kann mich nicht daran erinnern.
Nach dem Abendessen haben ich und Dimby noch eine kleine Überraschung für Christian organisiert. Das Licht geht aus, die beiden Musiker mit Valiha und Gitarre dudeln „Happy birthday“ und eine weiße Torte mit Aufschrift und einer winzigen, wenige Millimeter dicken, brennenden Kerze wird hereingetragen. Und natürlich singen wir fleißig alle mit – allerdings nur bis Strophe drei. Da geht uns dann der Text aus, während die Musiker weiterdudeln. Die Torte wird großzügig an alle Anwesenden verteilt. Sie besteht außenrum nur aus einer sahneartigen Masse und innen aus einer Art Biskuit. Obendrauf finden sich bunte Zuckerstreusel und ein paar Flecken aus Lebensmittelfarbe. Dafür, dass wir heute Morgen spontan angerufen hatten und nicht ganz klar war, ob ein Kuchen überhaupt so schnell organisiert werden können würde, ist die Torte wirklich super geworden. Christian pustet die Kerze erfolgreich aus, wir verdrücken jeder ein Stück Torte. Ein schöner Abend geht zu Ende.