Zum ersten Mal in diesem Urlaub wache ich auf, als gerade erst die Sonne langsam aufgeht. Obwohl es noch nicht mal sechs Uhr ist, bin ich schon total ausgeschlafen. Auf dem Meer tuckert gerade die alte, rostige Fähre nach Nosy Be vorbei. Ich ziehe meinen Bikini an und plantsche ein bisschen im Wasser. Vor der Tür des Bungalows sitzen zwei Schildraben, die sich immer wieder der verspiegelten Tür nähern und dann wieder wegflattern. Vielleicht wollen sie auch nur an die Erdnüsse, die gerade von einer Ameisenautobahn abtransportiert werden. Ein kleiner, schwarzer Hund schnüffelt auch mal vorbei. Es ist herrlich ruhig und paradiesisch warm.
Eine Stunde später fahre ich gemeinsam mit den anderen zum Hafen von Ankify. Auf den Platz zwischen den Häusern hat gerade ein streunender Hund sein Geschäft hinterlassen. Anstatt es zu entfernen, wird einfach ein Eimer Sand drüber gekippt und das ganze festgeklopft. Geht auch. Mama Be und eine ihrer Töchter rücken Tische und Hocker zusammen. Heute gibt es sogar eine an die Häuserwand gelehnte, schmale Bank für die Fotorucksäcke. Ich frühstücke wieder Zwiebelbrötchen. José hat auf dem Markt zehn Meter weiter eine ganz reife und eine deutlich weniger reife Ananas gefunden, die wir direkt in Stücke schneiden. Bei Mama Bes Tochter, der inzwischen ein Schneidezahn fehlt, gibt es heute Spieße mit Innereien: Herz inklusive riesiger Rindergefäße, Leber und etwas nicht Erkennbares. Ich überlege, einen der Spieße zu probieren. Dann kommt noch eine undefinierbare Panade auf die Innereien, die den vielen Chilis nach zu urteilen ziemlich scharf sein dürfte. Deshalb entscheide ich mich dann doch gegen die Spießchen am Morgen.
Wieder fahren wir mit Chao Malaza und der Cyclone II, heute nach Nosy Tanikely. Das Meer ist ziemlich ruhig, nur kleine Wellen plätschern entspannt vor sich hin. Die kleine, paradiesische Trauminsel Tanikely liegt unweit von Nosy Be mitten im Meer. Schon von Weitem sieht man den tollen weißen Strand. Durch eine kleine Öffnung in den Korallen nähern wir uns der Insel mit dem Boot, ankern aber im seichten Wasser anstatt direkt auf den Sand zu fahren.
Ich lege Rucksack und Handtuch auf einem Baumstamm am Strand ab, gerade noch im Schatten. Der Leuchtturmwächter kommt schon angelaufen und bringt Schwimmflossen – und für die, die keine Masken und Schnorchel haben, auch das. Ich habe meine Teletubby-Ganzgesichts-Maske wieder dabei. Noch ist keine Ebbe, also müssen wir uns jetzt ein wenig beeilen. Mit Flossen und Maske bewaffnet, laufe ich ins Meer. Dort wollen im knietiefen Wasser sitzend die Flossen angezogen werden, dann geht’s los. Mit den Füßen schlagend schwimme ich langsam in Richtung der Korallen. Um eine fußballgroße Koralle, die unzählige kleine Ärmchen hat, tummeln sich kleine, hellblaue und schwarz-weiße Fische. Einzelne, wahnsinnig hübsch und knallbunt gemusterte Drückerfische schwimmen gemütlich vorbei. Eine Unmenge größerer, schwarz-gelb-weiß gestreifter Fische ist heute außerdem überall im Wasser unterwegs. Das ganze Meer wuselt um einen herum. Hier winzige orangefarbene Fischchen, dort grün schillernde, da silbern glitzernde Fischkörper. Heute ist wirklich viel los unter Wasser.
