Ich habe geschlafen wie ein Stein. Der Wecker klingelt zu meinem Leidwesen bereits um sechs Uhr. Eigentlich möchte ich ganz gerne weiter schlafen, aber es gibt da nicht sonderlich viele Optionen heute. Also krieche ich um Viertel vor Sieben dann doch mal aus dem sehr schön wärmen Bett ins sehr klamm kalte Bad. Leichter Muskelkater ist zu spüren. Mein Hämatom am Bein (das von Ranomafana) hat sich inzwischen ausgebreitet und ist farblich zwischen blau, grün und schwarz angekommen. Die Delle ist nach wie vor unverändert tief und drumherum dick geschwollen.
Als ich mich zum Frühstück auf die Terrasse geselle, sind alle anderen ganz ähnlich müde und unmotiviert. Anna hatte offenbar auch noch keinen Kaffee und die Uhrzeit ist sowieso gar nicht ihre. Unser aller Pech, wenn wir so einen Urlaub buchen. 😀 Ein Zebu-Sandwich später beginnen die Indris zu singen. Sie scheinen recht weit weg zu sein, aber der Gesang kommt langsam näher. Auf das melodische Singen antworte außerdem eine andere Gruppe, die direkt in den Bäumen vor der Terrasse zu sitzen scheint. Tatsächlich bewegen sich plötzlich die Baumwipfel und schwarz-weiße Schatten springen zwischen den Baumstämmen umher. Markus kommt derweil von irgendwo hinter den Bungalows zurück, wo er Phelsumen gesucht hat. Statt Taggeckos hat er einen blauen Coua gefunden, und gleich ein besseres Handyfoto gemacht als ich überhaupt je eines mit der Kamera bekommen habe. Ergo schraube ich schnell das große Objektiv auf die Kamera, nur leider ist der Coua nicht mehr ganz so fotogen im Geäst. Und er verschwindet auch sehr zügig, als weitere Teleobjektive mit anhängenden Franzosen neben mir erscheinen.
Fast pünktlich um Acht starten wir. Mit Dank geht ein Volnic-Wasser zurück an Jutta und Lars. Für das Original Volvic hat es nicht gereicht. Ich begnüge mich mit dem üblichen Eau Vive. Bis nach Vohimana fährt man vielleicht 20 Minuten mit dem Bus. Dass Sonntag ist, merkt man sofort: Überall stehen riesige LKWs am Straßenrand. Ein paar werden gerade gewaschen, ein paar Leute sind schon früh in schicken Klamotten auf dem Weg zur Kirche. Ob es hier ein sonntägliches Fahrverbot für LKWs gibt?
Am einzigen Schild, das auf das réservate experimentelle hinweist, biegen wir in einen Schotterweg ab. Die davor liegenden Marktstände sind heute verwaist. Régisse, unser Guide für heute, wartet bereits auf uns. Mit einem breiten Grinsen durch seine vielen Zahnlücken begrüßt er uns. Christian bugsiert den Bus um kleine Kurven den engen Weg entlang bis kurz vor einen Fluss. Achja, da war doch was gewesen mit einem Fluss…? Der besagte Fluss ist gute zehn Meter breit und sprudelt gerade hier recht stark, weiter oben fließt er viel ruhiger. Aber hier ist eine Furt für Geländewagen, also gehen wir auch hier zu Fuß rüber.
Also fröhliches Schuhe ausziehen, Socken aus und Hose hochkrempeln. Ich strecke vorsichtig einen Fuß ins Wasser. Es ist ordentlich kühl, aber geht. Weniger nett ist, dass der Boden der Furt mit einem riesigen Metallgitter versehen wurde – oder eher einfach Maschendrahtzaun. Wenn da nicht irgendwo ein Drahtende noch hoch steht…? Die spitzen Kiesel drumherum machen das Laufen auch nicht besser und in der Mitte hat der kleine Fluss ganz ordentlich Strömung. Régisse und Dimby helfen beim Überqueren und nehmen alle an die Hand, die es brauchen. Eine Frau mit zwei Kindern kommt uns entgegen und grinst verstohlen ob der wackelig laufenden Vazaha, die wie im Seniorenheim über den Fluss statt über die Straße geleitet werden müssen. Die Madagassen dagegen Laufen völlig ungerührt barfuß durch die Furt. Nur wesentlich zügiger. Und sie wackeln auch nicht so.
