Der eigentliche Plan für heute sieht einen Ausflug zum Palmarium Beach, dem zweiten Standort des Palmarium ein paar Kilometer am Strand entlang vor, und danach einen Abstecher zum Reservat von Vohibola. Das man übrigens auf Madagassisch „Wui-Bu“ ausspricht. Allerdings macht der Regen uns schnell einen Strich durch die Rechnung. Zyklon Eliakim schickt seine Vorboten und damit einen ordentlichen Sturm. Unser Bootsmann mag nicht nach Vohibola fahren. Ich gehe erstmal zum Frühstück, nachdem ich meine Hand – die ganz ordentlich pocht – neu verbunden habe. Mama Be, das älteste Variweibchen, späht mal wieder die Bungalows aus. Sie hat gestern offenbar in einer Ravenala-Blüte gespeist – ihre Ohren sind knallgelb verfärbt. Nr. 42 und Nr. 48, zwei halbwüchsige schwarz-weiße Varis, sind auch heute wieder sehr anhänglich. Die beiden Nummern sind übrigens die letzten beiden Ziffern ihrer frisch implantierten Mikrochips. Auseinander halten kann man sie bestens an Hand der unterschiedlichen Augenfarbe. Das Weibchen mit den dunkleren Augen ist augenscheinlich das Schlauere, denn es „klaut“ nicht. Es hangelt sich auf einen Stuhl und bleibt so lange sitzen, bis irgendein Zweibeiner von ganz alleine Obst rüberwachsen lässt. Man muss nur süß genug aussehen…
Beim Frühstück kann ich den Patienten von vorgestern beobachten, der inzwischen wieder recht aktiv ist. Seine Schnauze ist immer noch Nilpferd ähnlich geschwollen, aber etwas weniger. Er war nach einem ungeplanten, aber geglückten Ausbruch aus den Aufwach-Gehegen ziemlich unglücklich von einem schwarz-weißen Vari verprügelt worden. Ich taufe ihn „Rocky“. Rocky war das übrigens mit dem Biss in meiner linken Hand. Er fand nicht, dass er aus dem Käfig seines noch halb schlafenden Nachbarn wieder ausziehen sollte in seinen eigenen, sondern hat die Gelegenheit zur Flucht genutzt. Naja, die Strafe folgte auf den Fuß. Rocky wird jetzt mit bitter schmeckenden Mogelbananen behandelt. Es ist allerdings nicht ganz einfach, die präparierte Banane in sein Maul zu bekommen und nicht in ein anderes – mehrere Stühle, darauf stehende Menschen und diverse Bananen später sind die Medikamente aber im richtigen Lemuren.
Rattie, die graue, übergroße Hybrid x Hybrid-Dame mit dem schmalen Näschen, ist auch schon wieder dem Restaurant nahe. Zusammen mit einem der sterilisierten Makihybriden, der eine kleine kahle Stelle im Fell über einem Auge hat, beobachtet sie, wo beim Frühstück am ehesten eine Banane abfallen könnte.
Schließlich steigen wir doch in das weiße, große Motorboot von Sylvain. Es tanzt auf den Wellen des Sees, ein Nieselregen fällt dazu. Die Sicht ist von diesigen Wolken verhangen. Der Bootsmann gibt Gas und schießt mit den Wellen quer über den See. Schließlich schwenkt er nach rechts in Richtung Palmarium Beach – und damit gegen die Wellen. Gleichzeitig wird der Regen intensiver. Bis wir das Ufer erreichen, sind alle ziemlich nass. Meine Hose trieft bis einschließlich zum Knie und mein T-Shirt ist auf der ganzen linken Körperhälfte ebenfalls triefnass. Tanalas Regenjacke in Baum-Design, die er mir dankenswerterweise unterwegs geliehen hat, hat da auch nicht mehr geholfen.
Im Palmarium Beach organisiert Olivier erstmal eine Runde Handtücher. Leider findet sich das erhoffte Calumma parsonii parsonii – hier gibt es ein paar orange eyes, sehr hübsche – bei dem Wetter nicht ein. Dafür sitzt ein kleiner Eisvogel am See zwischen den Bungalows auf einem dünnen, aus dem Wasser ragenden Ästchen. Anna versucht erfolglos, Wlan zu bekommen. An einem Ort, an dem es nicht mal Handy-Empfang gibt. Und keinen Strom, wie schon gesagt.
Zyklon Eliakim schickt derweil noch eine weitere Sturmfront samt Regen. Ich suche Zuflucht hinter der kleinen Bar am Strand. Jutta, Martin und Markus finden sich ebenfalls an der „Bar“ ein. Die gesamte Rumversorgung des Palmariums scheint hier gerade zu stehen – zumindest was die Getränke angeht, sind wir also versorgt. Tatsächlich bietet die kleine Bar aber nur sehr eingeschränkt Schutz vor dem Regen, der inzwischen so schräg vom Himmel fällt, dass eigentlich kein Plätzchen unter dem offenen Dach mehr trocken ist.
Als der Sturm eine klitzekleine Pause einlegt, spurten wir zum Boot zurück und düsen über den See zurück zum Palmarium. Mit triefender Hose und tropfendem T-Shirt steige ich aus. Erstmal trockene Klamotten! Meinen Handverband kann ich bei der Gelegenheit auch gleich wechseln. Ein bisschen geschwollen ist alles, aber weit weniger als gedacht. Von draußen ruft José, der in einem hohen Busch eine Langaha madagascariensis, eine madagassische Blattnasennatter, entdeckt hat. Es handelt sich um ein wunderschönes Männchen mit tollen Farben. Ich habe von der Art zwar schon viele Weibchen, aber noch keines der bunten Männlein gesehen und freue mich sehr über den Fund.
Später treffen wir uns alle auf der überdachten Veranda vor dem Restaurant. Der Wind hat noch einen Zacken zugelegt. Dimby hat sich inzwischen informiert, wie es mit Zyklon Eliakim so aussieht. Aktuell scheint der Zyklon sich weiter nördlich, etwa über Masoala, zu befinden. Erst am Sonntag soll er über Toamasina (Tamatave) und damit auch über Akanin’ny Nofy einrauschen. Nach den aktuellen Vorhersagen trifft das Auge des Zyklons auch ziemlich zielgerichtet genau hier auf.
Eigentlich wollten wir morgen früh los und die Ostküste gen Norden hinauf fahren. Dimby meint, der Bootsmann fahre aktuell eher nicht, da der See extrem unruhig sei und noch mehr Sturm und damit ein noch deutlich steigender Wasserpegel angesagt sei. Als wolle er diese Aussage noch unterstreichen, flitzt Sylvain voll bepackt an uns vorbei. Er verteilt im Eilschritt Regenschirme unter den Gästen. Das will schon was heißen, denn es regnet regelmäßig im Palmarium. Nur so wie jetzt, das ist schon etwas mehr als normal.