Um halb vier bin ich ins Bett gegangen, um halb sieben stehe ich schon wieder auf. Ich sortiere kurz mein Gepäck um. So viel ist nicht mehr über, wenn man Mitbringsel, Geschenke und Equipment fürs Camping abzieht. Ich habe ein bisschen Kopfschmerzen. Aber eine Dusche und Frühstück werden’s schon richten.
Zu meinem Erstaunen ist unser Team unglaublich früh da. Sogar vor der vereinbarten Zeit. Das ist eher ungewöhnlich auf Madagaskar. Vier Toyota Landcruiser biegen in die Einfahrt des Hotels und reihen sich auf dem Parkplatz auf. Heraus steigen Dimby, José, Léon, Fitah, Mamy, Christian, Andry und als neuer Fahrer Nany, ein Cousin von Dimby. Er ersetzt Mika, der kurzfristig leider nicht mitkonnte. Da außer Nany alle sich bereits kennen, fällt die Begrüßung entsprechend herzlich aus. Während ich meinen Saft noch austrinke und die letzten ihr Frühstück beenden, verstauen die Jungs bereits Gepäck und Campingausrüstung in den Kofferräumen und auf den Dächern der Landcruiser. Das Geheimnis der Säulen vor der Treppe des Raphias hat sich auch gelöst: Das wird der Unterbau für einen Holzboden. Das Hotel bekommt also quasi eine Art Wintergarten als Vorbau für den Eingang, der dann gleichzeitig Rezeption wird.
Bevor wir losfahren, gibt’s noch ein Gruppenfoto auf dem Tennisplatz. Ich finde mein T-Shirt, das ich tatsächlich nicht mit Absicht sondern eher mit „Griff in den Koffer“ ausgesucht habe, enorm passend. Eigentlich ist es aus Alice im Wunderland, aber der Ausspruch „We’re all mad here“ trifft wohl nicht weniger auf unsere leicht herpetologisch durchgeknallte Reisegruppe zu. Im Garten klettert das erste Chamäleon der Reise, ein Furcifer oustaleti, einen Baum nach oben. Ein paar erste Fotos, dann geht’s los. Heute wollen wir durch das nördliche Hochland über Maevatanana bis nach Ankarafantsika fahren. Knapp 420 Kilometer weit, wir werden jedoch wegen der gewundenen, kurvigen Straße einen ganzen Tag dafür brauchen. Wobei – Léon vielleicht nicht. Léon fährt Tanala, Markus und mich. Und er fährt ganz schön zügig.
In Ambohidratimo stoppen wir an einer Tanke. Von der weiten Betonfläche kann man wunderbar das Marktleben gegenüber beobachten. Ein Taxibrousse hat gerade angehalten, und ein paar Männer laden allen möglichen Krempel auf das Dach des Fahrzeugs. Eine junge Frau verkauft Besen direkt an der Tanke, die sie immer hübsch zu Bündeln von zehn Stück zusammengebunden hat, dann bleiben sie auch von selbst stehen. Ich kaufe Getränke für die lange Fahrt und ein paar Zimtröllchen an der Tanke. Und schon geht es weiter. Vorbei an leuchtend grünen und gelben Reisfeldern, kleinen roten Lehmhäusern und Resten von angepflanztem Eukalyptus.
In Mahitsy ist gerade Markt. Unendliche Menschenmengen sind am Straßenrand unterwegs. Fast alle laufen in Flip-Flops, geschlossene Schuhe trägt quasi niemand. Gerade wurde wohl Ananas geerntet, denn die süßen, gelben Früchte liegen haufenweise auf am Straßenrand. Vorne gestapelt zum Verkauf, hinten an einer Ziegelmauer liegen körbeweise Nachschub. Direkt neben einer antiken Waage mit Knoblauch. Sehr viel Knoblauch. Ein Mann verkauft Koba, den etwas eigen schmeckenden Erdnuss-Bananen-Reismehl-Kuchen des Hochlandes. Neben ihm gibt’s madagassische Küchenausstattung, Alutöpfe, direkt neben noch eingeschweißten chinesischen Button-Down-Hemden. An einem Metzgerstand sitzt eine rot-weiße Katze direkt neben den rohen Hühnern auf den Holzbrettern. Da kann man quasi direkt miterleben, wie das mit den Parasitosen und ihrem Lebenszyklus so funktioniert. Bei immerhin 30°C im Schatten. Gegenüber vertreibt ein junger Mann motiviert mit einem Holzstängelchen, an das ein zerfranster Lappen gebunden ist, die Fliegen über seinem Hackfleisch.