Nach einer Weile entdecke ich nahe anderen Schnorchlern gleich zwei Meeresschildkröten auf einmal. Für die bin ich hier! Fische sind zwar faszinierend und bunt, aber gegen die entspannten Meeresschildkröten kommt unter Wasser einfach nichts an. In Seelenruhe tauchen die Reptilien zu den Korallen, nippen hier an einer Koralle, kratzen dort etwas von einer anderen. Zwischendurch tauchen die Schildkröten immer wieder an die Meeresoberfläche zum Luft schnappen. Dabei kommen sie den Schnorchlern immer wieder sehr nahe, stören sich offenbar aber gar nicht an unserer Anwesenheit.
Plötzlich quert eine dritte, größere Meeresschildkröte mein Sichtfeld – ich folge dem hübschen Tier, so sind weniger Menschen an den gleichen Schildkröten. Auch eine vierte, viel kleinere Schildkröte huscht unter mir davon und unter den Schutz einer riesigen, tellerhaft nach oben gebogenen Koralle. Die größere Schildkröte dümpelt zwischen Korallen und Seeigeln herum, verfolgt von einem großen, weiß-gelben Fisch, vielleicht hofft er auf abfallendes Futter. Ein paar Halfterfische verschwinden schnell unter Korallen, als die Meeresschildkröte sich ihnen nähert.
Plötzlich schwimmt die Schildkröte recht zügig los… ich paddle ihr mit etwas Abstand langsam hinerher. Wo das Meer etwas tiefer wird, wird sie langsamer. Ich bin so konzentriert auf die Meeresschildkröte und ihr langsames Schwimmen, dass ich gar nicht bemerke, dass ich plötzlich mitten in einen Schwarm kleiner, weißer Quallen gerate. Zum Glück ist offenbar keine davon giftig. Denn als ich es merke, habe ich schon ein Dutzend der Quallen unfreiwillig berührt. Schnell versuche ich, aus den Quallen heraus zu schwimmen, verliere dabei aber die Meeresschildkröte aus dem Blick. Ich entdecke noch ein paar Papageienfische und einen großen, extrem langen Fisch mit sehr langer, schmaler Nase. Leider kenne ich mich mit den Tieren unter Wasser weniger gut aus. Mit Namen kann ich daher nur sehr wenig dienen. Eine wirklich knallbunte Meeresschnecke entdecke ich auch noch, dicht an einer ganzen Ansammlung der hier üblichen Seeigel. Die Seeigel hier haben enorm lange Stacheln – zum Glück ist momentan das Wasser noch hoch genug, das man nicht mit dem Bauch direkt über den Stacheln hängt. Langsam paddle ich schließlich zurück ans Ufer.
Auf dem Handtuch entspannt im Schatten das Paradies genießen, das geht auf Nosy Tanikely schon ziemlich gut. Eine Menge ulkige Geisterkrabben und Einsiedlerkrebse sind am Strand unterwegs. Die Geisterkrabben haben lustig hoch stehende Augen und sehen ständig aus, als würden sie sich über irgendetwas wundern.
Am Mittag gibt es ein leckeres Picknick mit Kokosreis, einer Art Kartoffelsalat und fangfrischem Fisch sowie Krebsen. Eigentlich esse ich nicht gerne Fisch, dieser hier aber schmeckt super. Während des Essens taucht das gehbehinderte Mohrenmaki-Weibchen auf, das schon länger auf der Insel lebt. Es hat dieses Jahr einen Kumpel dabei, einen braunen Maki. Erstaunlicherweise hat auch dieser eine kleine Behinderung und läuft etwas unrund. Offenbar haben sich da zwei gefunden.
Mit Philip, Martin, Markus und Marco wandere ich gemütlich einen Betonweg zum Leuchtturm von Nosy Tanikely hinauf. Der Weg besteht mehrheitlich aus Stufen, ist aber nicht sonderlich lang. Sehr viele Schildechsen sind unterwegs. Sie sind wenig scheu. Alle paar Stufen muss man aufpassen, dass man nicht auf eine drauf tritt – sie huschen dann sofort erschrocken ins Laub zurück.
Vor der letzten Treppe wächst links ein riesiger Baum mit breit ausladender Krone. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich Mohrenmakis darin. Als wir näher kommen, verschwinden sie in den Wald. Oben angekommen landen wir vor einem Haus, das sich Infocenter nennt, aber nur wenig Informationen bietet – weder zur Insel noch den sie umgebenden Tieren. Aber etliche farbenfrohe Phelsuma laticauda laufen auf den Wänden des Hauses herum.