Praktischerweise gibt es auf der anderen Seite des Flusses einen breiten Stein, auf dem man sich wunderbar kurz die sandigen Füße abspülen und die Schuhe wieder anziehen kann. Die Hose ist etwas nass geworden, aber da gerade die Sonne raus kommt, dürfte die ganz schnell wieder trocken sein. Wir laufen keine hundert Meter bis zu einem breiten Bach… schon wieder Schuhe ausziehen? Nein. Régisse zeigt den Weg über einige Steine, und alle kommen trocken am anderen Ufer an. Dahinter führt ein schmaler Pfad durch hohes Gras, von dem Régisse aber schon nach wenigen Metern abbiegt. Erstmal geht es einige Meter nach unten, über matschigen Boden, der von einem kleinen Bach durchzogen wird. Die Sonne brennt ganz ordentlich, und ich hoffe, dass der Weg irgendwo etwas schattiger wird. Dahinter geht es einen noch schmaleren Weg auf rotem Laterit etwas nach oben. Wer hätte eigentlich gesagt, dass wir schon wieder Treppen steigen wollen? Naja, „Treppen“. Eher ausgelatschte wollten-mal-Stufen-werden. Zwischendurch ist der Pfad nur noch fußbreit und rutschig, sodass ich breitbeinig wie Lucky Luke auf den beiden rechts und links davon fliegenden Grasstreifen balanciere. Noch mehr Stufen und ein kleiner Hügel. Wir passieren ein kleines Dorf aus Holzhütten. Dann gelangen wir zu Eisenbahngleisen.
Gut einen Kilometer folgen wir den ollen, ausgelutschten Schienen. Die Aussicht ist an vielen Stellen aber sehr schön. Das Gleisbett besteht aus großen Kieseln, die teils von rotem Sand verschüttet sind, und uralten Metallschwellen. Immerhin haben die einen sehr bequemen Abstand zum darauf Laufen. Die Gleise selbst sind abgenutzt und haben jede Menge Macken. Das rechte Gleis ist viel schmaler als das linke. Züge fahren hier schon noch, aber nur zweimal die Woche regulär für Personen und je nach Belastung und Laune bis zu täglich Container. Aktuell aber gerade nicht.
Irgendwann biegt Régisse links ab und geht einige Stufen nach oben und unsere kleine Gruppe folgt ihm. Bevor wir in den Wald eintauchen, passieren wir ein kleines Steintor. Es ist oben in der Mitte gebrochen und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wann das ganze Tor zusammenbricht. Nur die linke Seite des Holztores ist noch vorhanden und hängt schief in den rostigen Angeln, rechts existiert gar kein Türflügel mehr.
Wir gelangen zu einigen Bungalows, die einen eher rustikalen Eindruck machen. Schmutzig weiße Holzwände, Blätterdach und verschlossene Türen. Dahinter liegt eine verlassene Distillerie, die wohl bald auseinander fällt. Wieder einige Stufen nach oben bis zu einer Art offenem Restaurant. Aus der Küchentür grüßen zwei Frauen freundlich.
Schließlich erreichen wir den Wald. Es ist ein fantastischer Regenwald voller riesiger Bäume, Lianen und vieler Farne. Ein Fluss schlängelt sich hindurch, das Wasser ist glasklar. An einer Lichtung halten wir an. Ein Wasserfall sucht sich seinen Weg zwischen Felsblöcken nach unten. An einem von kleinen Farnen völlig überwucherten Hang findet Régisse ein Männchen von Calumma gallus. Er verschwindet kurz, um aus dem Gestrüpp dahinter noch ein dazu passendes Weibchen zu holen.