Im Laufe des Vormittags zieht sich der blaue Himmel zu. Wir fahren vorbei an den grünen Feldern bis zu den Hügeln des Hochlandes, die kahl und nahezu baumlos sind. In wenigen Wochen werden sie gelb und vertrocknet sein. Im gleichen Ort wie im letzten Jahr halten wir an für eine Portion Reis am Mittag. Inzwischen sind es 36°C, ich schwitze vor mich hin. Und wir sind noch im Hochland! Die meisten speisen in einem kleinen, innen rosa gestrichenen Restaurant direkt an der Straße. Ich habe noch keinen Hunger, das Carnivore von gestern hält noch vor. Gegenüber ist vor einem anderen Restaurant mitten in der Hitze ein roter Teppich ausgerollt, flankiert von golden angemalten Ständern, die eine breite Kordel halten. Zwei reichlich deplatziert wirkende Madagassen stehen in weißen Hemden und schwarzen Smokings direkt vor dem roten Teppich. Mitten auf der dreckigen Route Nationale. Neben einem Haufen alter Autoreifen. Hühner laufen vorbei. Anscheinend ist gegenüber gerade eine Hochzeit zu Gange.
Im Laufe des Nachmittags wird es zwar nicht mehr sonderlich wärmer, aber die Luftfeuchtigkeit steigt. Dadurch wird die Hitze gefühlt mehr. „Riecht ihr eigentlich auch, dass unser Auto komisch stinkt?“, frage ich zwischendurch mal. „Hier riecht’s verschmort. Wie angebranntes Gummi.“ Das wird verneint. Irgendwann am Nachmittag erfahre ich, dass das Auto neue Bremsbeläge bekommen hat. Und die riechen noch ein bisschen, das sollte sich in den nächsten Tagen legen. Ich bin beruhigt. Frank hat sich derweil der Aufgabe verschrieben, irgendeinen Wald nahe Ambohitantely wiederzufinden. Direkt an der Straße gelegen, unerforscht, ein winziger Rest Hochlandregenwald. Leider scheint das Wäldchen längst abgeholzt zu sein. Ich bitte Léon, in einem Eukalyptuswald kurz anzuhalten, damit Franks Auto vorfahren kann – nur für den Fall, dass er noch etwas entdeckt. Der kleine Eukalyptuswald, den wir für eine Pipipause nutzen, ist sehr ernüchternd. Der Boden ist verbrannt, verkohlte Baumstümpfe ragen aus dem Boden. Im Wald selbst gibt es nicht mal Teppichchamäleons. Franks gesuchten Wald entdecken wir leider nicht mehr.
Als wir Maevatanana erreichen, beginnt es zu regnen. Ein ordentlicher Schutt ergießt sich über die grünen Savannen mit dem hohen Zebugras. Ziegen drängeln sich unter die überhängenden Palmblatt-Dächer der Lehmhütten, um nicht nass zu werden. Es nieselt nur noch, als wir den roten Fluss Betsiboka erreichen. Dann hört es kurz auf zu regnen. Gemütlich schlendere ich über die nasse Brücke. Ein Taxibrousse rast vorbei – ich springe auf den Metallrand der Brücke, um auszuweichen. Ein zweites, kaum langsamer folgt. Die Fahrer haben doch alle eine Meise hier… Dann folgt jedoch noch ein ganz anderes Gefährt. Ein LKW mit einem Bagger auf dem Auflieger fährt auf die Brücke. Zwar im Schritttempo, aber es ist bis zu mir gut zu sehen, dass der LKW so ausladend ist, dass man nicht am Rand der Brücke stehen bleiben kann. Also flitzen Tanala, Chrissi und ich schnell wieder zurück zu den Autos. Der LKW-Fahrer sieht uns vor sich her rennen und grinst nur. Auf der anderen Seite der Brücke endlich angekommen, machen wir eine kurze Pause. Die Luftfeuchtigkeit liegt über 90% und es ist immer noch über 35°C warm. Die Klamotten kleben am Körper. Aber wir sind noch nicht da!