Ein paar Steinstufen weiter nach oben liegen einige Picknickplätze mit grandioser Aussicht auf das Korallenriff und das Meer. Ein Traum. Weiße Vögel mit langem Schwanz segeln über dem Korallenriff. Das Wasser ist so klar, dass man sogar von hier oben Meeresschildkröten entdecken kann. Der Leuchtturm ist klein und ein Schild weist darauf hin, dass maximal zehn Personen gleichzeitig hinein können.
Wir laufen gemütlich wieder zurück zum Strand, mit Abstecher zu den Toiletten – denn selbst da sitzt ein fotogener Gecko, ein Geckolepis. Außerdem findet sich direkt am Strand ein knallbuntes Pantherchamäleon-Männchen, das sich nicht entscheiden kann, ob es am Baumstamm runter oder doch lieber rauf will. Ein kleiner Zonosaurus flitzt ihm hinterher, ist aber deutlich schneller in der Baumkrone. An der Abzweigung zum Leuchtturm sitzt ein weiteres Furcifer pardalis niedrig auf Ästen, und in einem Seemandelbaum weiter vorne sogar noch ein drittes. Die Tiere haben fantastische Farben, die so gar nicht zu den Inselformen der Umgebung passen. Sie haben sehr viel Orange, während die Lokalformen der umliegenden Inseln eher Blau und Weiß tragen.
Danach plantsche ich noch ein bisschen im Wasser, kann mich aber nicht zu einer zweiten Runde Schnorcheln entschließen. Schon gegen zwei Uhr räumen wir unseren Picknick-Platz auf. Léon versucht, eine große Geisterkrabbe mit bloßen Händen zu fangen. Allerdings hat er großen Respekt vor den großen Scheren der Krabbe. So liefern Krabbe und Léon einen sehr lustigen Jagdtanz am Strand. José zeigt ihm, wie es geht. Es folgen eine Menge Selfies mit Krabben.
Das Boot bringt uns wieder direkt an den Strand des Hotels zurück. Das Meer hat inzwischen ganz schön Wellengang, der Wind weht mir um die Nase. Das ist auch der Grund, weshalb wir nicht viel später von Nosy Tanikely zurückkehren konnten – es ist für den Nachmittag ein Gewitter über der Insel angesagt und niemand möchte gerne bei rauher See Boot fahren.
Viele Madagassen sind heute am Strand, es ist Samstag und die Leute haben Freizeit. Tanala und ich schlagen ein Handtuch-Camp vor unserem Bungalow auf. Nach und nach gesellen sich die meisten unserer Gruppe dazu. Vor Andreas Bungalow findet sich derweil ein schwarzer, junger Zebubulle ein. Er steht direkt vor ihrer Tür und muht empört. Offenbar sieht er sich selbst in der verspiegelten Tür. Er erkennt sich aber nicht im Spiegel, sondern sieht darin einen Gegner. José versucht, den übermotivierten Jungbullen zu vertreiben. Das klappt aber nur wenige Minuten. Das Zebu umrundet zwei Mal das Bungalow, macht einen Abstecher zum Strand und steht einen Augenblick später wieder vor Andreas Tür. Na gut, soll es da stehen. Früher oder später wird sein Besitzer es schon wieder einfangen. Und Andrea liegt gerade sowieso am Strand. Im Urlaub kann man drüber lachen.
Die Flut ist wieder da und das Wasser steht bis kurz vor der Terrasse des Bungalows. Wir plantschen im Wasser. Mit der Flut kommt immer ein wenig Unrat angeschwemmt: Algen, Kokosnüsse, ein bisschen Treibholz. Fitah taucht und kommt versehentlich mit einer Menge Algen auf dem Kopf wieder nach oben. „Fast wie Arielle!“, meint er grinsend dazu und dekoriert auch José mit der grünen Haarpracht.
Als die Sonne untergeht, ist es völlig windstill. Grillen zirpen, die Wellen rauschen leise am Strand. Nach dem Abendessen wollen die Jungs eigentlich Mamys Geburtstag feiern. Ich komme nicht mehr dazu, meine Nase ist zu und ich habe Kopfschmerzen. Daher verabschiede ich mich lieber zügig ins Bett.