Franco Andreone läuft auch vorbei (wen man nicht alles trifft) und macht gerne ein Foto von dem hübschen Boophis albilabris, der an einer der Felswände nahe des Wasserfalls sitzt. Im Laufe des Mittags entdecken wir noch zwei wunderschöne, gelassene Calumma parsonii parsonii. Die „yellow giants“ sind wirklich Giganten und trotzdem völlig entspannt. Jedenfalls das Weibchen – das Männchen kann mit Menschen heute nicht so viel anfangen und verfärbt sich schließlich sehr dunkel, während das Weibchen in strahlendem Grün leuchtet. Ein winziges, orangefarbenes Baby findet Régisse auch noch. Eifrig, wie er ist, streift er quasi ununterbrochen durch den Wald. Hier gibt es noch etwas zu sehen, da noch ein Foto zu schießen. Zwischendurch sitze ich einfach nur auf den Felsen am Wasser und schaue in den magischen Regenwald. Die Aussicht, der plätschernde Fluss, die quakenden Frösche und die zirpenden Insekten und sonst völlige Ruhe – das kann man einfach nur genießen.
Irgendwann zieht sich der Himmel zu. Es ist Zeit, aufzubrechen. Etwas zügiger als auf dem Hinweg queren wir die Bahngleise, laufen durch den schmalen Lateritgang und durchqueren den Fluss. Wenn man nicht hinguckt, sticht einem übrigens auch kein Draht in die nackten Füße. Die Strömung ist plötzlich mehr geworden und ich habe ganz kurz Mühe, nicht einen Bauchplatscher in den Fluss zu machen. Ich setze mich ins Gras, um meine Schuhe wieder anzuziehen. Schließlich erreichen wir gemeinsam den Bus. An einer Hütte entdeckt Dimby Honig. Naja, wie soll es anders ein, natürlich kaufen wir anderthalb Liter Wildbienen-Honig aus Vohimana für 25.000 Ariary. Probieren darf man natürlich vor dem Kauf auch. Der Honig schmeckt himmlisch.
Auf dem Weg zurück zum Hotel halten wir an einem kleinen Holzstand mit Obst und Gemüse. Für 1500 Ariary – das sind ungefähr 35 Cent – erstehe ich Bananen und eine ganze Menge der kleinen, roten Guaven, die hier überall wild wachsen. Auf der Hotelterrasse genieße ich dann frische, überreife Bananen mit Honig und Guaven – ein Gedicht. Das THB dazu ist auch sehr erfrischend. Der Himmel hat sich inzwischen vollständig zugezogen, dunkle Wolken hängen über dem Wald. Es dämmert schon. Ich springe in Tanalas und meinem Bungalow direkt unter die Dusche und mache mich frisch.
Im Dunklen unternehmen wir noch eine kleine Nachtwanderung entlang der Straße. An Reptilien gibt es nicht all zuviel zu sehen. Dafür springen zwei kleine, nachtaktive Büschelohrmakis in den Bäumen herum und lassen sich sogar fotografieren – mit dem Teleobjektiv, versteht sich. Sehr weit oben im Baum.
Schließlich trudeln wir alle bei Luc ein. Sein kleines Restaurant befindet sich in einem Haus direkt neben Maries Restaurant. Drinnen sind die Wände mit Vögeln aus dem Regenwald bemalt. Gegrillt wird draußen und wir nehmen derweil an einer langen Tafel aus zusammengeschobenen Tischen und Hockern am Fenster Platz. Direkt gegenüber ist bereits ein riesiger Haufen Brochettes, Zebuspieße, vorbereitet. Luc – der übrigens einer der vielen Brüder von Marie ist – serviert dazu frisch zubereiteten Gurkensalat, gegrillten Maniok, eine hervorragende Erdnusssauce und so etwas wie frittierte Kroketten. Es wird ein schöner Abend mit vielen netten Leuten, leckerem Essen und viel Spaß mit Wiederholungswert.