Schließlich erreichen wir eine riesige Brücke mit weißen Pfeilern – die habe ich selten mal im Hellen gesehen. In Ambondromamy wechseln wir von der RN6 auf die RN4. Die hat auch nicht weniger Schlaglöcher, führt aber gen Westen statt gen Norden. Inzwischen blitzt und donnert es ganz ordentlich über unseren Köpfen. Die Wolken haben sich zu einer dunklen Decke zusammengezogen. Je näher wir Ankarafantsika kommen, desto mehr geht das Gewitter in ein fernes Wetterleuchten über. Als die Landcruiser in die Einfahrt des Campgrounds einbiegen, wird es gerade langsam dunkel. Flink werden die Zelte aufgebaut. Fitah pumpt Luftmatratzen auf, José entfaltet Zelte, Dimby übernimmt die Verkabelung der Glühbirnen in der Küche. Philipp wird seinem Ruf als wandelnde Enzyklopädie und Fundwunder schnell gerecht. Im Dunkeln findet er mit Stirnlampe auf dem Kopf und Katie im Schlepptau erst einen Dyscophus insularis, einen westlichen Tomatenfrosch. Der sieht tatsächlich aus wie eine kleine Ausgabe seines roten Verwandten, nur eben in braun. Außerdem entdeckt Philipp in einem der Gräben auf dem Campground eine wunderhübsche, kleine Sumpfschildkröte, die sich wohl verlaufen hat. Er bringt sie zurück zum nahen See, wo sie vermutlich auch herkommt.
Während des Abendessens (hervorragende Hühnerschnitzelchen mit Reis) bricht noch einmal ein Unwetter los. Es schüttet ohne Unterlass. Schließlich geht der Strom aus und nicht wieder an. Vermutlich ist die Steckdose unter unserem Gemeinschaftsdach einfach zu nass geworden. Und das Dach hat auch einige Löcher, zu denen es fröhlich reintropft. Nach dem Abendessen verschwinden nach und nach alle in den Zelten. Als die letzten Lichtkegel der Stirnlampen erlöschen, sind nur noch Martin, Markus, Tanala und ich übrig. Statt dass der Regen wie erhofft etwas abnimmt, wird er jedoch immer mehr. Es gießt wie aus Kübeln. Mitten im Trockenwald. Gut, es ist Regenzeit, gerade noch. Die Betongräben des Campgrounds sind bereits so voll, dass das Wasser einfach darüber hinweg schießt. Frank kommt klatschnass von den Toiletten zurück. In der Kloschüssel sitzt wohl unfreiwillig ein Geckolepis. Da Frank verständlicherweise nicht hineingreifen wollte, hat er einen Stock im Klo befestigt, so dass der Gecko hoffentlich wieder herausfindet.
Als es immer weiter schüttet, geben wir auch auf. Nach und nach verlassen Martin, Frank und Markus den Unterstand. Tanala und ich rennen nochmal zu den Toiletten. Allerdings ist Rennen schwierig, denn es regnet so stark, dass die Kopflampe quasi eine Wasserwand anleuchtet und man im Laufen kaum noch etwas sieht. Nach keinen fünf Metern bin ich bis auf die Knochen durchnässt. Durch die Klokabine ziehen sich Matschspuren. Der altbekannte Phelsuma kochi sitzt wie immer an der Wand, auf dem Boden räkelt sich ein riesiger Wurm mit Hammerkopf (eine harmlose Planarie, wie ich dank Lars jetzt weiß). Das Wasser an den Waschbecken läuft leider nicht mehr. Aber Händewaschen geht wunderbar mit dem Wasserstrahl, der neben der Regenrinne vom Dach herunterkommt. Bis ich zurück am Zelt bin, bin ich auch direkt geduscht. Der Regen ist so stark, dass an den Reißverschlüssen des Zelts innen bereits das Wasser heruntertropft. Trotz Schutzüberzügen.
Die neue Luftmatratze und das neue Zelt sind ansonsten allerdings ein Traum. Man kann im Zelt sogar stehen und die Matratze (ja, sie war teuer, aber das habe ich mir für den Urlaub mal geleistet) ist mehr als kniehoch und wunderbar weich und bequem. Schlafen kann ich allerdings lange nicht. Der Regen ist unglaublich laut. Und ob mein Gepäck mir morgen früh entgegen schwimmen wird bei dem Tropenregen, weiß ich auch noch nicht.